Tag für Tag nähert sich Weihnachten, verschiedene Zeichen am Wegrand erzählen davon. Heute brennt die zweite Kerze auf meinem Küchentisch. Ein Stern ziert mein Fenster. Bei den Nachbarn agiert eine große Lichtershow im Garten. Der Himmel ist wolkenbehangen und grau, von himmlischer Seite scheint es im Moment keine sichtbaren Beiträge zu geben. So richte ich meine Aufmerksamkeit nach innen. Was erzählen die verschiedenen Stimmen in mir, mit welchen Sorgen und Nöten sind sie beschäftigt, wie bereiten sie sich auf Weihnachten vor?
Die Stille raunt mir zu: Übergib dich einem leisen Tag, folge zarten Klängen, höre, lausche, nimm die Ruhe und das Alleinsein an. Stille zeigt sich wie ein weites, unergründliches Meer. Klänge verhallen, Ahnungen verschwinden, aber der Herzschlag wird spürbar, jeder Gedanke wird von einer silbernen Spur begleitet, die den Rand zwischen mir und dir erkennbar macht. Stille ist weich und unerbittlich, übergib dich und schweige.
Die Leere versucht mich hingegen davon zu überzeugen, dass es nichts zu bedenken, zu bemerken, zu tun gäbe. Sie verdrängt die Fülle und breitet sich aus. Die Leere lässt das Gestern und das Morgen verschwinden, sie ist nur JETZT, JETZT und noch mal JETZT. Es gibt kein Hinten und kein Vorne, kein Oben und kein Unten. Die Leere ist wie eine Seifenblase, die plötzlich zerplatzen kann. Die Leere ist ungemütlich, aber sie lädt mich zum Innehalten, zur Besinnung ein. Sie fordert den Mut, mich dem Nichts anzuvertrauen und mich tragen zu lassen.
Aber mein Verantwortungsgefühl spricht hingegen von unerledigten Belangen. Es mahnt mich an dies und das zu denken, endlich verschiedene Vorhaben anzugehen, sie zu erledigen, hinter mich zu bringen. Und ich schreibe gedanklich eine saubere Liste, konzentriere mich auf das, was ich noch alles tun will, bevor die Welt zu Weihnachten inne hält. Bevor die Stille auch ins Außen schwappt, das Karussell langsamer fährt und der Raum groß wird, in dem das Innen zum Außen und das Außen zum Innen werden kann.
Das kleine Kerzenlicht an meiner Seite erzählt von großen Dingen - ganz bescheiden. Von Verwandlung und Transformation, von Materie und Geist. Von Licht in der Dunkelheit, von Wärme in der Kälte, von Zartheit in Gewaltigkeit. Es lädt mich ein, mich in ihm zu verlieren, und in dieser Verlorenheit Halt zu finden. Das Kerzenlicht spricht vom Hier und Jetzt in der Ewigkeit, vom All-Einen. Es ist beständig und treu.
Die wartenden Worte in meinem Herzen reihen sich auf, sie putzen sich und zeigen sich in neuem Glanz. Sie schenken mir Zeit und machen gleichzeitig auf sich aufmerksam. Sie wollen auftreten, beleuchtet werden und mitspielen, Gruppen bilden, Pirouetten drehen und Unerwartetes geschehen lassen. Diese Worte sind geduldig und drängend zugleich, sie sind alles und nichts, zerfallen in ihre Einzelteile, setzen sich neu zusammen und gruppieren sich lyrisch, prosaisch oder dramatisch.
Die Müdigkeit in mir mahnt zur Ruhe, sie ist schwer und flügellos. Sie will in die Dunkelheit und traumlos schlafen. Sich hingeben an die Ohnmacht, vertrauensvoll versinken – nichts denken, nichts fühlen, nichts tun. Die Müdigkeit will ihr Bewusstsein verlieren, will ein Ort für die Stille und die Transformation sein. Stellt sich zur Verfügung als kleiner Bruder des Todes, jede Nacht bietet sie sich an – nimmt mich auf und entlässt mich wieder.
Und die Sehnsucht in mir träumt von Erkenntnissen, Ereignissen und Taten. Sie will Sinn stiften, leicht sein, tanzen. Sie will von mir zu dir, von ihr zu ihm – sie lädt die Sterne des Nachthimmels ein, ein Netz zu bilden und Schutz zugeben. Sie will Wärme schenken und Herzen beflügeln, die Stille still sein lassen, die Leere leer, das Verantwortungsgefühl groß, das Kerzenlicht erhellend, die Worte sich immer wieder neu konstituierend, die Müdigkeit sich selbst überlassend.
Und ich könnte diesen Text fortführen und weitererzählen: Was erzählt mir meine Angst, was die Erwartung und Hoffnung? Wovon spricht die Liebe und wovon der Tod? Was meint das Kind und was die Mutter in mir, die Frau, Freundin und Berufstätige?
Die Adventszeit und ich ringen und tanzen mit den verschiedenen Stimmen, meinem inneren Team auf dem Weg zum Weihnachtsfest. Mal spricht die eine Stimme lauter, dann wieder die andere. Mal lässt sie sich überwältigen, mal bewältigt sie… Mal scheint das Leben wie in Gold getaucht und Engelchöre singen. Und dann wieder rufen Pflichten, notwendige Erledigungen und der Himmel ist grau, hüllt die Welt in Nebel und macht sie nass. Der Weg nach innen ist nicht minder turbulent wie die Welt im Äußeren.
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
Liebe Sophie,
AntwortenLöschenjede Woche lese ich Deine Texte. Still beobachte ich, was du von Dir zeigst. Dieser Text nun lädt mich ein, zu reagieren.
Oft erlebe ich beim Lesen eine Suche; eine offene, fragende Haltung. Und das ist es auch, warum ich jede Woche wieder schaue, womit du dich beschäftigst. Es ist, als ob du die Erlaubnis erteilst, fragend durch die Welt zu gehen, nicht immer Alles wissen und richtig machen zu müssen.
Daran schließt sich für mich die Frage an, was macht das Medium Internet mit uns als Menschen? Wenn ich das Internet zunächst einmal als etwas betrachte, das Möglichkeiten für Menschen eröffnet, komme ich sehr schnell zu Begrifen wie "Begegnung". Aber was bedeutet Begegnung im zusammenhang mit dem Internet? Was finden für Begegnungen zwischen Menschen statt, nur in der virtuellen Welt? Oft ohne, dass wir voneinander irgendetwas wissen. Ist der Begriff Begegnung da überhaupt stimmig?
Fragen werfen Fragen auf...
Raum für Aufmerksamkeit ebtsteht.
In diesem Sinne
herzlichen Gruß
Maria