Samstag, 10. Dezember 2011

Platoniker. Ohne den Himmel läuft nichts

Und weil der Platoniker manches nicht mitkriegt, was der Aristoteliker so macht, kommt er manchmal erst nach ihm zum Ort des Geschehens.

Und doch haben Platoniker den Zeitstrom gepachtet – für die Ewigkeit, ohne Kündigungsrecht. Ihnen gehören Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – so einfach ist das. Platoniker waren schon immer da und werden auch so lange bleiben bis kein Fünkchen falscher Hoffnung mehr bleibt. Das ewige Leben trägt sie, die Götter sind mitten unter ihnen und hauchen den Platonikern den ewigen Odem ein.

Vom irdischen Leben verstehen sie wenig. Sie sind nicht daran interessiert ein Elefantenskelett zu rekonstruieren. Sie suchen eher den Sternenstaub in zerbrochenen Schüsseln – die Nabelschnur nach oben muss sein. Jegliche Konstruktion auf Erden braucht eine Idee im Himmel. Und so steht es auch mit jeder SMS die ein Platoniker schreibt, sie handelt von grundlegenden, allumspannenden Wahrheiten.

Der Auftrag der Platoniker lautet, das Wesen der Dinge zu erhalten, ja überhaupt das Wesen sichtbar zu machen und ihm zu dienen – auf Erden. Und das ist ihnen schon lästig. Denn es geht dabei nicht um Kleinigkeiten - Tonscherben, Haarschnipsel oder deutsche Grammatik. Nein, die Wesenhaftigkeit im Großen zählt und sie ist nur in der übergeordneten Geistigkeit zu finden. Das große Wort ist Leben und der Tod ist nur durch das ewige Leben zu ertragen, ja nur dann zu denken, wenn der Geist von ihm Besitz ergreift. Ohne den himmlischen Glanz sieht jeder Stein grau aus.

Wenn ein Platoniker Freundschaft geschlossen hat, dann hat er den Menschen so in sein Herz geschlossen, dass ihn nur ein Weltuntergang daran hindern könnte diese Freundschaft zu preisen. Was ihn vernichtet sind Bemerkungen, die sein Wesen treffen. Kleine, scharfe, spitze Pfeile. Diese Verletzungen sind dann so groß, dass auch die Götter nichts mehr ausrichten können. Platoniker können ziemlich halt- und trostlos verzweifelt sein. Engherzigkeit ist etwas, mit dem sie nicht umgehen können. Sie lieben die Weite der Freundschaft und das imaginäre Band, das Menschen verbindet.

Auf die Versicherung seiner Freundschaften ist der Platoniker allerdings ständig angewiesen. Da er sich selbst nicht traut (wer kann das schon?), braucht er das Votum der anderen – von denen er besser denkt als von sich selbst. Aber eine treue Seele ist er, wenn er einmal eine Freundschaft geschlossen hat, dann wird man einen Platoniker nicht mehr so schnell los. Hoffnungskräfte tragen ihn – fast bis ans Ende der Welt. Ein Platoniker ist zwar menschlich vernetzt, aber doch ein einsamer Geselle, der den gesamten Kosmos auf seinen Schultern zu tragen vermag.

Über irdische Katastrophen geht er locker hinweg, als handle es sich um ein altes Brötchen. Sinn, Ziel und Größe zählen für ihn – keine Kisten mit Tonscherben. Das Netz der Unendlichkeit, Sinnbild des nächtlichen Sternenhimmels, ist ihm näher als mancher Bettgeselle. Das physische Leben interessiert den Platoniker nur insofern, als dass er Träger des Geistigen ist, des Weiten und Großen. Was zählt, sind die göttlichen Wahrheiten, die manch irdische Seele aufzunehmen vermag. Im Zweifel besteht das menschliche Ich aus einer Idee (was auch sonst?).

Was Platoniker lieben ist der große Wurf – die Ordnung im Universum, die sich im irdischen Leben in ein kreatives Chaos verwandelt. Systematik ist ihnen fremd (obwohl sie das Gegenteil von sich behaupten), akribische Rekonstruktion auch. Sie sind große Konstrukteure – vielleicht sogar Konstruktivisten – denn ohne Baumeister wird nichts geschaffen. Der Platoniker ist alt im Himmel und jung auf der Erde – im Zweifelsfalle zählt die Weisheit des Himmels, komme was wolle. Wenn ihm nach oben die Tür verschlossen ist - was durchaus vorkommt!!! - ist er verloren.

Denn er kann sich keinen eigenen Kosmos bauen, ihn höchstens mit Worten beschreiben, die Idee benennen. Das Große im Kleinen ja – das kann er sehen. Aber nicht umgekehrt: Das Kleine im Großen… da wird der Platoniker verlegen. Mit einer Narbe auf der Haut kann er nicht umgehen. Was er sucht ist aber gerade die Erdverbundenheit, denn er weiß, dass er nur hier Erfahrungen machen kann, auf Erden, in der Wiege der Menschheit. Eigentlich reichen ihm aber göttliche Gebote völlig aus, um einen einfachen Tag im 21. Jahrhundert zu überstehen.

Die Verlorenheit eines Platonikers findet Aufnahme im Herzen eines Aristotelikers – aber das scheint ein gefährliches und seltenes Spiel zu sein. Wenn sich die beiden am Abgrund treffen, wer sagt dann zuerst etwas? Wer traut sich? Was sprechen die beiden miteinander? Und wohin führt ihr Gespräch?

5 Kommentare:

  1. "...kommt er manchmal erst nach ihm zum Ort des Geschehens..."

    u n d

    "..Wenn sich die beiden am Abgrund treffen, wer sagt dann zuerst etwas?..."

    Ich weiß ja nicht wo Deine Humorebene liegt, also ich finde Deinen Text wunderbar humorvoll.

    Vielen Dank für das Adventsgeschenk und hab` einen schönen Sonntag, wünscht Katharina

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  2. Liebe Sophie, wie bist du auf dieses Thema gekommen, über den Platoniker zu schreiben? Es ist ein wunderbarer Text, und ich möchte dir dafür danken. Auf eine gewisse Art ist er wie eine Brücke. Schritt für Schritt, GEdanke für Gedanke fühle ich mich im Lesen gehen...
    Im letzten Jahr hast du so schöne Fragen gehabt an deine Leser in der Zeit der Heiligen Nächte. Wirst du sie in diesem Jahr in der Zeit zwischen den Jahren wieder stellen? Vielleicht finden sich ja wieder einige "alte" Stimmen wieder...
    Einen lieben Adventsgruß
    anna

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  3. Der Text über die Platoniker ist entstanden, nachdem ich einen Text von Jelle van der Meulen über Aristoteliker gelesen habe. Dieser Text hat mich unmittelbar inspiriert.
    Er ist zu finden unter: www.jellevandermeulen.blogspot.com
    am 10.12.2011

    Herzilch, Sophie

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  4. Grossartig Sophie ! Ich freue mich schon mit die darüber zu sprechen.
    Es hat lange gedauert bis ich mich entschieden könnte zu wem ich gehöre ... Dann würde es klar und deine Geschichte ließ als Schnee in der Sonne die wenigen kleinen Zweifel schmelzen, die noch blieben !
    Das Gespräch zwischen Jelle van der Meulen's Blog und deinen ist ein Genuss. Macht ihr weiter ? Liebe Grüsse. Josiane

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