Sonntag, 29. Januar 2012

Auf geistigen Bahnen. Zwischen Tod und neuer Geburt

Gestern Nacht bin ich an der Stelle vorbei gefahren, an der dich deine irdische Lebenskraft verlassen hat. Dort, an der Autobahn-Tankstelle hat sich auf dem Weg zwischen Kasse und Zapfsäule dein Tod in Sekundenschnelle ereignet. Du bist zu Boden gesunken und in den Himmel aufgestiegen. Man hat sich unmittelbar um deinen Leib bemüht, versucht ihn wieder mit Lebenskraft zu erfüllen – aber du warst bereits in die Geistigkeit eingekehrt.

Jetzt bist „du“ in der geistigen Welt. Und jeden Tag frage ich mich, wie es sich dort eigentlich wirklich verhält, wie ich mir dein Sein dort vorzustellen habe. Während ich hier auf der Erde mit meinem Tagesgeschäft ringe: schlafen, essen, mich warm halten, Menschen begegnen, Gespräche führen, Aufgaben erledigen, Ideen ergreifen, Zielen folgen – schlicht, mein tägliches Leben zu organisieren, weilst du in geistigen Sphären, von denen ich nur ahnen kann, was sie ausmachen.

Es heißt, dass die Geburt in der geistigen Welt mit einem blitzartigen Panorama-Rückblick auf das irdische Leben begänne. Danach folge eine etwa dreitägige Rückschau auf das beendete Leben mitsamt dem Erleben der Folgen, die die eigenen Taten auf Mitmenschen, Erde und Gesamtzusammenhänge hatten. Nach dem Ablösen von der Erde, den Menschen und Aufgaben folge dann eine Zeit – man sagt, dass sie etwa ein Drittel der Lebenszeit ausmacht – in der das zurückliegende Leben verarbeitet werde.

Für die Verarbeitung, so heißt es, durchschreite man die Planetensphären nacheinander und komme dann in die Weltenmitternachtssphäre. Dort scheint der Umschlagpunkt zu sein, in dem das Vergangene zum Zukünftigen wird. (Den Begriff der Gegenwart scheint es in der geistigen Welt nicht so zu geben, wie wir ihn hier auf der Erde benutzen. Dort ist alles und nichts Gegenwart – der Zeitstrom wird aus der Vergangenheit geboren und verschmilzt gleichzeitig mit dem, was wir Zukunft nennen.)

Die Weltenmitternachtsstunde scheint ein Ort der Dunkelheit und des Lichts gleichzeitig zu sein, der Vergangenheit und Zukunft, der Kälte und Wärme – der Ziele, Aufgaben, Verabredungen und vor allem ein Ort eines großen JA der Entwicklung der Menschheit gegenüber. Dort „trifft“ man sich nach der langen Zeit der eigenen Verarbeitung. Dort werden Pläne geschmiedet, Treffen verabredet, Initialzündungen verankert, bevor sich der Einzelne wieder allein auf den Weg gen Erde macht.

In der geistigen Welt können aber keine Bücher gelesen werden. Es wird weder Deutsch, noch eine andere irdisch bekannte Sprache gesprochen. Es gibt Formen, aber keine Farben, möglicherweise aber Klänge. Es gibt keine Individuen, aber konzentrierte Ich-Einheiten (oder so etwas). Es gibt keine Privatsphäre und keine Geheimnisse. Alles ist offenbar und geht ineinander über. Man kann dort sehen und erkennen, und auch fühlen – aber nichts tun. Erfahrungen machen können wir, so heißt es, nur im irdischen Leben, nur dann, wenn wir physisch inkarniert sind.

Dadurch wird auch erklärbar, warum der Schmerz bleibt, die Sehnsucht, das Vorhaben. Nichts kann uns dort oben von dem ablenken was wir erleben – denn es kann nichts geändert werden. Dafür muss sich eine Individualität erst wieder auf den Weg zur Erde machen. Zu den Menschen, die vielleicht noch da sind, oder die wiederkommen, zu den angefangenen Projekten, den Vorhaben und Zielen. Die geistige Welt bietet eine Überschau – keinen Handlungsspielraum. Und das alles werden wir auf der Erde wieder vergessen.

Darum beginnt nach der Phase in der Weltenmitternacht auch der Abstieg durch die einzelnen Planetensphären wieder. Saturn, Jupiter, Mars und die Sonnensphäre werden durchschritten und darauf folgend – schon ganz nah an der Erde – die Sphäre von Venus, Merkur und vom Mond. Auf dem Mond, so heißt es, werden die unverdauten Päckchen aus dem letzten Leben wieder aufgegriffen und in eine neue Inkarnation mitgenommen. Das erklärt die zwischenmenschlichen Ecken und Kanten auf die wir im Leben treffen können.

Dieser Weg scheint Sinn zu machen. Der Gedanke der Einbettung schenkt Vertrauen in größere Zusammenhänge. Aber ich fühle mich abgeschnitten davon (und gleichzeitig „weiß“ ich, dass ich „dabei“ bin). Wenn ich an dich denke, dann spüre ich, dass ich im irdischen Erleben gefangen bin, dass die Weite eng wird, die Größe klein und das Ja zu einem Vielleicht. Ich ringe damit, das Geistige im Irdischen zu finden, Ja zu dem zu sagen, was in der Weltenmitternachtsstunde „ausgemacht“ wurde. Du fehlst hier.

Sonntag, 22. Januar 2012

"Die Quelle" – eine Geschichte von SM

SM schickt mir ihre Lieblingsgeschichte die sie selber geschrieben hat und bittet mich, sie auf meinem Blog zu veröffentlichen:

«Die Quelle

Es war einmal eine Quelle. Sie hatte die Eigenschaft, dass sie die Wahrheit aussprach wenn es Vollmond war und der Mond sich in ihr bzw. in dem kleinen Quellteich spiegelte, der sich aus ihr bildete. Das geschah aber nur, wenn man ein gutes Herz hatte.

Es war nämlich eine wissende, eine weise Quelle, die einzige von vielen, ja Tausenden von redenden Quellen der grauen Vorzeit, als die Menschen noch an die große, weise Mondgöttin und an Mutter Erde, die alles Leben hervorbrachte, glaubten.

Diese Quelle entsprang in einer kleinen Wiese, an einem Hang mitten im Nordwesten eines europäischen Landes. Sie war uralt und wie gesagt wissend. Mädchen kamen zu ihr und hörten ihrem traurig-komischen Singsang zu. Manchmal war er lustig, manchmal wispernd. Die Quelle sang Silben und spielte mit ihnen. Zum Beispiel:

Sa sa, se se
Ma ma, le le
ra ra, te te
sa sa, le le

Die Mädchen sangen mit der Quelle, sprachen mit ihr und fragten sie etwas. Manchmal antwortete die Quelle… Ein Mädchen mit Namen Amaryllis hatte eine besondere Beziehung zu ihr:

Täglich ging sie zu ihr und sprach und sang mit ihr. Sie pflückte Blumen und ließ sie im Quellteich schwimmen. Manchmal hielt sie ihre Hände in den plätschernden Quellwasserstrahl und benetzte ihre Augen damit, wodurch sie strahlender wurden. Sie wurde von Tag zu Tag schöner; bald war sie eine junge Frau und wollte sich verlieben. Sie sang mit der Quelle und stellte dann im Inneren die Frage, welcher junge Mann denn der richtige für sie sei.

„Quelle, Quelle, du weißt alles, gib mir einen Rat, wen soll ich wählen? In wen soll ich mich verlieben?“

Die Quelle ließ eine helle, silberne Mondmusik erklingen, feiner als Spinnwebtautropfen und höher als eine Xylophon-Melodie:

„Phillip ist klug, wähle Phillip, er ist gut. Er hat ein mitfühlendes Herz. Er ist schön gebaut und hat weizenfarbene, lange, lockige Haare. Ich weiß“ – und an dieser Stelle ließ die Quelle ein feines, glockenhelles Lachen ertönen – „er wird alles für dich tun, denn er ist bereits in dich verliebt!“

„Danke, Quelle!“ – sagte Amaryllis.»

Was sagt diese Geschichte euch, meinen Leserinnen und Lesern?

Samstag, 14. Januar 2012

Parzival und ich. Immer unterwegs

Ich wollte nicht, habe mich gegen das Sprechen entschieden. Es waren zwölf Stunden, die mir zur Verfügung gestanden hätten, um einen Vortrag vorzubereiten. Und ich wusste, dass die Zeit nicht ausreichen würde, um meinen eigenen Ansprüchen zu genügen. Denn ich wollte nicht auf Altes zurückgreifen, keine Fakten berichten, sondern mindestens die Brücke nach innen galant und graziös darstellen, um dann den Weg nach außen wieder aufzunehmen… Ich wusste, dass ich die Sternschnuppen auf dem Weg so schnell nicht würde zeigen können und sagte deshalb auf der Stelle Nein.

Gleichzeitig wusste ich aber, dass ich gerade diese Zeit nutzen würde. Und deshalb sitze ich jetzt hier und schreibe statt zu sprechen. Der Vortrag hätte von Parzivals Weg handeln sollen. Mal wieder. Höhepunkt hätte seine Frage an den kranken Onkel sein sollen. Wie geht Parzival seinen Weg und wie findet er seine Frage? Was geschieht, damit er für seine Mitmenschen wach wird? Irgendwie kann ich heute nicht anders als zu sagen, dass der auserkorene mittelalterliche Held genauso ein armer Wicht war wie wir, die wir tagtäglich durch unser Leben stolpern und, wenn es gut geht, hie und da irgendwie das Gefühl haben, ja, heute war ein halbwegs guter Tag.

Aus der Position des nachträglichen Betrachtens sieht der Schicksalsweg Parzivals stimmig aus, zwar abenteuerlich, waghalsig und ungeheuerlich, aber dennoch am Ende irgendwie rund und doch gesellschaftsfähig. Ohne Licht kein Schatten eben. Die Abgründe, die fehlenden Brücken, das öde Land, der unübersichtliche Wald und schon gar die Undurchsichtigkeit der Gesetzmäßigkeiten hinter den Dingen, bekommen im Nachhinein einen sanften Glanz, schließlich hat es der gute Parzival am Ende ja doch noch geschafft.

Ja was eigentlich, was musste er schaffen? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn „man“ sich auf die Geschichte einlässt. Wenn „man“ mitmacht, mitgeht, mitspielt – wenn „man“ ein Risiko eingeht, sich zur Verfügung stellt, sich zeigt, wenn „man“ ICH zu sich sagt.

Parzivals Aufgabe, seine Chance oder Herausforderung wird gemeinhin damit beschrieben, dass er ein eigenständiges Leben innerhalb seines Schicksalsnetzwerkes zu führen hatte. Das war neu. Zunächst sollte er das stellvertretend tun. (Bloß für die gesamte Menschheit…) Und das ist einfacher gesagt als getan. Der tumbe Sohn von Herzeloyde und Gachmuret gilt als erster Repräsentant der Bewusstseinseelenkultur. Und mit dieser Chance sind wir nun seit 800 Jahren beschäftigt. Von außen bedarf es nur weniger Worte. Der Plot lässt sich schnell erzählen (das mache ich jetzt aber nicht) – er kann sicher auch gegoogelt werden.

Um was es aber innerlich geht, kann jeder Einzelne versuchen wahrzunehmen und zu erzählen. Wenn ich in mich hinein fühle, dann spüre ich eine Enge und manchmal auch eine Weite, viel Unruhe und hie und da auch eine Gelassenheit, den Gegensatz zwischen Transparenz und Vertrauen, das Spiel zwischen Nähe und Distanz, Abweisung und Zustimmung.

Wenn ich mir Gedanken mache, dann wird es manchmal dunkel, denn dann ist nicht alles immer so klar und rein und fein wie es vielleicht sein „sollte“, manchmal ertrage ich das gedankliche Scheinwerferlicht aber auch ganz gut und präsentiere mich mit meinen Ecken und Kanten, meinem Unwissen und meinen Unfähigkeiten, meinem Glanz und meinem einfachen Dasein. (Ja, meinen Doppelgänger habe ich schon kennen gelernt.)

Was aber besonders undurchsichtig ist, ist das, was meine Hände und Füße getan haben oder tun. Welche Wege bin ich gelaufen, wohin hat es mich verschlagen, welche Orte sind mir verwehrt geblieben und wohin tragen mich meine Füße tagtäglich? Meine Fingerspitzen – zum Beispiel – haben eine Nähe zur Computertastatur und es sind immer meine Daumen, die die Leertaste drücken um Zwischenräume zwischen Worten und Menschen und Gedanken und Taten durchzudrücken – darum sind sie auch manchmal verletzt.

Das Leben ist voller Fragen und Antworten, Rätsel und Geheimnisse, Träume und Taten. Tage und Nächte wechseln einander ab. Oft sind wir allein unterwegs, ich jedenfalls, aber manchmal gibt es auch Kreuzungspunkte, Zu-fälle, goldene Begegnungs-Momente im Morast des Alltags, der sich breit macht, wenn ich zu schläfrig werde und meine Geistesgegenwart aufs Spiel setze. Innere und äußere Bewegung tut not – ist not-wendent und eröffnet neue Perspektiven, horizontal und vertikal.

Parzival-in-mir ist weiter auf dem Weg. Entschuldigung, auf der Suche natürlich, er muss ja DIE Frage finden. Es gibt einen Gurnemanz in meinem Leben und eine Condwiramurs, eine Herzeloyde und einen Gawan – Feirefiz bin ich noch nicht begegnet, dafür ist Sigune in meinem Leben bereits bedeutend öfters aufgetreten als bei Parzival. Alle sinnstiftenden Gedanken, Wünsche und Vorhaben nützen nichts, wenn ihre Quelle nicht durch einen Entschluss getragen wird – der Weg entsteht unter unseren Füßen, wenn wir ihn gehen.

Samstag, 7. Januar 2012

Worte: Graublau-verdichtet

Lieber Peter,

dein kleiner, erster Gedichtband „Graublau“ ruft eine schüchterne Verlegenheit in mir auf. Ich finde in dem Bändchen Gedichte, die weit über meinen persönlichen Umraum hinausgehen, sie beschreiben Ebenen im Horizontalen in beide Richtungen, die ich nur erahnen und mich ihnen zuwenden kann, Ebenen im Vertikalen deren Höhen und Tiefen ich mich über das Einlassen der Worte anzunähern versuche. Deine Gedichte haben eine eindeutige Quelle: das Herz im Innern. Was sie aber vermögen, ist das Weltenherz im Umkreis zu erreichen. In diesem Umkreis lösen sich die einzelnen Worte auf. Die klare grammatische Struktur der Buchstabenkombinationen wird zugunsten eines entstehenden Klangbildes aufgelöst.

Graue Asche

Graue
Trostlosigkeit
andauernder Tage

Asche
erloschener Vergangenheit
auf jeglichem Tun

ist da kein Gott
der erlöst
von ständiger Wiederkehr?

Gott schweigt
Harrt wie wir
Auf uns


Deine Gedichte schreien, ganz leise. Sie sind eindringlich und erfassen mich im Laufe des Tages mit allen Poren. Ich lese sie mit meinen Augen und ich spüre, wie die Bedeutung der Worte durch meinen Körper strömt. Um sie aus meinem Innern wieder ans Licht zu bringen, müssen sie meine Haut ganz zart durchbrechen, ich muss sie sich neu gebären und frei lassen. Sie nutzen die Poren, schlüpfen als Buchstaben hinaus und setzen sich auf der Erde nieder. Die Worte deiner Gedichte sind durch mich hindurch gezogen und ich setze sie frei, weil mein Inneres sie nicht erträgt.

Spätwinter

Regen
auf durchnässten
Schuhen
und eine Handvoll Erde
im Schnee
der zerfließt
Erde –
das was wir
alle suchen
die im Regen
wandern


Es ist nicht leicht, über deine Gedichte etwas zu schreiben, denn sie erreichen mich nicht auf der kognitiven Ebene – eigentlich kann ich mich vor ihnen nur künstlerisch verbeugen. Alles, was ich hier auszudrücken vermag sind stammelnde Worte, die zu umschreiben versuchen, dass deine Gedichte eine Herzenssprache sprechen, die wir alle noch lernen müssen. Mein Wille dirigiert meine Finger, die Worte auf der Tastatur zusammensetzen, mein Kopf kommt kaum nach. Rudolf Steiner sagte einmal (in „Wahrheit und Wissenschaft“), dass es darum ginge, „den Menschen als [eine] auf sich selbst begründete Persönlichkeit zu begreifen“. Genau davon sprechen deine Gedichte. Der Schmerz im Irdischen transformiert sich im Geistigen.


Wehmut

Wehmut komm
Vertreibe
die leeren Stunden

Erzähle vom
Verlorenen
das nie mehr gefunden

Gespenster ziehen
wo Welten standen
Nichts ist geblieben

Im Herzen weht es nach
vom Duft und Klang
der Lieben


Es gibt keine Schuld, keine Strafe, keinen Täter: aber suchende Menschen – Individuen, die im Irdischen das Geistige zu erfassen vermögen, die Verantwortung übernehmen.

Deine Persönlichkeit zeigt sich in deinen Gedichten in einer weltumspannenden und zeitlosen Form. Deine Worte gehen von deiner „selbstbegründeten Persönlichkeit“ aus und durchbrechen Raum und Zeit. Das Individuelle wird zur Welt, die Welt zeigt sich im Individuellen. Deine Gedichte gehen über das Wesentliche und Unvergängliche hinaus, sie situieren sich im Bedeutungsvollen – was für das Alltagsbewusstsein nicht immer leicht zu ertragen ist.

Herzlich,
Sophie

Peter Antonenko: Graublau. Gedichte – Erster Band. Edition Antonenko. CvB-Verlag, Herdwangen-Schönach, 2011.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Weihnachtsfrage XIII (Abschluss)

Was nimmst du in deinem Lebensrucksack aus den Weihnachtstagen mit über die Brücke in den Alltag nach Dreikönig?

Mittwoch, 4. Januar 2012

Weihnachtsfrage XII

Was gibt dir Kraft und Zuversicht?

Dienstag, 3. Januar 2012

Weihnachtsfrage XI

Wie geht es dir, wie fühlst du dich?

Montag, 2. Januar 2012

Weihnachtsfrage X

Von welcher Initiativkraft träumst du?

Sonntag, 1. Januar 2012

Weihnachtsfrage IX

Was siehst du, wenn du im zeitlichen Strom nach vorne schaust?