Ich wollte nicht, habe mich gegen das Sprechen entschieden. Es waren zwölf Stunden, die mir zur Verfügung gestanden hätten, um einen Vortrag vorzubereiten. Und ich wusste, dass die Zeit nicht ausreichen würde, um meinen eigenen Ansprüchen zu genügen. Denn ich wollte nicht auf Altes zurückgreifen, keine Fakten berichten, sondern mindestens die Brücke nach innen galant und graziös darstellen, um dann den Weg nach außen wieder aufzunehmen… Ich wusste, dass ich die Sternschnuppen auf dem Weg so schnell nicht würde zeigen können und sagte deshalb auf der Stelle Nein.
Gleichzeitig wusste ich aber, dass ich gerade diese Zeit nutzen würde. Und deshalb sitze ich jetzt hier und schreibe statt zu sprechen. Der Vortrag hätte von Parzivals Weg handeln sollen. Mal wieder. Höhepunkt hätte seine Frage an den kranken Onkel sein sollen. Wie geht Parzival seinen Weg und wie findet er seine Frage? Was geschieht, damit er für seine Mitmenschen wach wird? Irgendwie kann ich heute nicht anders als zu sagen, dass der auserkorene mittelalterliche Held genauso ein armer Wicht war wie wir, die wir tagtäglich durch unser Leben stolpern und, wenn es gut geht, hie und da irgendwie das Gefühl haben, ja, heute war ein halbwegs guter Tag.
Aus der Position des nachträglichen Betrachtens sieht der Schicksalsweg Parzivals stimmig aus, zwar abenteuerlich, waghalsig und ungeheuerlich, aber dennoch am Ende irgendwie rund und doch gesellschaftsfähig. Ohne Licht kein Schatten eben. Die Abgründe, die fehlenden Brücken, das öde Land, der unübersichtliche Wald und schon gar die Undurchsichtigkeit der Gesetzmäßigkeiten hinter den Dingen, bekommen im Nachhinein einen sanften Glanz, schließlich hat es der gute Parzival am Ende ja doch noch geschafft.
Ja was eigentlich, was musste er schaffen? Diese Frage lässt sich nur beantworten, wenn „man“ sich auf die Geschichte einlässt. Wenn „man“ mitmacht, mitgeht, mitspielt – wenn „man“ ein Risiko eingeht, sich zur Verfügung stellt, sich zeigt, wenn „man“ ICH zu sich sagt.
Parzivals Aufgabe, seine Chance oder Herausforderung wird gemeinhin damit beschrieben, dass er ein eigenständiges Leben innerhalb seines Schicksalsnetzwerkes zu führen hatte. Das war neu. Zunächst sollte er das stellvertretend tun. (Bloß für die gesamte Menschheit…) Und das ist einfacher gesagt als getan. Der tumbe Sohn von Herzeloyde und Gachmuret gilt als erster Repräsentant der Bewusstseinseelenkultur. Und mit dieser Chance sind wir nun seit 800 Jahren beschäftigt. Von außen bedarf es nur weniger Worte. Der Plot lässt sich schnell erzählen (das mache ich jetzt aber nicht) – er kann sicher auch gegoogelt werden.
Um was es aber innerlich geht, kann jeder Einzelne versuchen wahrzunehmen und zu erzählen. Wenn ich in mich hinein fühle, dann spüre ich eine Enge und manchmal auch eine Weite, viel Unruhe und hie und da auch eine Gelassenheit, den Gegensatz zwischen Transparenz und Vertrauen, das Spiel zwischen Nähe und Distanz, Abweisung und Zustimmung.
Wenn ich mir Gedanken mache, dann wird es manchmal dunkel, denn dann ist nicht alles immer so klar und rein und fein wie es vielleicht sein „sollte“, manchmal ertrage ich das gedankliche Scheinwerferlicht aber auch ganz gut und präsentiere mich mit meinen Ecken und Kanten, meinem Unwissen und meinen Unfähigkeiten, meinem Glanz und meinem einfachen Dasein. (Ja, meinen Doppelgänger habe ich schon kennen gelernt.)
Was aber besonders undurchsichtig ist, ist das, was meine Hände und Füße getan haben oder tun. Welche Wege bin ich gelaufen, wohin hat es mich verschlagen, welche Orte sind mir verwehrt geblieben und wohin tragen mich meine Füße tagtäglich? Meine Fingerspitzen – zum Beispiel – haben eine Nähe zur Computertastatur und es sind immer meine Daumen, die die Leertaste drücken um Zwischenräume zwischen Worten und Menschen und Gedanken und Taten durchzudrücken – darum sind sie auch manchmal verletzt.
Das Leben ist voller Fragen und Antworten, Rätsel und Geheimnisse, Träume und Taten. Tage und Nächte wechseln einander ab. Oft sind wir allein unterwegs, ich jedenfalls, aber manchmal gibt es auch Kreuzungspunkte, Zu-fälle, goldene Begegnungs-Momente im Morast des Alltags, der sich breit macht, wenn ich zu schläfrig werde und meine Geistesgegenwart aufs Spiel setze. Innere und äußere Bewegung tut not – ist not-wendent und eröffnet neue Perspektiven, horizontal und vertikal.
Parzival-in-mir ist weiter auf dem Weg. Entschuldigung, auf der Suche natürlich, er muss ja DIE Frage finden. Es gibt einen Gurnemanz in meinem Leben und eine Condwiramurs, eine Herzeloyde und einen Gawan – Feirefiz bin ich noch nicht begegnet, dafür ist Sigune in meinem Leben bereits bedeutend öfters aufgetreten als bei Parzival. Alle sinnstiftenden Gedanken, Wünsche und Vorhaben nützen nichts, wenn ihre Quelle nicht durch einen Entschluss getragen wird – der Weg entsteht unter unseren Füßen, wenn wir ihn gehen.
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
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zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
So wird Antroposophie menschlich en erlebbar.
AntwortenLöschenVielen Dank
Es ist eine Herzenssache wenn wir hinter die Dinge sehen wollen. Es rührt mich und ich spüre, dass die feinen Nuancen zählen, um zu einem höheren Bewusstsein zu kommen. Ganz lieben, herzlichen Dank für deinen wunderbaren Blog-Beitrag, liebe Sophie. Vielleicht kommt noch einmal eine Gelegenheit für dich, über das Thema ausführlicher zu sprechen.
AntwortenLöschen(Dabei fällt mir natürlich für alle Mitleser ein, dass es das wunderbare Buch "Mitspieler werden" gibt, das im Tectum-Verlag erschienen ist. Besonders zu empfehlen für die Freunde des "Roten Ritters" von Adolf Muschg.
Herzlich, dein Fritzkasimir der Achte.
Liebe Sophie!...und an Parzival in Dir...
AntwortenLöschen„Höhepunkt hätte seine Frage an den kranken Onkel sein sollen.“
- Gibt es so etwas wie e i n e n Lebenshöhepunkt in unseren Biographien?
„die wir tagtäglich durch unser Leben stolpern und, wenn es gut geht, hie und da irgendwie das Gefühl haben, ja, heute war ein halbwegs guter Tag.“
- Liegt es nicht eher an unserer Betrachtungsweise der Außenwelt, die uns einen „halbwegs guten Tag“ beschert.
„Aus der Position des nachträglichen Betrachtens sieht der Schicksalsweg Parzivals stimmig aus“
- Am Ende sieht unser Schicksalsweg auch stimmig aus. :-)
„Innere und äußere Bewegung tut not – ist not-wendent und eröffnet neue Perspektiven, horizontal und vertikal.“
- ...und wenn der Eine die Idee hat und die Andere sie ausführt.
„Alle sinnstiftenden Gedanken, Wünsche und Vorhaben nützen nichts, wenn ihre Quelle nicht durch einen Entschluss getragen wird – der Weg entsteht unter unseren Füßen, wenn wir ihn gehen. „
Der ~ Parzival ~ läßt sich gut lesen, so schön verdichtet in Buchform. Sich für die Biographie des Mitmenschen wirklich zu interessieren bedeutet geduldiges Lauschen. Und dann noch die eigene Biographie verstehen...? ^ °
Danke für das anregende Gespräch!
Herzliche Grüße von Katharina