Samstag, 22. Januar 2011

Die Welt und ich. Wenn Fragen zum Kreuzungspunkt werden

Wenn ich auf die Welt schaue, dann sehe ich eine ganze Menge Dinge, die getan werden könnten, ja, die getan werden sollten oder sogar müssten. Die Erde schreit danach, gut und besser behandelt zu werden, Pflanzen und Tiere drohen auszusterben und wollen überleben, und auf der Ebene des Menschen gibt es ein ganzes Weltall von Dingen, die weiterentwickelt und gemacht werden könnten, sollten oder müssten.

Die vorgenannten Verben führen in der Aufzählung einen scheinbar beliebigen Tanz auf. Jedes Mal lassen sie sich vertauschen und es gibt keine eindeutige Evidenz, welches Wort wohin gehört. Das hängt vom Blickwinkel und den Fähigkeiten ab, die jemand hat: was jemand kann, soll oder muss – ganz abgesehen davon, was jemand will, das ist individuell verankert und situativ bedingt. Schauen wir uns die Spannung zwischen Individuum und Welt in Bezug auf die genannten Worte an und lauschen in die Welt und in uns selber hinein. Was gibt es auf dieser Ebene zu verstehen?

Wenn ich auf mich schaue, dann sehe ich Dinge, die ich kann, die ich aus irgendwelchen Gründen soll, muss oder die ich will. Die Ebene der Fähigkeiten und Fertigkeiten, der Dinge, die ich kann, nehmen dabei eine besondere Rolle ein. Es gibt Dinge, von denen ich weiß, dass ich sie kann – die liegen irgendwie auf der Hand, die mache ich einfach. Sowohl die Welt, als auch ich selber wissen und akzeptieren, dass ich bestimmte Dinge kann, zum Beispiel Mittagessen kochen oder einen Blogtext schreiben – das wird auf der Ebene des Könnens nicht in Frage gestellt.

Es gibt aber auch ein verborgenes Können. Etwas, was in mir liegt, aber noch nicht zum Vorschein gekommen ist. Ein in mir liegendes Können also, das unter Umständen sowohl für mich selber, als auch für die Welt nach außen noch nicht geboren worden ist und auf bestimmte Momente oder Situationen wartet. Das ist ein geheimnisvolles Können auf Abruf, das sind Fähigkeiten und Fertigkeiten – die sich nicht immer zeigen und nicht bewusst zu steuern sind, aber plötzlich hervorkommen können.

Eine weitere Art des Könnens ist für mich selber verborgen, für die Welt aber sichtbar. Mir wird etwas zugetraut, etwas angetragen, etwas übergeben – was ich selber gar nicht erkannt, mich bislang gar nicht für fähig gehalten hätte. Die Welt sieht etwas in mir, was ich selber nicht sehe oder wovon ich nichts weiß – was ich aber kann. Je nach dem, in welchem Verhältnis ich „zur Welt“, zu meinen Mitmenschen und dem, was um mich herum lebt, stehe, werden diese Möglichkeiten sichtbar, dann können sie bewusst ergriffen oder eben vernachlässigt werden.

An diesem Beispiel wird sichtbar, wie eng Individuum und Welt miteinander verschränkt sind, welche Möglichkeiten und Verantwortungen Begegnungen zwischen „der Welt“ und mir in sich bergen. Was ist aber eigentlich „die Welt“? Abgesehen von vielem anderen, gehören meine Mitmenschen auf jeden Fall dazu – sie sind außerhalb von mir (und damit gleichzeitig ein Teil von mir). Wie ein ätherisches Netz liegen all die menschlichen Verbindungen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten über der Erde, sind Bestandteil der Welt – und damit von mir.

Über die Worte „sollen“ und „müssen“, ließen sich lange philosophische Abhandlungen schreiben. Das hängt vom Blickwinkel, von der Perspektive, der Lebenseinstellung, dem Menschenbild und vielem mehr ab. „Sollen“ und „müssen“ sind trotz globalisierter Welt individuell und begründen sich durch die jeweiligen Nöte und Gegebenheiten in einem bestimmten Kontext. Es gibt also unterschiedliche Welten in der einen Welt.

Was mir konkret also bleibt, ist mein Wille. Mein Wollen. Willensimpulse werden nicht durch die Welt gesteuert, sondern durch mich selbst, durch mein eingebettet sein in mein Schicksal, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und auch diese Ebene birgt ein Mysterium in sich. Denn, weiß ich, was ich will? Weiß ich wirklich, in der Tiefe, was ich will? Lenke ich meine Füße bewusst auf bestimmte Wege? Ahnungen darüber gibt es. Gefühle. Und an der Oberfläche auch triftige Willensbekundungen. Ein Mysterium aber bleibt es – kennen wir nicht alle die Momente, in denen uns bewusst wird, dass wir etwas gemacht haben und erst später bemerken, dass das gerade dasjenige war, was wir in den Tiefen unseres Seins wollten, was zu unserer Bestimmung gehört – wir aber nicht wussten? Oder umgekehrt, dass wir Dinge tun, für die wir uns nachher schämen – die wir nicht wollten?

Die Fragen, die ich in der Weihnachtszeit gestellt habe, haben etwas in mir ausgelöst. Sie sind von innen nach außen gekommen – ich habe sie der Welt zur Verfügung gestellt. Und viele Bemerkungen, Fragen, Antworten und Kommentare sind daraufhin von außen auf mich zu, zu mir gekommen. Und aus dieser Bewegung entsteht ein Gewebe, ein Netz – ein Atmen zwischen mir und „der Welt“. „Die Welt“ – meine Leserinnen und Leser! – haben mich gefragt oder gebeten, weiter Fragen zu stellen. Ob ich das kann, weiß ich nicht. Ob ich es soll oder muss ist ganz offen. Was ich aber weiß ist, dass ich es will – und darum werde ich es tun. Gerade, weil ich es nicht muss – sondern nur deshalb, weil ich es will! (Deshalb „darf“ ich es.)

Individuum und Welt sind zwei nicht voneinander trennbare Dinge, sie gehen auseinander hervor. Wegweiser sind die Worte können, sollen, müssen - dürfen - und wollen. Allein der Wille ist es, mein eigenes Wollen, das entscheidet, ob ich über ein Können, Sollen oder Müssen hinausgehe, ob ich die Dinge will, darf und tatsächlich tue. Doch wie wecke ich meinen schlafenden Willen sanft auf?

3 Kommentare:

  1. Liebe Sophie, das ist schön, dass du Fragen stellen willst, dir und anderen. Vielleicht müssen sich erst mal alle wieder sammeln, die diese Idee und Bitte hatten; Weihnachten scheint schon endlos weit zurückzuliegen. Deine FRage ist AN SICH schon schön, auch ohne beantwortet zu werden. Ich liebe das Wort "sanft", es war das Lieblingswort der Jahres 2010, und ich glaube, das wird es auch in diesem bleiben. Es scheint zu den wenigstens Dingen zu passen (besonders nicht zu so etwas Starkem wie der Willenskraft), aber seltsamerweise scheint es auch zu fast allem zu gehören. In dem Willen etwas Sanftes zu finden oder in der Sanftheit die Willenskraft zu entdecken - das löst fast schon das Problem. Wenn ich mit meinen pubertären Kindern eine Auseinandersetzung habe, dann muss ich mich nur eine Weile still irgendwo hinsetzen, und der Wille zur Sanftheit ist da. Wenn ich mit mir selber uneins bin, muss ich nur an diese Sanftheit in mir denken, dann löst sich etwas auf und weckt meinen Willen zur Veränderung. O, alles sehr schlecht ausgedrückt und erklärt. Aber egal: danke , dass du "weitermachst". Liebe Grüße von Anna

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  2. schon mal vorweg:
    fast täglich habe ich geschaut, ob es nun weiter geht.Ob es Fragen geben wird. Was Sophie Pannitschka hier schreiben wird.
    Ich wurde ungeduldig.
    Ich fragte mich, nach welchem System, in welchem Rhythmus schreibt sie.
    Wie hält sie es aus, so lange nicht zu schreiben.
    Doch was blieb mir als zu warten, und ins Nichts zu lauschen...
    Welch Freude heute: endlich schreibt sie wieder!
    Jetzt warte ich auf die Nacht und freue mich auf meine Antwort morgen.
    SST

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  3. Sanfter Wille
    Der Blick der Mutter auf das kleine Kind. Ich weiß um Nöte, Befürchtungen, Wünsche;ich weiß um das gute Werden.Ich bin vollkommen sicher im Tun um das Gute, Wahre, Schöne. Reflektiere meine
    Sicherheit auf dem Boden des Lauschens, immerwährend selbst in der Entwicklung seiend;
    so ist mein sanfter Wille anwesend, ich wecke ihn, etwas weckt ihn in mir.
    Zu mir als Ich: der sanfte Wille erweckt sich selbst, indem ich milde mit mir bin, ehrlich, hoffnungsvoll, mich besinne, mir glaube, vertraue auf das Gute, Wahre, Schöne.
    Wach sein im Schlafenden, wachendes Schlafen, Wahrnehmen ohne Nerven, das Flirren aus den Sinnen entfernen;
    Vielleicht gehört dazu, dass zunächst die Sinne überstrapaziert werden, bis ans äußerste gereizt? Um dann sich umzustülpen ins willentlich schlafende Wachsein, wachsam-schlafendes, sanftmütiges Tätigsein.
    In Liebe getragenes, intuitiv wollendes Willeseiendes.
    Werden.

    26.1.2011 SST

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