Montag, 3. August 2009

Das Buch als vertikaler und horizontaler Kulturträger

Bücher - und damit auch ihre Inhalte - gehören zu unserem Alltagsleben. Sie sind normale Gebrauchsgegenstände, die jeder von uns kennt. Ich nehme an, dass die Leser dieses Blogs alle relativ viele Bücher besitzen. Jeden Tag werden in Deutschland derzeit 800 neue Bücher publiziert – heißt es im Deutschlandfunk. Das sind, wenn man fünf Tage pro Woche veranschlagt, etwa 208 000 Bücher im Jahr. Neue (!) Bücher.

Rudolf Steiner sagte in einem Vortrag am 10.10.1913 in Bergen: "Bücher können in der geistigen Welt nicht gelesen werden. [...] erst dann, [...] wenn das, was in den Büchern steht, lebendiger Gedanke der Menschen wird, dann lesen die Geister in den Gedanken der Menschen." Was bedeutet diese Aussage für den lesenden Menschen? Wie hat sich das Buch entwickelt und warum sind Veröffentlichungen eigentlich so wichtig?

Die Geschichte des Buches, des geschriebenen Wortes - und damit der Bewusstseinsentwicklung der Menschen - ist lang. Bereits vor 5000 Jahren gab es in Ägypten beschriebene Papyrusrollen. Dann kam, zu Beginn des ersten Jahrhunderts, der Gebrauch von Schreibtafeln aus gespaltenem Holz, der sogenannte Codex dazu. Seit dem 14. Jahrhundert gibt es „Papier“. Wenig später hat sich in Europa der Buchdruck entwickelt. Neu ist jetzt, etwa seit dem Jahr 2000, dass sich auch der digitale Buchdruck verbreitet hat. Alle diese verschiedenen Ausprägungsformen des Buches beinhalten aber im Wesentlichen das gleiche: Schrift. Inhalte. Gedankliche Darstellungen. Text. Geschriebene Worte. Kurz: Schriftsprache.

In Europa hat seit dem 13. Jahrhundert, mit dem Aufblühen von städtischen Kulturen, die Schriftsprache ihren Aufschwung erfahren. Was zunächst nur dem Klerus oder Adel zugänglich war, wurde in die Volkssprache übersetzt und weiteren Teilen der Bevölkerung zugänglich. Schriftlich niedergelegte Texte - Bücher - bekamen immer mehr Bedeutung. Dieser Umstand war für die Verbreitung von Wissen nicht unerheblich. Reformation und Aufklärung haben davon gezehrt. Heutzutage ist es selbstverständlich, dass wir lesen und schreiben können, dass ein gedanklicher Austausch über das geschriebene Wort stattfindet, und vor allem, dass jeder, der das will, an dem entsprechenden Diskurs teilnehmen kann. Bücher gibt es zu kaufen und zu leihen. Wissen ist - über die schriftliche Form - allgemein zugänglich.

Geschriebenes verbreitet sich zum einen horizontal über die Erde. Das geschieht über soziale Netzwerke, öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Universitäten und andere Bildungsstätten sowie weitere Wege, die direkt über den Menschen laufen. Wichtig scheint mir aber auch der Blick auf die vertikale Ausdehnung zu sein. Das ist die andere Richtung, wie sich Schriftlichkeit – und damit Kultur – ausbreitet, weiterentwickelt und erhält. Der Mensch ist in seiner Gesamtheit - Körper, Seele und Geist - und in seiner Zeitlichkeit - etwa 80 Jahre - zwischen Himmel und Erde gestellt. Das, was wir Menschen in Büchern lesen, wird durch unser Menschsein auch der Ober- sowie der Unterwelt zur Verfügung gestellt. Die Wesen dort lesen keine gedruckten Buchstaben – aber sie lesen in unseren Herzen.

Bücher werden geschrieben, um „Inhalte“ zu verbreiten. Über ein Buch kann das, was ein Autor sagen möchte, in viele Hände, Herzen und Köpfe gelangen. Daraus kann ein stilles oder auch ein öffentliches Gespräch entstehen. Meinungen, Sichtweisen oder Einsichten können kundgetan werden. Geschichten können erzählt werden. Die Kunst des Wortes, der Sprache kann sich durch ein Buch in ihrer reinsten Form aussprechen. Sprache - egal in welcher Form und welchen Inhalts - schafft Kultur. Die Inhalte, die über das geschriebene Wort vermittelt werden, erreichen den Menschen dann, wenn er sie sich zu Eigen macht. Wenn er eigenständige Gedanken dazu entwickelt, sich selbstständig ein Urteil bildet und sich kreativ zu den Inhalten stellt.

Neben dem traditionellen Buch sprechen wir aber auch davon, dass sich Lebensgeschichten, kulturelle Ereignisse oder weltliche Geschehnisse in die Erde einschreiben. Die Erde - die Materie - als unauslöschliches „Buch“. Und zum anderen gibt es den Ausspruch, dass etwas ins „Buch des Lebens“ geschrieben wird – dies ist ein Hinweis auf den Himmel. Zur horizontalen Verbreitung von Geschriebenem, durch menschliche Netzwerke, kommt die vertikale Auseinandersetzung dazu. Es ist der Diskurs zwischen den Göttern, den Menschen und der Unterwelt. Es ist das, was Rudolf Steiner meint, wenn er so lapidar sagt: „Bücher können in der geistigen Welt nicht gelesen werden.“ Wir Menschen sind dazu aufgefordert, die Gedanken, die über ein Buch verbreitet werden, lebendig in uns zu tragen und den Göttern anzubieten. Sie mögen in unseren Herzen das lesen, was wir - unter Umständen - über Bücher erfahren und für wichtig, richtig und gut erachtet haben.

Am 27.7.2009 war der 100. Geburtstag der Dichterin Hilde Domin. Bei der Gedenkveranstaltung in der Stiftskirche in Tübingen, in der die Dichterin noch vor fünf Jahren selbst gelesen hat, wurden einige ihrer Gedichte vorgetragen. Das, was sie der Menschheit durch die Veröffentlichung ihrer Gedichte als Buch geschenkt hat, ist an diesem Abend durch die Herzen anderer Menschen der geistigen Welt angeboten worden.

Das Buch als geistiger Kulturträger – nicht nur in horizontaler Ausrichtung sondern auch in vertikaler.

13 Kommentare:

  1. interessant ist doch auch, dass das, was wir in Büchern nachlesen können, was wir zitieren können, einen allgemeingültigen Wert zu haben scheint -
    ich beziehe das auf meine hausarbeit - nur gedanken, die ich mit fachliteratur belegen kann, haben diskutablen wert...
    ..alles andere ist irgendwie schwammig... bücher helfen, Schlüsse festzuhalten, sie für alle anderen nachvollziehbar und existent (?) zu machen...
    solange ich kein buch geschrieben habe, bleiben meine gedanken für andere nicht verwertbar...
    **kind of funny.. (Rosa)

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  2. Ja, liebe Rosa, mitunter ist gerade das ein Grund, warum ich mein Buch offiziell publiziert habe. Erst dadurch bekommen die Gedanken, die darin zu finden sind, einen diskursfähigen Stellenwert, der nun auch unabhängig von mir weiter verbreitet und entwickelt werden kann.

    ...horizontal und vertikal...

    You got it!

    Und - bleib tapfer an deiner Hausarbeit!

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