Montag, 31. August 2009

Suchen, gehen und finden. Über Parzival und Picasso

Wenn man auf die Geschichte von Parzival schaut, auf seinen langen Weg, den er vom Fortgang von seiner Mutter bis zur Erlangung der Gralskönigsschaft beschreitet, dann kann man eine Perspektive einnehmen, die das Suchen und Finden Parzivals in den Blick nimmt. Was ist es aber eigentlich, was er sucht? Und was findet er tatsächlich?

Das Verb „suchen“ bedeutet ursprünglich, „nachspüren, wittern, ahnen“ und wird im weitesten Sinne von „sich bemühen, etwas Verstecktes oder Verlorenes zu finden“ gebraucht. „Suchen“ beinhaltet also, sich (vorsichtig) zu bewegen. Von einem Ort zu einem anderen, von einer Tatsache zu einer nächsten oder eben von einer Ahnung zu einer weiteren – und das alles mit dem Gespür für das Unbekannte, Neue, Fremde, noch nicht Erreichte. Der Suchende „erstrebt“, „trachtet“, „ahnt“ oder „spürt“ etwas, nach dem er sucht (und das er finden will), er beginnt etwas, öffnet sich, er ist im Kommen.

Das Verb „finden“ bezeichnet den Endpunkt einer Suche – ob sie nun bewusst oder unbewusst vollzogen wurde. Etymologisch kommt das Wort von „auf etwas treten, antreffen, auf etwas kommen“. Die indogermanische Wurzel des Wortes verweist auf „treten“ und „gehen“. Somit gehört auch zum Finden die Bewegung – ob gedanklich oder physisch. Sie muss stattgefunden haben, sonst lässt sich nichts finden. Jemand, der etwas „findet“ ist im Ankommen, er hat sich oder etwas „gefunden“ – innerlich oder äußerlich – er nimmt einen Platz ein, kommt an.

Parzival ist im Laufe seiner Kindheit in der Einöde Soltane, von seiner Mutter Herzeloyde von der Welt abgeschirmt, in eine innere Unruhe geraten. Er lebt in der Natur und ist lediglich mit den Spuren der Tiere vertraut. Ihre Sprache kann er lesen. Mit den unterschiedlichen Menschen, mit Kultur und Gesellschaft ist er nicht bekannt. Er ahnt aber, dass es noch etwas anderes als das abgeschirmte Leben geben müsse. In ihm regt sich die Sehnsucht nach etwas Unbekanntem, Neuen. Er macht sich auf den Weg.

Er trifft auf drei Ritter in ihrer goldenen Rüstung – und er hält sie für Götter. Obwohl er nicht weiß, was er weiß, weiß er plötzlich ganz genau, dass er auf der Suche ist – bislang innerlich und nun auch äußerlich. Parzival verlässt seine Mutter und macht sich auf den Weg, er sucht König Artus – denn das hatten ihm die Ritter gesagt – wenn er so einer werden wolle wie sie, dann müsse er König Artus suchen und finden.

König Artus „findet“ er relativ schnell und er ergattert auch – wenn auch auf unlautere Weise – eine Rüstung. Ist er nun angekommen? Nein. Nun beginnt erst seine eigentliche Suche. Die Suche nach seinem Leben. Seiner Bestimmung. Die Suche nach Sinn. Er „ahnt“, dass es da etwas zu finden gibt. Aber er weiß nicht, was er sucht. Er lässt sich von seinem Pferd leiten. Die Zügel sind locker und das Pferd wählt den Weg – es führt ihn seinem Schicksal entgegen.

Im Laufe des Fortgangs der Geschichte trifft Parzival auf allerhand Figuren und Gestalten, auf Bezugspunkte, von denen er vorher nicht die leiseste Ahnung hatte. Sein Schicksalsnetzwerk wird sichtbar. Er begegnet, neben weiteren Figuren, seiner Cousine Sigune, die ihm wichtige Informationen über ihn selbst gibt, Gurnemanz, der sich ihm als Lehrer anbietet, Trevrizent, seinen Onkel, der ihn in die Gralsgesellschaft einführt, er begegnet Condwir amurs, die ihn die Liebe lehrt, Artus, der ihm zum Gewissen wird, er findet Freunde - Gawan -, er trifft seinen Bruder - Feirefiz - und erlebt manche Aventuire – manches Abenteuer, das aus der Zukunft auf ihn zukommt.

Einmal macht er sich bewusst auf den Weg. Nachdem er Condwir amurs in Pelapeire geheiratet hat, will er seine Mutter suchen, denn er will sie be-suchen und reitet fort. Was er aber findet, das ist der Gral. Er gerät nach Munsalvaesche auf die Gralsburg, die sich nur un-ge-sucht finden lässt. (Seinem gescheckten Bruder Feirefiz aus dem Morgenland geht es übrigens ähnlich: er reitet fort um seinen Vater zu suchen. Was er findet, das ist Parzival – sein Bruder.) Nachdem Parzival später verstanden hat, was er bei seinem ersten Be-such auf der Gralsburg versäumt hat, will er den Weg wieder-finden. Er „sucht“ den Gral – der sich nicht finden lässt.

An dieser Stelle des mittelalterlichen Epos wird deutlich, wie eng die Begriffe suchen und finden miteinander verknüpft sind und gleichzeitig, wie sehr sie voneinander entfernt sind.

Parzival macht beides, er gibt seine Suche auf und führt sie gleichzeitig fort – er „ahnt“, „spürt“, „wittert“ und geht so lange weiter, bis er „auf etwas tritt“. Seine Suche nimmt (vorerst) ein Ende als er endlich die Gelegenheit hat, seinen Onkel mit der berühmten Frage zu heilen – und damit seine eigene Unterlassungssünde zu sühnen.
Er sucht, er-sucht, ver-sucht, be-sucht, unter-sucht und findet, be-findet, emp-findet und er-findet – bis er bei sich selber ankommt.

Das Epos Parzival ist eine Geschichte des Suchens und Findens - des Irrens und Wirrens - und Pablo Picasso drückt in seinen Worten aus, um welchen Mut es geht, den man braucht um seinen Lebensweg zu gehen, in dem man ihn sucht und findet und wieder sucht und wiederfindet.

Ich suche nicht - ich finde.

Ich suche nicht - ich finde.
Suchen, das ist Ausgehen von alten Beständen
und das Finden-Wollen von bereits Bekanntem.
Finden, das ist das völlig Neue.
Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.
Die Ungewißheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die im Ungeborgenen sich geborgen wissen,
die in der Ungewißheit, der Führerlosigkeit geführt werden,
die sich vom Ziel ziehen lassen
und nicht selbst das Ziel bestimmen.
Pablo Picasso

2 Kommentare:

  1. paris, c'est la vie...31. August 2009 um 23:23

    Was findet man, wenn man den weg sucht, eine Sache nicht zu finden?
    Und wenn man ziellos sucht, wie nah liegen die Steine, auf die man treten kann, dann zusammen? Oder tritt man irgewndwann auf jeden Stein?
    Wie neu ist eigentlich das, was man nach der (zielgerichteten) Suche findet?

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  2. Christian Morgenstern:

    Wer vom Ziel nicht weiß,
    kann den Weg nicht haben,
    wird im selben Kreis
    all sein Leben traben;
    kommt am Ende hin,
    wo er hergerückt,
    hat der Menge Sinn
    nur noch mehr zerstückt.


    Wer vom Ziel nichts kennt,
    kann's doch heut erfahren;
    wenn es ihn nur brennt
    nach dem Göttlich-Wahren;
    wenn in Eitelkeit
    er nicht ganz versunken
    und vom Wein der Zeit
    nicht bis oben trunken.


    Denn zu fragen ist
    nach den stillen Dingen,
    und zu wagen ist,
    will man Licht erringen;
    wer nicht suchen kann,
    wie nur je ein Freier,
    bleibt im Trugesbann
    siebenfacher Schleier.

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