Seit Tagen will ich einen Text über das Thema „Doppelgänger“ schreiben. Ich komme aber – so würde man es im Ruhrgebiet nennen – einfach nicht in die Pötte. Die Zeit vergeht, es passiert nichts, ich bin wie gelähmt und beginne schon, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass es diese Woche keinen Blog-Text gibt… Wer oder was versucht mich davon abzuhalten diesen Text zu schreiben, ist es die Wirkung meines Doppelgängers?
Die Vorstellung einen Doppelgänger zu haben, finde ich schon immer sehr unangenehm. Ich kann aber nicht verneinen, dass sich seine Existenz, sowohl bei mir selber als auch bei anderen, immer wieder deutlich bemerkbar macht. In der Psychologie, der Pädagogik, der Literatur und der Karmaarbeit ist das Phänomen bekannt und von vielerlei Autoren beschrieben worden.
Der Konfliktforscher Glasl beschreibt ihn so: Der Doppelgänger „ist die Wirkung meines Denkens, meines Fühlens, meines Wollens und meines Tuns, wann immer diese seelischen Tätigkeiten von meinem Selbst nicht durchdrungen und nicht geleitet worden sind. Wie mein Schatten begleitet und verfolgt mich mein Doppelgänger auf Schritt und Tritt und wird mir zur Last. Ich trage ihn wie eine Bürde auf meinem Rücken mit mir und kann mich schwer von ihm trennen.“ (Glasl, S. 35)
Die Seite in mir, die sich der Doppelgänger nennt, entsteht also ganz selbstverständlich im alltäglichen und sozialen Leben und gehört – auch über eine Inkarnation hinaus – fest zu mir. Unbewusstes, Unverarbeitetes, Traumatisches, Unabgeschlossenes und andere ungeklärte Situationen führen (laut Untersuchungen) dazu, dass ich Anteile in mir habe, die sich als Schatten zeigen. Dieser Gedanke erklärt, warum es so schwer ist, einen Doppelgänger los zu werden – aber, darum geht es ja vielleicht auch gar nicht.
Wenn ich mich auf die Existenz des Doppelgängers einlasse, dann kann ich seine Erscheinungsformen, sein Handeln und eben auch seine Wirkung auf mich beobachten, kann sie untersuchen. Wann tritt er auf? Wo? Oder auch, wodurch? Wie mischt er sich ein? Und was will er eigentlich?
Ein Doppelgänger hat meines Erachtens zwei Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen: Entweder spricht er in mir – ist eine der vielen Stimmen, die sich in meinem Inneren zu Wort melden und oft gegensätzliche Vorhaben und Meinungen vertreten. So ist es mir in diesem Fall gegangen. Da gab es eine Stimme die gesagt hat: „Ach, schreib den Text doch später.“ Oder: „Was hast du überhaupt dazu zu sagen?“ Oder: „Darüber gibt es doch schon genügend Texte.“ Oder: „Überlege es dir morgen noch mal.“ Ich könnte diese Aufzählung weiterführen. Die Stimmen, die gegen diese Ansicht sprachen sind erst jetzt, seitdem ich tatsächlich schreibe, stärker geworden.
Der Psychologe und Kommunikationstrainer Friedeman Schulz von Thun nennt dieses Stimmen-Phänomen der inneren Pluralität, der gegenläufigen Strömungen oder schlicht der Stimmenvielfalt das „innere Team“ und er beschreibt in seinen Büchern sehr überzeugend, wie die Phänomene aussehen und vor allem, wie man damit umgehen kann. Denn, sie sind völlig normal.
Das ist die eine Möglichkeit, die innere, den eigenen Doppelgänger wahrzunehmen. Die andere ist dementsprechend die äußere. Durch unser eigenes Verhalten „provozieren“ wir unsere Umgebung – unsere Mitmenschen! – so, dass sie den Doppelgänger in uns herausfordern, angreifen, entlarven oder verletzen. Da gibt es Bemerkungen oder Verhaltensweisen, die bei genauer Betrachtung, nur an meinen Doppelgänger gerichtet sein können – oder vom Doppelgänger des anderen ausgesendet werden.
Neulich habe ich jemandem etwas erzählt und der schaute mich plötzlich an und sagte so ganz beiläufig, „deine Stimme hat in dieser Erzählung einen unangenehmen, inquisitorischen Klang“ und ich realisierte, dass mein Doppelgänger, der immer Recht haben will und der sowieso alles besser weiß, durch mich gesprochen hat. Nun kann ich über so einen Satz natürlich nonchalant hinweggehen – so, als wenn nichts gewesen wäre – oder ich halte inne und sortiere mich neu, denn, so wollte ich mich ja gar nicht zeigen. In diesem Fall bin ich zwar erschreckt über die Bemerkung, aber gleichfalls dankbar.
Eine weitere Möglichkeit, in meiner Alltags-Stimme mein höheres Ich von meinem niederen Ich zu unterscheiden ist, den Bemerkungen meiner Umgebung gut zuzuhören. Jeder Satz, den wir hören, hat vier Klänge, schwingt auf vier Ebenen. Schulz von Thun nennt es in seiner Darstellung das Vier-Ohren-Modell. Es geht um den Sachinhalt, (den ein Satz transportiert), die Selbstkundgabe, (die der Sprecher damit über sich macht), die Beziehung, (die der Sprechende und der Zuhörende in diesem Moment zueinander haben) und den Appell (den der Sprechende durch seine Mitteilung an den Zuhörenden richtet). Je mehr wir uns darin schulen diese vier Klänge voneinander zu unterscheiden, umso weniger wird ein Doppelgänger unbewusst durch uns sprechen – oder besser: krakeelen – können. Aber nicht nur, dass wir selber bewusster mit unserem eigenen Sprechen umgehen werden, sondern wir können auch die verschiedenen Botschaften unseres Gegenübers klarer differenzieren.
Mein eigenes „karmisches Unordnungs- oder Ausweichwesen“, so wie Coenraad van Houten den Doppelgänger nennt (S. 19), ist jetzt stiller geworden, weil es bemerkt, dass ich es – trotz allem - achte. Ich habe mich zwar über sein Anliegen hinweggesetzt, allerdings nicht mit einem theoretischen Text – so, wie mir das erst vorschwebte – sondern, durch das Beschreiben dessen, wie es mir mit meinem Doppelgänger konkret ergangen ist. Sein Wesen, das erlöst werden möchte, gesteht mir jetzt sogar mit leiser Stimme zu, dass ich ja vielleicht doch in der Lage bin, etwas über Doppelgänger zu schreiben.
Glasl, Friedrich: Konflikt Krise Katharsis und die Verwandlung des Doppelgängers. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 2. Auflage 2008.
van Houten, Coenraad: Der dreigliedrige Weg des Schicksalslernens. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 2003.
Schulz von Thun, Friedemann:
- Miteinander reden 1: Störungen und Klärungen.
- Miteinander reden 2: Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung.
- Miteinander reden 3: Das „innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg.
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
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Wort und Wort
Hilde Domin
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