Sonntag, 25. August 2013

Firenze 1490. Was webte zwischen den Beteiligten des Kreises um Lorenzo de Medici? Teil IV (letzter Teil)


Ich habe zu dem florentiner Geschehen des ausgehenden 15. Jahrhunderts einen Zugang, fühle mich darin wie in einem geistigen Zuhause. (Warum genau?) Wenn ich (physisch oder geistig) durch die Straßen der mit Touristen überfüllten Stadt schlendere, habe ich das Gefühl an einer sprudelnden Quelle zu sein, obwohl ich über alte, trockene und staubige Steine laufe. Die Stadt ist zwar sonnendurchglüht und warm, ansonsten aber so richtig tot, das ist bekannt. Ungeachtet dessen scheint mir ein goldenes Band wie um die Stadt geschlungen zu sein, gleichsam wie eine Nabelschnur, die in die alte Zeit reicht und aus der noch immer Nahrung für die Zukunft kommt, wenn man die Aufmerksamkeit darauf lenkt.

Was gibt es also von dem damals Geschehenen zu lernen? (Warum gibt es heute eine Medici-Ausstellung in Mannheim, in der Bilder, Schädel und Gebeine ausgestellt werden?) Das Inspirierende und Zukunftsträchtige an der damaligen Konstellation und den sich daraus ergebenden Bezügen und Intentionen scheinen mir, unter anderem, folgende Aspekte zu sein:

Die Leitfrage
Über die bloße Existenz des Menschen hinaus, nicht zu frieren oder zu hungern, beschäftigte die Menschen damals die Frage, was der Mensch in seiner Vielschichtigkeitr sein kann (mehr als die Kirche ihm glauben machte). Was bedeutet Menschsein, wenn der Mensch ein auf sich selbst gegründetes Individuum ist, das offenbar von eigenen geistigen Motiven durchdrungen ist? Welche Möglichkeiten ergeben sich und wie wird die Spannung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Mann und Frau, arm und reich eingeordnet und vor allem gelebt? (Diese Frage beschäftigt uns noch heute.)

Das Netzwerk
Der Kreis bildete damals ein gemeinsames Netzwerk, sowohl über familiäre Bande und in gewisser Weise auch über den Berufsstand und -status hinaus (was damals noch gar nicht üblich war). Die Beteiligten  „wollten“ etwas und bezogen sich aufeinander – auch über eine „Freundschaft“ hinaus. Die Männer verband etwas, was über sie hinausging. Krisen führten nicht zu einem Abbruch der Beziehungen, sondern wurden durchlebt. Nicht nur die lichte Seite, sondern auch die dunkle wurde miteinander geteilt. Getragen wurde das Netzwerk von gegenseitiger Aufmerksamkeit, Hingabe und eigener innerer Aufrichtekraft. (Davon können wir noch etwas lernen.)

Der philosophische Griff
Die Überwindung des rein „Aristotelischen“ führte nicht dazu, dass es abgelehnt und stattdessen Plato bevorzugt wurde, sondern führte zu einer gedanklichen Vermählung, in der das Christentum den Mittelpunkt ausmachte. Wissen wurde aus der ganzen Welt zusammengetragen (auch, damit später die Naturwissenschaften entstehen konnten), es gab keine Vor-urteile, sondern neue Einordnungen. Das, was auf philosophischer Ebene erarbeitet wurde, fand einen direkten Niederschlag im Alltagsleben. Das Individuum übernahm Verantwortung für sich selbst. Tragend wurden die großen Werte: das Wahre, das Schöne und das Gute. (Ein obligatorisches philosophisches Grundstudium täte jedem gut.)

Die Zusammenarbeit
Auf der gedanklichen Ebene wurde das Netzwerk von einem philosophischen Umgang mit dem Leben getragen. Das menschliche Miteinander des Kreises um Lorenzo war Ausdruck für die seelische Ebene, die im weitesten Sinne mit dem Begriff einer ideellen Freundschaft zu umschreiben ist. Die willentlichen Anstrengungen, die Fertigung von künstlerischen Werken aller Art, die damals in Firenze entstanden und eine unglaubliche Lebendigkeit und Freude über das Dasein der Menschen präsentierten, sind ein Bild für das Wollen. (Wohin führt uns das heutige Spezialistentum?)

Das Abbild
Das heutige Abbild des Bestrebens in Firenze ist auf physischer, seelischer und geistiger Ebene zu finden. Philosophie, Politik und Poesie bilden ein Ganzes und weisen den Weg aus der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft. Nicht nur, damit die Menschheit weiter bestehen kann, sondern damit jedes Individuum in der ihm eigenen Weise erblühen kann (Aristoteles) und die Erde „veredelt“ wird.

Für die Weiterführung des Impulses ist Großherzigkeit von Nöten: Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Vertrauen. Die Dinge des Lebens groß sehen, das eigene Herz weiten und die Freunde darin aufnehmen. Nötig, not-wendend, ist der florentinische Umgang miteinander bis heute. Durch den Zweifel, die Einsamkeit und die Verwirrungen des Einzelnen hindurch (karmischer Hintergrund), hin zu einer polyphonen Lebendigkeit inmitten einer Gesellschaft, die von einem Menschenbild getragen wird, dessen Leitbild die Freiheit des Individuums innerhalb eines aufeinander bezogenen Kontextes ist. Das Erbe aus Firenze bietet sich an, steht zur Verfügung und lädt dazu ein, neue Formen des Zusammenlebens und -arbeitens zu etablieren. Mutige Taten sind gefragt.

Die Bestrebungen der Gefährten um Lorenzo wollen durch Menschen beachtet, befreit und weitergetragen werden, damit die Zukunft das sein kann, was sie ist: ein offener Raum für mündige Bürger, deren Grundlage die Freiheit und Würde des Individuums ist. Ich habe eine Zuneigung zu Firenze wie zu etwas Verlorenem, was ich nach langem Suchen wiedergefunden habe.

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