Sonntag, 4. August 2013

Firenze 1490. Was webte zwischen den Beteiligten des Kreises um Lorenzo de Medici? Teil I


Ja, möglicherweise ist mein Bild, das Bild dessen, was damals in Firenze gelebt hat idealisiert, glorifiziert, weil es nach Sommer riecht, nach Wärme und Licht duftet – von Hoffnungen und Wünschen getragen wird, dass es so gewesen sein müsse, so gewesen sein solle oder könne – ein objektives Bild lässt sich kaum malen, geht es doch letztendlich immer um die Deutung dessen, was geschah – und das hängt wieder von der Perspektive ab, aus der man schaut… In Firenze scheinen mir damals entscheidende Dinge entstanden zu sein, besondere Begegnungen stattgefunden zu haben.

In mir lebt die Vorstellung, dass der engere und weitere Freundeskreis um Lorenzo (wer gehörte alles dazu?) zum einen in einer Bezogenheit auf- und zueinander lebte, webte und arbeitete und zum anderen in einer Freiheit zueinander stand, die es möglich machte, das Eigene, das Innere, den Schatz ans Licht zu bringen und dem Gemeinsamen zur Verfügung zu stellen. Hinwendung und Zuwendung zueinander wurden der Idee des Lebens angeboten: das geistige Band aus Antike und Mittelalter in die Neuzeit hinüber zu werfen, neu zu ergreifen, der Aristotelischen Philosophie die des Platon hinzuzugesellen und so die Öffnung ins Lichte zu nutzen, ein freies Gesamtbild des Menschseins zu konzipieren (und zu leben!).

Jeder der Beteiligten (wie viele waren es?), von denen wir heute noch etwas wissen, brachte dafür „etwas“ mit und trug „etwas“ bei. Schauen wir uns Firenze 1490 an. Die Stadt, ein aufgeklapptes Geschichtsbuch, hat etwa 75 000 Einwohner, man kennt sich also. Firenze ist größer als London und Rom und weit über die Toskana hinaus bedeutend. Die Stadt glänzt, sie ist reich und prächtig gebaut, man lebt am Arno in einem angenehmen Klima, reitet und reist per Pferdekutsche oder auf dem Schiff.

Dante, Boccaccio und Petrarca haben ihr geistiges Vermächtnis der Stadt bereits übergeben. Jetzt nimmt der Buchdruck seinen Lauf und es wird (für die Mittel- und Oberschicht) viel einfacher, an geschriebene Inhalte und somit an befreiende Gedanken, lichtdurchflutete Ideale, philosophische Abhandlungen oder aufregende Erzählungen zu kommen. Das Mittelalter ist definitiv vorüber und die Neuzeit im Kommen. Lesen, Schreiben und Sprechen sind erstrebenswerte Bildungsmerkmale um das Individuum zu konstituieren.

Nichtsdestotrotz gab es für jede Bildungsschicht gute Gründe in Firenze zu sein. Auf dem Mercato Vecchio trifft man sich beim Einkauf, der Stoffmarkt bietet mit seinem Tuchhandel ein großes Angebot, ständig werden öffentliche Feste gefeiert, religiöse und weltliche, zu denen die Bevölkerung eingeladen ist, Turniere werden veranstaltet, Geld wird gewechselt und verliehen. Es gibt neue Kunstwerke zu besichtigen, die Domkuppel ist geschlossen worden, Architekten, Maler und Bildhauer, deren Ruf weit über die Stadt hinausgeht, offerieren Gebäude, Gemälde und Skulpturen und werden mit Aufträgen überhäuft. Die Gelehrten der Stadt nehmen Schüler an, denen sie humanistisches Gedankengut nahebringen, man spricht auch in der gelehrten Öffentlichkeit nicht mehr nur Latein, die toskanische Volkssprache avanciert an die Tafeln der Bildungsträger und in die Stuben der Gelehrten.

Das Bildungsideal baut auf den Sieben Freien Künsten auf: Grammatik, Rhetorik, Dialektik bzw. Logik und dann Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Alle Fächer werden unter den Gelehrten gepflegt und sind Grundlage für die spezifische Ausrichtung. Zu den Aristotelikern kommen die neu erwachenden Platoniker hinzu und es wird ein Diskurs entfacht, der die religiöse Dimension des Christentums mit in die Überlegungen einbezieht. Orient und Okzident treffen aufeinander, da die Originaltexte übersetzt und somit zugänglich werden. Die Antike schwingt sich als Phönix aus der Asche zu einem neuen Schritt in der Menschheitsentwicklung empor. Die Renaissance gebiert sich in allen Feldern des Lebens, eine geschenkte, sich schenkende Zeit.

Mittelpunkt des florentinischen Netzes ist im Kern Lorenzo de Medici. Er ist einundvierzig Jahre alt und hat 1490 nur noch zwei Jahre zu leben. Seit zwanzig Jahren steht er an der Spitze des Stadtstaates und hat schon manche außen- sowie innenpolitische Krise überstanden. Er ist ungekrönter Herrscher der Stadt, erster Bürger der Republik. Er hat mit seiner Frau Clarice Orsini aus Rom (sie ist bereits zwei Jahre zuvor gestorben) sieben Kinder und ist in vielerlei Hinsicht unterwegs: Er dichtet, tanzt und singt, er regiert, argumentiert und überzeugt, er stellt sich vor seine Stadt, steht für sie ein, investiert in Kunst, Kultur und Philosophie, streitet sich mit dem Papst und vertritt, trotz seiner körperlichen Gedrungenheit die Schönheit des Lebens. Er ist Politiker und Poet und auf dem Weg in die Philosophie, er ist der „Ermöglicher“ des florentinischen Sommers.

Bereits sein Großvater, Cosimo, wusste, dass zur Regierung einer Stadt nicht nur diplomatische und strategische Fähigkeiten gehören, sondern auch poetische und philosophische. Er hat die Platonische Akademie gestiftet und Marsilio Ficino zum Leiter dieser berufen.

Fortsetzung folgt.

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