Der Brief an den Freund hat Wirkung gezeigt. Die Medici-Ausstellung in Mannheim ist da und macht betroffen. Es ist ein gleißend heller und heißer Tag, der Staub der Straße vermischt sich mit dem Schweiß der Haut, nur noch die Blüten, die der Sonne trotzen können, strahlen in die Bläue des sommerlichen Himmels. Die Pflastersteine des Bürgersteigs haben die Wärme angenommen, Ausdehnung und Schläfrigkeit übernehmen die Regie. In der Stille hören sich die vielen Geräusche wie klopfende Lebenszeichen an. Das Tor zur Ausstellung ist im ersten Stock und führt in die dunklen Grabkammern der Medici-Dynastie.
Aber, trotz Dunkelheit, strahlt auf dem ersten Bild die Stadt am Arno. Ein großes, lichtdurchflutetes Foto nimmt den Betrachter wie in die Arme, heißt ihn willkommen, stellt sich als Präludium zur Verfügung und zeugt von der dauerhaften Präsenz der alten Zeit. Das Bild lässt die Stadt wie an den Rand der Bühne vortreten und sich hell im Dunklen zeigen: Hier präsentieren sich die entscheidenden Requisiten, das Bühnenbild, hinter dessen Kulissen und in dessen verborgene Geheimnisse die Ausstellung Einblick gewähren will.
Die Silhouette der Stadt zeigt steinerne Mauern, Gewölbe, Dächer. Der Dom, unverkennbar, der Campanille, stolz und erhaben, der Palazzo Veccio, in dem Politik betrieben wurde, Santa Croce, San Lorenzo, San Marco um die zuvorderst herüberwinkenden Gebäude zu nennen. Fast vierhundert Jahre Medici – untrüglich mit Florenz verbunden, auch wenn es eine ganze Menge Exilzeiten zu beklagen gibt. Mich interessieren die goldenen Jahre, die mich immer wieder berühren, das 15. Jahrhundert - darin kenne ich mich aus.
Vom Tageslicht gänzlich abgeschirmt und an schwarze Wände gehängt, zeigen sich Bilder, Tafeln, Texte und Vitrinen. Das gemalte Antlitz der Lebenden wird den Todesumständen gegenüber gestellt. Cosimo il Vecchio, 1389-1464, der als entscheidender Begründer des Medici-Mythos im Florenz des 15. Jahrhunderts genannt wird, hatte eine Krankheit die damals Gicht genannt wurde, und heute unter dem Namen Arthritis firmiert. Die Untersuchungen seiner Wirbelsäule, die nach der erneuten Exhumierung aus der Grablege in San Lorenzo gemacht wurden, zeigen Verwachsungen auf, außerdem soll er von der Schuppenflechte geplagt worden sein. Gestorben ist er im Alter von 69 Jahren an Nierenversagen.
Seinem Sohn Piero il Gottoso, 1416-1469, ging es kaum anders, er überlebte seinen Vater nur um fünf Jahre. Von der Arthritis schwer gezeichnet, ebenfalls vom Juckreiz der Schuppenflechte stark geschwächt, erlag er mit 53 Jahren einer Hirnblutung. Lorenzo il Magnifico, 1449-1492, wurde nur 43 Jahre alt, er wurde ebenfalls von Arthritis und Schuppenflechte geplagt, die Todesursache ist jedoch bis heute, auch nach der erneuten forensischen Untersuchung, unbekannt. Er starb in Careggi, an jenem Morgen, im April. Sein Sohn Piero lo Sfortunato, 1472–1503, übernahm bis 1494, zum Einmarsch des Königs von Frankreich, das Regiment, er erlebte die Rückkehr seiner Familie an die Macht in Florenz aber schon nicht mehr, denn er ertrank während eines Kampfes in einem Fluss.
Das Attentat auf Lorenzos Bruder Giuliano, im April 1478 im Dom, dem auch Lorenzo zum Opfer fallen sollte, bekommt durch die dargestellte forensisch-anthropologische Analyse noch einen grausameren Beigeschmack als ihn dieser Mord sowieso schon hatte. Während des Hochamtes müssen sich die Mörder auf den ahnungslosen Liebling der Florentiner mit Mordwaffen gestürzt haben. Neben den Tatwaffen wird auch Giulianos Schädel mit den vielen tödlichen Verletzungen gezeigt. Auch der rechte Unterschenkelknochen wird mit seiner „Läsion“, wie es offensichtlich fachsprachlich heißt, präsentiert.
Was sagt der Tod über das Leben aus? Die Todesursache über das Leben des Einzelnen, mit seinen vielen Momenten des Zweifels, der offenen Fragen, der Hilfsbedürftigkeit? Oder auch den Momenten des Glücks, des Aufgehobenseins, des Erfolgs? Schon damals reichte das Schicksalsnetzwerk über die familiären Bande hinaus. Wer waren die Mitarbeiter in den Geldgeschäften, wer die Sekretäre, die Angestellten im Haus, die Reiter, Boten, Botschafter, Lehrer, Vertraute oder gar Freunde? Das Leben der Medici im 15. Jahrhundert ist ohne den Netzwerkgedanken nicht zu verstehen.
Aber diesen Blickwinkel präsentiert die Ausstellung nicht, sie hält sich an verwandtschaftliche Bande. Wohl tauchen, fast nebenbei, ein paar bekannte Namen auf, Michelangelo, Leonardo da Vinci, Savonarola, Botticelli, Angelo Poliziano, Pico della Mirandola, Marsilio Ficino… Doch in den Grabkammern der Medici liegen nur Medici und jeder für sich allein, heute wieder in San Lorenzo. Geheimnisse bleiben Geheimnisse, vergessene Geburtstage bleiben vergessen und auch die geöffneten und wieder verschlossenen Gräber hüllen sich weiterhin in Schweigen.
Gerade durch den Blick auf die Schädel erwachen in meiner inneren Welt die Toten. Sie verwirren mich. Tot bedeuten sie mir nichts, denke ich, was mich wach, offen und neugierig macht ist doch ihr Leben, sind ihre Motive, ihre Impulse und Intentionen sowie ihre Sehnsüchte und Bestrebungen – auch noch nach fünfhundert Jahren, ich bin, wieder einmal, wie elektrisiert und spüre Ruhe und Unruhe zugleich. Was ist es, was zwischen den Menschen um Lorenzo im alten Florenz gewebt hat, was durch den Kreis um ihn geschehen ist, durch Begegnungen und gemeinsame Vorhaben und Unternehmungen entstanden ist? Und, vielleicht noch spannender, welche ihrer Pläne konnten noch nicht verwirklicht werden, was liegt noch immer in dem verborgen, was wir Zukunft nennen, was darauf wartet, gegenwärtig werden zu dürfen?
Dass sich die Medici-Dynastie durch Todesumstände und Schädel in Mannheim präsentiert und in Erinnerung ruft, berührt, von Beginn der Ausstellungseröffnung an wusste ich, dass ich mich wieder in diese Geschichte begeben würde, die irgendwie zu mir gehört. Aber ich habe bis auf die letzte Woche der Ausstellung gewartet, bis ich hingegangen bin… Und heute sitze ich hier bei einem Espresso und frage mich, was, zum Teufel, ich mit den alten Typen aus Florenz nun wirklich zu tun habe, denn mein Berührtsein hat doch wohl eine Quelle und einen Sinn…
Liebe Sophie,
AntwortenLöschenwas webte zwischen den Leute damals? Ich glaube, es war ein freier und strahlender Menschengestalt, am meisten sichtbar gemacht in der lebendigen Gestalt von Pico... Ein Traum, könnte man vielleicht sagen, oder besser noch: eine Ahnung, eine Hoffnung... Der Tod (das Sterben, die Knochen) zeigen eigentlich das Anti-Bild, aber wie es mit Anti-Bilder wohl war sein kann, wenn wir es wollen und in uns vollziehen: sie wecken das wahre Bild. Sehr schön geschrieben! Herzlich, Jelle
Lieber Jelle, herzlichen Dank für deinen Kommentar - bzw. die entscheidende Frage. Ich werde mich in einem weiteren Text am Wochenende dazu äußern und die Reihe über Firenze fortführen. Ja, schon sehr spannend alles... Herzlich! Sophie
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