Freitag, 27. Mai 2011

Eine alte Geschichte: Gold im Westen

Die Insel ist grün. Es ist warm, in der Luft schwirrt eine Vogelschar. Es ist noch früh am Morgen, die Sonne noch nicht hervorgebrochen. Die Nacht verabschiedet sich zugunsten des Tages, der Übergang ist noch nicht ganz vollzogen. Eine graue Stille liegt über dem Land, dem Himmel und dem Wasser. Das Meeresrauschen ist aus der Ferne sanft zu hören. Nachdem sich die Schar lautlos niedergesetzt hat, fliegt sie jäh wieder auf. Das Schauspiel wiederholt sich.

Als ich aufwache, dröhnen die mahnenden Worte des gestrigen Abends angriffslustig über mir. Aber ich kenne die Dämonen der Sprache, die des Wortes und besänftige sie durch meine Anteilnahme. Sie sind aus dem dunklen Abgrund, einer engen Felsspalte geschlüpft, weil sie sich eingeladen wähnten und finden sich jetzt, im Licht des anbrechenden Tages und unter freiem Himmel, nicht zurecht. Obgleich ich noch müde und schlaftrunken bin, nehme ich sie an die Hand und führe sie zurück – in ihre finstere Heimat im dunklen Land.

Die mahnenden Worte aber bleiben mahnende Worte – ich weiß, dass sich die Zeiten ändern werden. Die himmlischen Gestirne Sonne, Mond und Sterne bleiben das Gold des Himmels, auch wenn es auf der Erde dunkel wird. Noch aber sind die Sterne nicht gänzlich hinter den Wolken verschwunden, noch weisen sie den Weg durch die Nacht, wenn das Licht des Tages nur noch diffus scheint und das Entscheidende vom Unwesentlichen nicht mehr trennt.

Ich taumele den Weg durch das Dickicht des Waldes zurück zu meinem Zelt. Ich finde ihn zielsicher, wenn ich die Augen schließe und mich leiten lasse. Die weiche Erde unter meinen Füssen weist mir den Weg, sie weiß es besser als mein Kopf, und trägt mich zurück. Das weiße Gewand schmiegt sich um meinen Körper, die Wärme des Tages ist noch nicht durch die Wolkendecke gebrochen, noch wärmt mich die Nacht und das goldene Amulett, das vor meinem Herzen hängt.

Es ist eine geraume Zeit vergangen, seit er mit einer auserwählten Schar die Reise angetreten hat. An seiner Seite stehend, habe ich die Frauen ausgewählt die mit ihm ziehen sollten und die Männer, die sich mit den Kindern in die Berge zurückziehen würden, bis das Licht eines neuen Tages anbrechen würde. Mein Vater hatte den Hafen zu schützen, ich den heiligen Platz auf der Lichtung im Wald.

Ich entzünde das Feuer, wärme das Wasser und singe ein Lied. Die Erde beruhigt sich, der Himmel wölbt sich und macht der strahlend aufgehenden Sonne Platz. Die Vögel verschwinden, nichts regt sich mehr, der Himmel ist blau. Es ist still. Ich schaue aufs Meer. Sonnenstrahlen glitzern auf dem unbewegten Wasser. Ich warte und nehme den sich entfaltenden Tag in mein Herz auf. Ich bin da und warte.

Und am Abend ist es soweit. Der Tag neigt sich und am Horizont, weit auf dem Meer, erscheinen die Schiffe. Ihre weißen Segel erhellen den sich trübenden Himmel. Ein Schiff taucht nach dem anderen auf, ganz vorne das große mit dem goldenen Schein. Ich erkenne es sofort. Ich stehe auf, erhebe meine Arme zum Himmel, neige mich zur Erde und lasse dankbar und freudig meinen Tränen freien Lauf.

Die Vögel erscheinen wieder und fliegen zwischen Wasser und Land, zwischen Schiff und Zelt hin und her. Sie sind die Boten zwischen Tag und Nacht. Die Schiffe werden das Land erreichen, wenn die Nacht gewichen sein wird, bis dahin ist es Zeit, den Empfang vorzubereiten, die Nachrichten aus der Fremde aufzunehmen, das Gold auf den Meeresboden gleiten zu lassen. Und die Zeit ohne Fragen noch ein wenig zu feiern. Die Zeit, in der das Bekannte, die Öffnung, der Zugang zueinander regiert.

1 Kommentar:

  1. wolfkollmann@libero.it28. Mai 2011 um 12:04

    Die Sehnsucht ist die gleiche! Nur sind deine Worte wie getragen von bewusst ergriffenen Bildern. Ich bin auf Umwegen, erschaffe Bilder über Menschen, über junge Menschen, denen ich diene. Sie empören mich manchmal, aber sie stören mich nicht mehr. Es ist anders geworden, mein Schicksal hat sich gewendet. Ich erkenne an, was ist, was mich leitet, was mich formt. Noch habe ich nicht die Bilder gefunden, aus denen ich selber schöpfen kann, aus denen ich mich wahr und wirklich fühle. Es ist ein Weg dahin zu gehen. Ich bleibe berührt von deinen Worten. Und ich kann die Bilder sehen. Das ist neu, das ist, als ob ein erweiterter Raum sich öffnen würde, und wahr ist. Der Himmel hat nach dem vielen Regen wieder aufgetan. Weich, lebendig schimmert das Licht, es vibriert. Erschaffen im Schauen. Nach der Sehnsucht hin.

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