Der öffentliche Diskurs über Arbeitslosenzahlen, Hartz IV Empfänger, Erwerbstätigkeit und -losigkeit, befristete oder unbefristete Arbeitsstellen und die große Angst vor der Zukunft macht es in Deutschland – und nicht nur da – möglich und nötig, tiefer in das Thema einzusteigen. Deutschland als Bildungsland ringt mit der Zukunft ihrer erwerbstätigen Gesellschaft. Wohin führt sich das Land, wohin führen wir uns? Und, „was wollen wir wirklich, wirklich?“ – wie Prof. Dr. F. Bergmann die alles entscheidende Frage immer wieder betonte.
Passend zu diesen weit um sich greifenden, in der Luft fassbaren Themen hat die Anthroposophische Gesellschaft Deutschland einen großen Kongress mit dem Titel „Zukunft der Arbeit – Karma des Berufes“ in Bochum organisiert (24.-27.6.2010). Der große Saal war bis zum letzten Platz belegt – es waren sicher 500 Tagungsteilnehmer anwesend. Mitgeteilt wurde von den Veranstaltern, dass mehr als ein Drittel der Teilnehmer nicht Mitglied der Gesellschaft seien – was positiv hervorgehoben wurde und auf die Relevanz des Themas sowie ein anregendes und kompetentes Veranstaltungsangebot verwies.
Von Donnerstagnachmittag bis Sonntagmittag wurde in und um die Waldorfschule herum in verschiedenen Gruppen und Foren über das Thema nachgedacht und geredet, alte und neue Ideen wurden ausgetauscht – viele Menschen sind miteinander in Kontakt gekommen oder haben sich kennengelernt – konträre Meinungen und Fragestellungen wurden in den Raum gestellt. Es wurde geredet & geredet, man konnte zuhören & zuhören und sich viele Gedanken machen. All dies bezog sich aber im Wesentlichen auf das Begriffsgebiet der heutigen Arbeitssituation.
Die Fragen, mit denen ich angereist war, kamen aber aus einer anderen Richtung: Wie verhalten sich Erwerbstätigkeit und Berufung zueinander? Was verbindet den Beruf mit dem persönlichen Karma? Welche Rolle spielen karmische Gegebenheiten für die Zukunftsgestaltung? Wie stehen Erwerbstätigkeit und Karma zueinander? Kann man Arbeitsämter und Jobcenter in einem Atemzug mit Reinkarnation und Karma nennen? Dass Arbeit und Einkommen keine Synonyme sind, hat sich ja schon herumgesprochen. Und auch, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein voneinander verschiedenes Karma haben.
Diese Fragen und Themen liegen meines Erachtens schon auf dem Tisch. Aber auch innerhalb der anthroposophischen Bewegung wurde darüber nur sehr leise gesprochen. Auf der Bühne gab es im Plenum weder deutliche Fragestellungen geschweige denn Antworten dazu. Gesprochen wurde über das öffentliche und soziale Leben, über Unternehmer und Mitarbeiter, über Begriffe und neue Denkansätze. Und über die Neue Arbeit (Fritjof Bergmann).
Begünstigt durch das strahlende Wetter fand die Konferenz nicht nur in dem Räumen der großzügigen Schule statt, sondern auch draußen unter blauem Himmel. Der Ort bot sich an und trug das Seinige zum guten Gelingen bei. Die Tagung war gleichzeitig die jährliche Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft Deutschlands, was den Umstand mit sich brachte, dass die Mehrheit der Teilnehmer nicht nur grau, sondern schlohweiß war. Und an dieser Beobachtung entsteht eine Frage, die mich beschäftigt hat.
Wer war da eigentlich alles versammelt? Welche Berufsbiographien saßen da beieinander? Welche Positionen bekleideten die Anwesenden? Welche karmischen Fragen schwebten im Raum? Leicht hätte man zu Beginn der Veranstaltung fragen können, welche der Teilnehmer berufstätig, wie viele erwerbstätig oder eben arbeitslos seien? Wer von seinem Beruf leben könne, wer für seinen Beruf lebe oder wer vor seinem Beruf stehe… nur um ein Bild zu kreieren! Die Zahl der Rentner war hoch – das lässt sich nicht verschweigen – aber auch die Jugend, „unsere gesellschaftliche Zukunft“ war deutlich vertreten.
Und obgleich meine Annahme ist, dass die Teilnehmenden alle, auf die eine oder andere Weise, mit den angesprochenen Fragen zu tun haben, drohen wir im Alltag daran zu zerbrechen, wenn die großen Zusammenhänge nicht sichtbar werden. Die Karma-Frage wurde, sogar trotz Totengedenken, nur ganz marginal gestreift, was auch der Grund dafür ist, dass ich darüber kaum etwas berichten kann.
Einige der großen Männer, die sich zurzeit Gedanken über den Fortgang des gesellschaftlichen Lebens in dieser Hinsicht machen, haben auf der Bühne Vorträge gehalten, haben Gedanken und Ideen zum Thema im Raum angeboten. Der Spannungsbogen ging dabei von Götz Werner (Gründer des dm-Konzerns), der frei und erfrischend über die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens sprach, das Publikum sein Manuskript nannte und aus der Gegenwart der Anwesenden schöpfte, bis zu Peter Selg (Arzt und Autor), der über die Arbeitsethik Rudolf Steiners und das soziale Hauptgesetz sprach, und in seinem Vortrag Inhalte referierte, die aus den Ur-Schriften der anthroposophischen Bewegung kamen.
Während Herta Däubler-Gmelin (Bundesjustizministerin a.D.) über die Errungenschaften der Menschenrechte sprach und die Frage stellte, ob wir auch ein Recht auf Arbeit einzufordern hätten, hinterfragte Johannes Stüttgen (Künstler und Schüler von Beuys) die benutzten Begriffe und wies immer wieder darauf hin, dass sich die Sprache an die Gegebenheiten anzupassen habe und nicht umgekehrt. Wolfgang Gutberlet (Unternehmer) zeigte sich im Spannungsfeld zwischen Unternehmertum und Christentum. Die Beiträge dieser drei Referenten mündeten in eine wichtige Feststellung: jeder Mensch darf, kann und soll sein eigenes Leben, seine Biographie unternehmerisch angehen und künstlerisch gestalten.
Die Frage aber, wie ein Mensch seiner eigenen Berufung näher kommt, wurde nur in einem kleinen Forum gestellt. Wie wird man Unternehmer des eigenen Lebens? Was ist das Karma eines Berufes? Welche Rolle spielt der Karma- und Reinkarnationsgedanke im Berufsleben? Wie zeigen sich diese Fragestellungen auf gesellschaftspolitischer Ebene? Und wie im persönlichen Leben? Das Jugendforum war für diese gedanklichen Bewegungen offen – im Plenum wurden diese Fragen aber, bis auf die Feststellung, dass wir Reinkarnation und Karma ernst zu nehmen hätten, nicht thematisiert. So bleibt auch nach dem großen Kongress die Frage bestehen, in welchem Verhältnis Beruf und Berufung zueinander stehen und was die anerkannte Tatsache des Karmas in diesem Zusammenhang denn eigentlich bedeutet?
Kommen wir als Tagungsteilnehmer also ganz einfach zu dem zurück, was wir „wirklich, wirklich wollen“ (F. Bergmann) und gestalten unser Berufsleben so, dass es nach Möglichkeit auch unsere Erwerbstätigkeit ist. Die Organisatoren und Beitragenden der Tagung haben einen guten Griff gemacht diesen Themen Raum zu geben, sie auf den Tisch zu legen, anzuschauen und zu besprechen, die große Nachricht aber, dass Karma und Reinkarnation auch im Berufsleben und der Erwerbstätigkeit eine Rolle spielt, war mir eigentlich schon bekannt.
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
Liebe Sophie,
AntwortenLöschendanke für deine Fragen, die du hier stellst. Teilweise sind es Fragen, die mich in ähnlicher Weise beschäftigen. Mit der Frage, wie ich Erwerb und Berufung vereinen soll, ringe ich eigentlich täglich und das seit Jahren. Aber ich frage mich auch, wie man Menschen helfen kann, ihre Berufung herauszufinden. Ich weiß, es gibt dafür so viele Wege, wie es Individuen gibt. Unter dem Strich bleibt für mich durch deinen Text die Erkenntnis stehen: wir können die Probleme nicht auf der Ebene lösen, auf der wir sie geschaffen haben. Denn was nützt es mir, zu wissen, was ich wirklich, wirklich will, wenn ich es im aktuellen Kontext von Erwerbstätigkeit und dem Management einer Familie nicht umsetzen kann? Dann kann dieses Wissen statt zu einem Motor auch zu einer Qual werden. Ich glaube inzwischen, wir können und sollten weniger "unternehmen" als überlassen. Wir könnten uns dem Fluss des Lebens überlassen und offen sein für eine Inspiration, die uns neue, über dem Irrgarten unserer Zivilisation leuchtende Orientierung gibt, im Vertrauen darauf, dass alles im Sinne unseres Karmas geschieht, Mir scheint, beim Kongress wirkte der Unternehmergeist eher verdichtend. Vielleicht sollte der nächste Kongress geistiger und schöpferischer ausgerichtet sein.
Mit herzlichen Grüßen
Sonja
Als Teilnehmer dieser Tagung danke ich Dir sehr für Deinen Rückblick und Deine vielen Fragen, die auch meine sind.
AntwortenLöschenErgänzen möchte ich, dass Götz Werner insbesondere auch darüber sprach, dass das Konzept des Grundeinkommens ohne die Idee von Reinkarnation und Karma nicht hinreichend verwirklicht werden könne und er verwies auf die diesbzgl. Aussagen von Rudolf Steiner (5.3.1912 in GA 135)- die ich hier zitiere: “... Man kann sagen: Was der Anthroposoph in erster Linie auf seinem Wege findet, wenn er heute ernstlich strebt, das ist die Notwendigkeit der Erkenntnis von Reinkarnation und Karma.
Ich selbst versuche, mich in dieser Richtung zu engagieren:
www.Karmakultur.de
Liebe Sophie
AntwortenLöschenIch habe das Gefühl dass du die nächste NALM Verantwortung berührt hast : Ein Kongress mit wirklich, wirklich wichtige Fragen, Fragen die nicht aus ein Buch kommen aber aus uns selbst. Ich weiss dass es nicht nur eine NALM Anliegen ist aber dass es dort verwirklicht ist.
Könnten wir nicht träumen dass NALM eine noch grössere Welt berührt, wirklich wirklich wahrhaft ?
Josiane Simonin
Liebe Josiane Simonin, eine gute Gedanke! Herzlich, Jelle van der Meulen
AntwortenLöschenWie stellt ihr euch so eine Zusammenkunft vor, könnt ihr beschreiben, was ihr wirklich, wirklich sucht und wie das konkret aussehen könnte???
AntwortenLöschenDanke für die Ermunterung!
Herzlich, Sophie
Werde meine Ideen zusammen fassen und teilen. Bald.
AntwortenLöschenJosiane Simonin
Zusammenkunft für die Zukünft !
AntwortenLöschenDeine Frage ist nicht einfach Sophie. Man weiss ja gleich wenn etwas nicht richtig ist, aber wie würde man es besser machen ist viel schweren. Hier ist ein kleinen Versuch.
Jeder ist heute mit seine «Spezialitäten» beschäftigt. Es gibt kaum «Zeit» um andere «Spezialisten» zu treffen und noch weniger zu entdecken wo «das Neue» liegt.
Es gibt heute sehr viel Möglichkeiten um sich um ein «Thema, um ein Problem» zu treffen. Meistens heist das unser Rucksack noch mehr ausfüllen um in seine «Spezialität» weiter zu bleiben.
Wie könnte ein grosseres «Zusammenkunft» ermöglichen dass man entdeckt wie man mit «seine eigene Talente» mit anderen Menschen umgeht. Wie kann man "Mensch unter Menschen bleiben ?" Welche Wörter würde man benutzen um etwas neues zu machen ? Wie würden man die Wörter in Klammern übersetzen so dass sie die Sprache von heute entsprechen und die heutige Menschenwelt am richtigen Ort erreicht und noch dazu wahrhaft bleiben ?
Ich hatte ja von eine noch grössere Welt gesprochen. Muss das sein oder geht es besser mit eine menge von kleinen Versuche ?
Mehr Fragen als Lösungen ! Aber es sind meine Fragen. Bestimmt nicht konkret aber hoffentlich der Anfangpunkt für das Neue wenn jemand den nächten Schritt macht.
Josiane
Hoffentlich ist mein Deutsch nicht zu peinlich für eine Deutsche Seele ...