Die Annahme ist: es gibt Storys. Allenthalben eine Story. Und sie lässt sich über Worte vermitteln. Der Bildschirm ist leer. Noch. Trotzdem gibt es eine Sicherheit. Ein Gefühl macht sich breit. Da will etwas kommen. Da darf etwas kommen. Eine Geschichte? Vielleicht. Die Worte liegen noch verborgen an einem Ort, den niemand kennt.
Heute können sie geboren werden. Miteinander verknüpft werden. Wieder. Aufs Neue. Wenn sie erwachen, beginnen sie ihren großen Tag. Wenn sie wollen. Und aufmerksam sind. Und sich nicht täuschen lassen. Ein Wortteppich wird gewebt. So oder so. Worte sind Brücken zwischen Inhalt und Form.
…Gustav rannte die Treppe herauf. Atemlos erreichte er das oberste Stockwerk und stürzte an seinen Schreibtisch, auf dem Berge von Papieren, Büchern, Zeitschriften und Merkzetteln lagen. Wütend und hastig wühlte er mit zitternden Fingern darin. Er suchte etwas. Ein Schriftstück. Er hatte nur noch zwei Minuten Zeit.
Wenn er die vorbereitete Wortwahl nicht finden würde, wäre er entdeckt. Schon hörte er Schritte im Treppenhaus. Schweiß lief ihm die Schläfen hinab. Seine Hände zitterten. Sein Herz klopfte wild und ihm wurde übel vor lauter Aufregung….
Worte führen ein Eigenleben. Erschaffen Welten. Innere und äußere. Bekannte und fremde. Angenehme und unerträgliche. Fern von unserer Welt. Die Wort-Welt bietet sich aber als Brücke von Mensch zu Mensch an. In einer gemeinsamen, ineinandergreifenden, verwirrenden Welt.
Worte lassen sich unter verschiedenen Kriterien betrachten und begutachten. Worte wollen in ihrer Welt gesehen und anerkannt werden. Linguisten bestehen darauf. Da gibt es das phonetische Kriterium, das orthographische, das morphologische, syntaktische und semantische. Sind Worte stolz auf diese Welt? Und, ist das von Interesse?
…Simone glitt in die Zukunft. In Gedanken war sie der Zeit weit voraus. Gab es Worte für Zukünftiges? Etwas, was noch nicht geschehen war? Sie sah sich, wie sie in zehn Jahren in einer kleinen Hütte sitzen würde. Angebunden. Rings um sie her Stille. Tote Stille. Langeweile würde sie umgeben. Sie würde ihren Mund nicht mehr bewegen können. Ihre Lippen keine Worte mehr bilden.
Eine innere Sprache würde sie noch besitzen – aber die äußere hätte sie, im Verlauf von zehn Jahren, verloren oder verlernt. Sie hörte, dass ganz leise etwas an ihre Tür klopfen würde. Aber sie konnte nicht antworten, obwohl in ihrem Innern Hunderte von Worten lebendig erwachten…
Worte umspülen Menschen wie Stimmungen und Gefühle. Innerlich und äußerlich. Wenn all die Worte sichtbar wären, die in uns und um uns herum ihr Eigenleben führen, würde ein buntes Farbenspiel sichtbar werden. Da gibt es die geschriebenen Worte, die von mir ausgehen und an dich gerichtet sind. Worte, die das Schreiben und das Lesen verlangen.
Und dann gibt es die gesprochenen Worte. Von dir zu mir, von mir zu dir. Die ausgesprochen und gehört werden wollen. Im direkten Gespräch, von Straßenseite zu Straßenseite, am Telefon, im Traum. Und es gibt die gedachten Worte, die noch vorbereitet werden, bevor sie hervorsprudeln. Gefühlte oder erfahrene Worte, schweigende Worte.
…und der Schreiber sitzt an den Worten, die nicht mehr das Papier berühren. Er hütet den Bildschirm. Erlaubt Fingerspitzen, Buchstaben in die Tastatur einzugeben. Öffnet innere Tore, wenn geklopft wird. Schaut erstaunt, wenn sich Worte verbinden. Ist ein Diener des geschriebenen Wortes. Ergeben und voller Hingabe.
Aber er versteht nicht, was passiert. Er kann nicht sprechen. Nur schreiben. Er fühlt die Worte mit seinen Fingerspitzen. Jede Fingerkuppe bestimmte Buchstaben. Laute und leise Gesellen, die sich gefügig zur Verfügung stellen, wenn sie tatsächlich etwas erzählen wollen…
Ablenkung. Was sind schon Worte? Rhabarber, Rhabarber. Wortspielereien. Ist das vielleicht eine Story? Worte können übersetzt werden. Müssen übersetzt werden, von Sprache zu Sprache, von Mensch zu Mensch. Haben sie dann noch immer die gleiche Bedeutung? Und, denken wir in Worten oder suchen sich unsere Gedanken ihre Worte? Eine Story braucht einen Inhalt.
Worte stehen zu Gebote, wenn die Stimme ihren Klang kennt, eine Melodie summt und den Plot in die Welt gebiert. Ohne Worte geht gar nichts.
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
Gebrauchsanweisung für all jene die etwas schreiben möchten, umbedingt mussen und mit Leiden versuchen. Danke Sophie.
AntwortenLöschenJosiane Simonin
Gerne geschehen, Josiane!
AntwortenLöschenHerzlich, Sophie