Samstag, 25. Juli 2015

Dialog. Waren die Großväter Freunde?


Immer wieder muss ich daran denken.

Ob es eine Bedeutung hat?

Für die beiden oder für uns?

Keine Ahnung.

Die müssen sich gekannt haben.

Ja… sieht so aus. Kleiner aber bedeutender Ort.

Komisches Gefühl. Aber irgendwie auch schön. So viele Deutsche gab es damals dort nicht.

Was sie voneinander gehalten haben? 

Wie meinst du?

Ich kann mir das alles irgendwie gar nicht vorstellen. Da lebt man in einem fremden Land und ist doch zu Hause. 

Zu viele undurchsichtige Fragen. Alles lange her.

Die Landessprache werden sie gesprochen haben. Wenigstens um ein Bier zu bestellen. 

Ja. Aber jetzt sitzen wir beide hier und reden Deutsch. Nur Deutsch .

Irgendwie krass

Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Großmutter auch nur ein tschechisches Wort preisgegeben hätte.

Und dein Großvater?

Den kannte ich nicht. Er ist ziemlich schnell nach dem Krieg gestorben. Die Deutschen wurden ja komplett vertrieben und konnten froh sein, wenn sie zunächst mit dem Leben davon kamen. Sein Status, sein Stolz, ja sein gesamtes Selbstverständnis als Bürger dieser Welt wurden zerstört.

Wie ist das gewesen?

Soweit ich weiß, ist er inhaftiert worden – konnte aber noch seine Frau und seine beiden Söhne auf eine Wilde Flucht schicken. Das war kurz bevor die „geordneten Flüchtlingsströme“ ihren Marsch antraten. Jahrelang wusste meine Großmutter kaum etwas von ihm. Dann tauchte er wieder auf. Mager, hager, still und doch beherzt. Er begann im Erzbergwerk zu arbeiten, um die Familie zu ernähren. Das alles als Untermieter in einem Flüchtlingszimmer. Aber bereits 1949 ist er, laut Akte, an einer Lungenentzündung gestorben. Wir vermuten, dass er eine zu hohe Strahlendosis abbekommen hat… Schon bitter irgendwie.

Du hast ihn nie kennengelernt.

Nö.

Hast du ein Bild?

Ja. Bei meiner Oma hing eins. Kahler, ernster Mann. Hätte ihn gerne was gefragt.

Was?

Weiß ich nicht

Ich kannte meinen Großvater noch als kleines Kind. Kann mich aber kaum an ihn erinnern. Es sind vielmehr die Aufzeichnungen meines Vaters, die mir von dieser Geschichte erzählen.

Bist du einmal dort gewesen?

Nein. Keiner will mehr in die alte Heimat. Aber ich habe das Gefühl, dass dort noch etwas verborgen liegt.

Was meinst du?

Keine Ahnung. Aber ich habe das Gefühl, dass meine eigene Vergangenheit dort irgendwie schlummert. Unsere Väter haben die Geschichte nicht zum Thema gemacht. Obwohl auch sie sich begegnet sind und darauf hätten kommen können, dass sie die gleiche Herkunft haben. Und ihre Väter sogar…

Dein Vater lebt nicht mehr. Du würdest gerne mit ihm reden….

Ach weißt du, alles ist gut, wie es ist. Als ich wusste, dass er sterben wird, hatte ich keine Fragen mehr. Es gab nichts Entscheidenderes als sein Leben. Fakten aus der Vergangenheit spielten dabei keine Rolle. 

Stell dir vor, dass es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hätte. Vielleicht wären auch wir beide dann dort geboren worden. Und wären zusammen in die Schule gegangen… Oder gerade nicht, weil einer der Beteiligten in eine andere Stadt gegangen wäre… Elektrizitätswerkdirektoren, Brauhausfabrikanten, Geschäftsmänner, da kommt man schon durch die Welt.

Alles sehnsüchtige Scheißträume

Hey! Aber wir sind uns begegnet. Im Westen. Lange ist es her. Dass wir von dieser Geschichte wissen, liegt noch nicht allzu viele Jahre zurück.

Wie sind wir eigentlich darauf gekommen?


Weiß nicht.

Aber ich. Du hast von eurer Reise erzählt. Als ihr euch auf die Suche gemacht habt.


Ach ja. Als wir das Land, die Stadt, das Haus sehen wollten… Und etwas gefunden haben. Die wenigen Fotos, die es gibt, haben wir mit der heutigen Wirklichkeit abgeglichen. Ausflugsorte, Geburtshäuser, Dienststellen… Zu den Fotos, die wir fast 70 Jahre später gemacht haben, ist eine neue Kategorie dazu gekommen. Fotos vom Friedhof. Gräber…

Das muss komisch sein, den eigenen Namen auf Gräbern in der Ferne zu finden. Die unverlierbaren Toten…

Die Enkelgeneration führt die Motive der Großelterngeneration fort.

Lass uns endlich einen Cognac zum Kaffee bestellen und auf unsere Großeltern anstoßen, mehr können wir nicht tun!

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