Samstag, 3. März 2012

Kriegsenkel sein (III). Antwort auf eine Frage

Auszug aus einem Interview:
Wie findet die Übertragung der Problematik der ersten Generation auf die zweite Generation statt?

Tja, das weiß ich nicht so genau… irgendwie scheinen sich da geheimnisvolle Prozesse abzuspielen. Ich selber bin ja darauf aufmerksam geworden, weil ich in meinem Leben auf „Verhaltensweisen“ oder „Gegebenheiten“ gestoßen bin, die irgendwie „schräg“ in mir liegen. Zu denen ich kein evidentes Verhältnis habe. Nicht verstehe, woher sie kommen, warum sie da sind, inwiefern sie zu mir gehören.

Und das ist natürlich ein delikates Thema. Es gibt eine Ebene auf der wir diese Art von Fragen natürlich nie beantworten können. (Weiß ich wer ich bin, warum ich so bin wie ich bin und wohin das alles führt?) Aber es gibt ein Gefühl, das ich für mich haben kann. Es ist wie ein Bild, das ich gleichzeitig sehe UND fühle. Und da gibt es Gegebenheiten, zu denen ich ein (wie auch immer geartetes) Verhältnis habe, aber auch „Dinge“, die irgendwie nicht schlüssig sind.

Vielleicht ein paar Beispiele: Ich werde oft gefragt, woher ich komme – auf Grund meines Aussehens und meiner Sprache. Und die Vermutungen reichen von Holland über England und Skandinavien sowie das Baltikum bis weit in den Osten nach Russland. Was geht von mir aus, dass mir diese Fragen gestellt werden? Ich habe immer in Deutschland gelebt, spreche wirklich gut Deutsch (!) und fühle mich auch sonst ziemlich deutsch… Das Verhältnis zu den Orten an denen ich gelebt habe und lebe ist allerdings aufschlussreich, denn da erlebe ich eine Beliebigkeit. Ich „komme“ zwar aus dem Ruhrgebiet, kann aber nicht sagen, dass das meine „Heimat“ wäre.

Mit den Begriffen „Heimat“ oder „Familientradition“ kann ich kaum ein Erleben verbinden sondern eher Sehnsüchte oder Wünsche. Es gibt eine starke Kraft in mir Beziehungen und Freundschaften zu pflegen und mich in diesem Netz zu bewegen. Das spielt sich aber auf der seelischen Ebene ab und nicht auf der irdischen. Es gibt eine leise Stimme in mir, die mir immer wieder zuraunt, dass das einzige, woran es sich halten lässt das Schicksalsnetzwerk ist, Verbindungen und Beziehungen sind wichtig – Besitz, traditionelle Werte oder Verankerungen spielen keine Rolle (bzw. dürfen besser keine Rolle spielen).

Durch den Blick auf die Kindheit meiner Kinder, an deren Gestaltung ich ja maßgeblich beteiligt war, stelle ich fest, welche meiner eigenen Sehnsüchte und Wünsche ich für sie verwirklichen konnte und wo die Grenzen dabei sind, welche Themen ich offenbar unbewusst übernommen und an sie weitergegeben habe. Warum habe ich nicht für eine „Heimat“ gesorgt? Warum gebe ich weiter, dass das Leben ein Kampf ist, den es durchzuhalten gilt…

Meine Eltern wurden durch ihre Kindheit geprägt, durch ihre Familienstrukturen und das Nachkriegsdeutschland mit dem politischen Aufwind in den 60er Jahren. Alle Gegebenheiten und Erlebnisse die nicht verarbeitet wurden, werden unbewusst transgenerational weitergegeben. Heute wird einem Kind eine Therapie zuteil, wenn es den Brand eines Hauses mitbekommen hat. Das war im Nachkriegsdeutschland nicht üblich (aber sicherlich notwendig!). Die Generation meiner Eltern hätte genügend Gründe gehabt, therapeutisch begleitet zu werden, um das aufzuarbeiten, was sie erlebt und erlitten hat.

Obwohl meine eigene Kindheit äußerlich so ganz anders verlief als die meiner Eltern, gibt es innerlich Parallelen. Darin zeigt sich die unbewusste Weitergabe. Das gleiche Phänomen sehe ich, in abgeschwächter Form auch für meine Kinder. Darum wird es Zeit, die Traumata des Krieges aufzuarbeiten. Wir wurden vom Schicksal wie ausgespuckt – irgendwo, irgendwie… Nun gilt es die Wunden wahrzunehmen, anzuschauen und möglichst auch zu heilen.

(Fortsetzung folgt)

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