Anna wurde nicht getauft. Und sie fragt sich noch immer von Zeit zu Zeit, welche Bedeutung das in ihrem Leben hat. Sie wurde nach ihrer Geburt nicht dazu eingeladen, an der Christenheit teilzunehmen. Einmal hat sie auch mich danach gefragt, ob ich meine, dass das im Leben einen Unterschied mache. Das war vor vielen, vielen Jahren auf einer belebten Straßenkreuzung in einer großen deutschen Stadt mit vielen Hochhäusern.
Ich weiß es noch genau, und ich war damals über diese Frage überrascht. Ich wusste überhaupt keine Antwort darauf. Selber bin ich getauft worden – wie kann ich da wissen, wie sich jemand fühlt, der nicht getauft ist? Mein eigenes Getauft sein hat bislang in meinem Leben kaum eine Rolle gespielt. Jedenfalls denke ich das. Meine eigenen Kinder habe ich nicht taufen lassen. Irgendwie habe ich bislang angenommen, dass das nicht nötig sei.
Auf die Frage: „Was bist du?“ hatte Anna schon in ihrer Schulzeit keine Antwort. Jeder „war“ etwas – aber sie irgendwie nicht, sie gehörte nicht dazu. Gehörte keiner Kirche an. War weder evangelisch nicht katholisch noch gehörte sie sonst einer religiösen Gemeinschaft an. Religionsunterricht gehörte zum Curriculum. Sie wählte. Nach Mitschülern oder Lehrerpersönlichkeiten. Und sie wechselte. Immer wieder. Sie war „frei“.
Manchmal ging sie auch mit Freundinnen in die Kirche. Sonntags. Wenn „Gottesdienste“ angesagt waren. Anna staunte damals. Sie verstand nichts. Und ahnte, dass man darüber nicht redete. „Das Geschehen auf Golgatha“ war so ein Satz, der nicht zu hinterfragen war, und eine große Aura um sich hatte. Es musste etwas Besonderes dahinter stecken. Aber was? In ihrem Elternhaus spielte die Kirche keine Rolle. Höchstens in den Ferien, wenn es in Südfrankreich eine alte Kathedrale zu besichtigen gab, die aber irgendwie ein Zeugnis aus vergangenen Zeiten zu sein schien.
Später in ihrer Jugend fühlte sie sich dann autonom. Sie war nicht „gezwungen“ worden, einer Gemeinschaft anzugehören. Diese Haltung empfand sie als frei, unabhängig und modern. Und es war wirklich so, sie nahm „das Christentum“ als Geschichte, als Erzählung, als Idee. Aber sie blieb auch außen vor. Fühlte sich als Zuschauerin. Nicht als Beteiligte.
Als sie dann erwachsen wurde, begann sie einen Schmerz zu spüren. Ob christliches Gedankengut im Kopf seinen Platz hat, oder im Herzen ist ein großer Unterschied. Und sie wusste es: es hat mit der Taufe zu tun. Sie hat keinen „offiziellen Platz“ erhalten. War nicht eingeladen worden, am Christentum auf Erden mitzuwirken. Sie gehörte nicht zum Inneren der Gemeinschaft. Wenn, dann gehörte sie intellektuell dazu – und das ist etwas ganz anderes.
Damals verstand ich nicht, wovon Anna sprach, welchen Schmerz sie mir zeigte. Ob das wirklich mit der Taufe zusammenhängt, was sie da erzählte? Ich schlug ihr vor, sich taufen zu lassen. Aber das lehnte sie brüsk ab. „Nein“, sagte sie, „nein. Offensichtlich habe ich mir das für diese Inkarnation so ausgesucht. Vielleicht muss ich tatsächlich den Weg alleine finden, ihn bewusst gehen – und ihn nicht in die Wiege gelegt bekommen, so wie die meisten Menschen“. Dieser Weg ist steinig.
Anna kämpft immer wieder damit, Vertrauen ins Leben zu haben. Sie ringt mit innerer Verlorenheit und weiß manchmal nicht, wohin sie gehört. Ihre Kinder ließ sie taufen. Das war ihr wichtig. Ganz eindeutig. Und sie fand einen Pfarrer, der sich trotz der dargebotenen Geschichte darauf einließ. Es ging um die Kinder. Um das, was sie auf Erden zwischen Geburt und Tod empfangen können. Sie hatte so stark den Eindruck, dass die Taufe den Kindern etwas schenkt, etwas vermittelt und mitgibt, von dem sie keine Ahnung hat. Was sie ihren Kindern nicht geben kann.
Und so wandert sie weiter durch ihr Leben. Ungetauft. „Nicht-eingetaucht“. Und doch auf dem Weg zu Christus. Irgendwie. Alleine und mit einem offenen Herzen für das, was man Christentum nennt und was sich nicht in Kirchen abspielt. Für das, was zwischen mir und dir möglich ist. Wird es, ohne christlichen Empfang, ohne eine Segnung zu Beginn des Lebens, eine Aussegnung, eine christliche Verabschiedung am Ende des Lebens geben können? Diese Antwort hat das Leben ihr noch nicht gegeben.
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
Liebe Sophie,
AntwortenLöschenschön, dass sie wieder aufgetaucht sind.
Kann heute etwas im Sozialen-Miteinander erlebbar, fühlbar, ja gestaltbar werden, was früher aus Ritualen und Kulten hervorging?
Rituale unterscheiden sich zwischen Kofessionen und Relligionen, die direkte Begegnung von Mensch zu Mensch nicht.
Immer wieder stellt sich mir die Frage: Was ist eine echte Begegnung zwischen mir und meinen Gegenüber? Ich habe darauf genauso viele Antworten wie Begegnungen, aber ist eine echte dabei?
Herzliche Grüße
Maria
"Was früher Frömmigkeit hiess
AntwortenLöschenheisst heute unbedingte Wahrhaftigkeit
Was früher Liebe hiess
heisst heute Verantwortug für die anderen
Was früher Demut hiess
heisst heute Schicksalsmut"
Weiss jemand wer dass geschrieben hat ?
Eine schöne Reise von gestern nach morgen.
Josiane
Rudolf Steiner
LöschenWeiß jemand hierzu eine genauere Quellenangabe? Vielen Dank
LöschenS O N N T A G
AntwortenLöschenLiebe Anna!
Mein jüngster Bruder wurde als Einziger von 4 Geschwistern nicht getauft. Schon für mich fühlt sich das irgendwie ausgegrenzt an…Ein klein wenig kann ich Deine Tauf-Geschichte nachempfinden.
Warum nicht aus seiner Suche ein Freudenfest machen!
Du wählst Dir einen Ort aus wo Du sehr gern verweilst, lädst liebe Freunde ein, egal wo sie sich gerade aufhalten, die Einladung zählt (!) … und kennst jemanden in Deinem Freundeskreis der die passenden Worte für DEINE Taufe reinen Gewissens aussprechen kann.
Schon die Vorstellung der Ausschmückung eines solchen Festes bringt Freude…
Herzliche Sonntags ~ Grüße von Katharina