Montag, 28. Juni 2010

Wortspiele. Wenn Worte ihre Bestimmung suchen

Die Annahme ist: es gibt Storys. Allenthalben eine Story. Und sie lässt sich über Worte vermitteln. Der Bildschirm ist leer. Noch. Trotzdem gibt es eine Sicherheit. Ein Gefühl macht sich breit. Da will etwas kommen. Da darf etwas kommen. Eine Geschichte? Vielleicht. Die Worte liegen noch verborgen an einem Ort, den niemand kennt.

Heute können sie geboren werden. Miteinander verknüpft werden. Wieder. Aufs Neue. Wenn sie erwachen, beginnen sie ihren großen Tag. Wenn sie wollen. Und aufmerksam sind. Und sich nicht täuschen lassen. Ein Wortteppich wird gewebt. So oder so. Worte sind Brücken zwischen Inhalt und Form.

…Gustav rannte die Treppe herauf. Atemlos erreichte er das oberste Stockwerk und stürzte an seinen Schreibtisch, auf dem Berge von Papieren, Büchern, Zeitschriften und Merkzetteln lagen. Wütend und hastig wühlte er mit zitternden Fingern darin. Er suchte etwas. Ein Schriftstück. Er hatte nur noch zwei Minuten Zeit.

Wenn er die vorbereitete Wortwahl nicht finden würde, wäre er entdeckt. Schon hörte er Schritte im Treppenhaus. Schweiß lief ihm die Schläfen hinab. Seine Hände zitterten. Sein Herz klopfte wild und ihm wurde übel vor lauter Aufregung….


Worte führen ein Eigenleben. Erschaffen Welten. Innere und äußere. Bekannte und fremde. Angenehme und unerträgliche. Fern von unserer Welt. Die Wort-Welt bietet sich aber als Brücke von Mensch zu Mensch an. In einer gemeinsamen, ineinandergreifenden, verwirrenden Welt.

Worte lassen sich unter verschiedenen Kriterien betrachten und begutachten. Worte wollen in ihrer Welt gesehen und anerkannt werden. Linguisten bestehen darauf. Da gibt es das phonetische Kriterium, das orthographische, das morphologische, syntaktische und semantische. Sind Worte stolz auf diese Welt? Und, ist das von Interesse?

…Simone glitt in die Zukunft. In Gedanken war sie der Zeit weit voraus. Gab es Worte für Zukünftiges? Etwas, was noch nicht geschehen war? Sie sah sich, wie sie in zehn Jahren in einer kleinen Hütte sitzen würde. Angebunden. Rings um sie her Stille. Tote Stille. Langeweile würde sie umgeben. Sie würde ihren Mund nicht mehr bewegen können. Ihre Lippen keine Worte mehr bilden.

Eine innere Sprache würde sie noch besitzen – aber die äußere hätte sie, im Verlauf von zehn Jahren, verloren oder verlernt. Sie hörte, dass ganz leise etwas an ihre Tür klopfen würde. Aber sie konnte nicht antworten, obwohl in ihrem Innern Hunderte von Worten lebendig erwachten…


Worte umspülen Menschen wie Stimmungen und Gefühle. Innerlich und äußerlich. Wenn all die Worte sichtbar wären, die in uns und um uns herum ihr Eigenleben führen, würde ein buntes Farbenspiel sichtbar werden. Da gibt es die geschriebenen Worte, die von mir ausgehen und an dich gerichtet sind. Worte, die das Schreiben und das Lesen verlangen.

Und dann gibt es die gesprochenen Worte. Von dir zu mir, von mir zu dir. Die ausgesprochen und gehört werden wollen. Im direkten Gespräch, von Straßenseite zu Straßenseite, am Telefon, im Traum. Und es gibt die gedachten Worte, die noch vorbereitet werden, bevor sie hervorsprudeln. Gefühlte oder erfahrene Worte, schweigende Worte.

…und der Schreiber sitzt an den Worten, die nicht mehr das Papier berühren. Er hütet den Bildschirm. Erlaubt Fingerspitzen, Buchstaben in die Tastatur einzugeben. Öffnet innere Tore, wenn geklopft wird. Schaut erstaunt, wenn sich Worte verbinden. Ist ein Diener des geschriebenen Wortes. Ergeben und voller Hingabe.

Aber er versteht nicht, was passiert. Er kann nicht sprechen. Nur schreiben. Er fühlt die Worte mit seinen Fingerspitzen. Jede Fingerkuppe bestimmte Buchstaben. Laute und leise Gesellen, die sich gefügig zur Verfügung stellen, wenn sie tatsächlich etwas erzählen wollen…


Ablenkung. Was sind schon Worte? Rhabarber, Rhabarber. Wortspielereien. Ist das vielleicht eine Story? Worte können übersetzt werden. Müssen übersetzt werden, von Sprache zu Sprache, von Mensch zu Mensch. Haben sie dann noch immer die gleiche Bedeutung? Und, denken wir in Worten oder suchen sich unsere Gedanken ihre Worte? Eine Story braucht einen Inhalt.

Worte stehen zu Gebote, wenn die Stimme ihren Klang kennt, eine Melodie summt und den Plot in die Welt gebiert. Ohne Worte geht gar nichts.

Montag, 21. Juni 2010

Kreuzung. Treffen an einer Straßenecke

Sie schlenderte die Straße am Flussufer entlang. Eine psychologische Beratungspraxis reihte sich an die andere. Zu ihrer Linken floss das Wasser, zu ihrer Rechten waren Bauarbeiter mit der Reparatur der Straße beschäftigt. Es war gleißend heiß und die städtischen Geräusche der Stadt wurden an diesem Nachmittag von der Hitze fast verschluckt. Nur der Presslufthammer durchdrang das warme, stehende Luftmeer immer wieder. Sie blickte auf. Sie war langsam heute. Unschlüssig. Bewegte sich aber weiter und trug tapfer die schwere Tasche.

Er kam von oben. Schnellen und gerichteten Schrittes. Er hatte scheinbar ein Ziel und hastete an den Menschen vorbei. Einen Bürgersteig gab es nur auf einer Seite, dort, wo sich ein kleiner Laden an den anderen reiht. Internetcafe und Waschsalon in einem. Bäckerei, Blumenladen und die Einladung zu einem frischgemixten Fruchtsaftgetränk im bunt verzierten Glas. Auf der anderen Seite beginnt der Berg. Die Städter haben ihn mit einer Mauer abgestützt, damit er nicht in ihre Kultur eindringe. Nicht die Straße, die lebenswichtige Bewegungsader eines bedeutenden, kulturerschaffenden Ortes bedrohe. Die Unterwelt beginnt also direkt hinter den Steinen der Mauer auf der rechten Seite. Sein Blick streifte all dies nur aus den Augenwinkeln.

Der andere wollte gesehen werden und blickte um sich. Er flanierte stolz die Straße von unten nach oben. Gerade jetzt kommt er auf der Brücke an, die über den romantischen Fluss führt. Zwischen den vielen Blumenkästen, die das Brückengeländer zieren und fast überquellen, lehnt er sich über die Brüstung und lässt seinen Blick schweifen. Plötzlich erhascht seine Nase den Duft eines verführerischen Parfüms und er wendet sein Angesicht. Eine weiße Schönheit mit rotem, weit ausladendem Hut droht sich seinem Blick in dem Menschenstrom zu entziehen, wenn er sich nicht bewegt. Äußerlich bleibt er stehen, innerlich entsteht eine Geschichte.

Sie ließ sich treiben. Von oben nach unten. Aus der Altstadt, von der Stiftskirche kommend, den Berg hinab, hinunter zum Fluss. Ihre Füße schmerzten und auf dem Kopfsteinpflaster musste sie achtsam sein, um nicht umzuknicken. Sie betrachtete die Schaufenster zu beiden Seiten und begann ihre Ideen weiterzuspinnen. Aus jedem Schaufenster der eng aneinander gereihten Läden nahm sie ein Detail. Fügte es ihrer Idee hinzu. Die lachenden Stimmen um sie herum boten ihr ein Fundament und sie war überzeugt davon, den richtigen Weg zu gehen. Die Zukunft leuchtete vor ihr auf, sie brauchte sich nur im Strom weitertreiben zu lassen.

Was will der Regisseur? Wohin führt er die Figuren?

An der Kreuzung berühren sich ihre Ziele, ihre Kreise. Er von oben. Und der andere von unten. Die eine vom Flussufer, die andere aus der Altstadt. Jeder steht an seiner Ampel und überquert die gerade vor ihm liegende Straße. Aber das plötzlich entstehende Karussell dreht sich weiter. Jeder überquert noch eine Straße – die rechts von ihm liegende. Die vier sind in eine verwirrende Irritation geraten. Keiner weiß mehr, wohin er will. Wohin er soll. Sie drehen sich im Kreis. Die Kreuzung ist zum Angelpunkt geworden, der sie nicht mehr losläßt.

Die Menschenströme bewegten sich weiter, an ihnen vorbei. Eine Schulklasse, eine Touristengruppe. Autos hupten, Busse hielten an und fuhren weiter, Fahrräder flitzten über Bordsteinkanten und wechselten zwischen Bürgersteig und Straße. Motoräder ratterten. Es war warm, hell und mitten am Tag. Doch die Innenwelt der vier Zeitgenossen zog sich in diesem Augenblick zusammen und erstarrte in der Mitte der Kreuzung zu einer unbequemen Szene. Die Welt, die von der Kreuzung ausgeht, sah plötzlich aus wie ein verlassener, schattenfreier Schotterparkplatz am Sonntagnachmittag wenn die Weltgeschehen innehält und selbst nicht weiß, wie es weiter geht.

Die Tische des Dönerimbisses standen direkt neben denen des italienischen Kaffeeecks. Auf dem Bürgersteig. An der Kreuzung. Einer Kreuzung, die sich selbst gehört. An einem Stehtisch trafen sie aufeinander. Der eine hatte einen Döner in der Hand, der andere einen doppelten Espresso, sie stellte einen Teller Salat vor sich ab und die andere ein Glas frischgepressten Orangensaft. Als sie sich anblickten verschmolzen sie ineinander. Im Kreuzungspunkt begegneten sie sich selbst im anderen und erschraken.

Sonntag, 13. Juni 2010

20 verordnete Worte


„Benjamin war ein freundlicher, kreativer und geduldiger Mann, der in der grässlichen Werkstatt grünlichen Ungehorsam begehrte, Wünsche verschlief, den Konstruktivismus lobte, sich von Frauenschuhen angegriffen fühlte und seine Freude, seine Lust und seinen Tanz mit Begriffen begradigte.


Er lobte den Tag grundsätzlich nicht vor dem Abend. Er war ein Mann mit eigenen Prinzipien und immer auf der Hut. Wer weiß, was an so einem feuchten Frühlingstag alles noch geschehen könnte. Er war misstrauisch. Vorsichtig warf er einen Blick aus dem Fenster. Aber er sah nichts – denn es gab nichts zu sehen. Doch er hörte jemanden in der Werkstatt. Die Geräusche konnten zweierlei heißen. Nie wusste er, welche Bedeutung am Abend die bedeutende war. Die gleichmäßig singenden Kratz-Hammer-Schleif-Geräusche verwirrten ihn. Nun schon Jahre lang.

Während er am Fenster stand, blickte sie geduldig vor sich hin. Aber er wusste nichts davon, er wusste nichts von ihr. Er sah sie nicht. Denn er kannte sie nicht. Weil er sie nicht erkannte. Sie stand inmitten ihres Zimmers und begann mit dem Tanz. Freundlich lud sie ihre Glieder ein, sich zu bewegen, der inneren Musik zu folgen. Sie wusste, dass sie Vertrauen haben konnte – wie so oft schon hatte sie der Leere standgehalten und war dann in eine kunstvolle Abfolge von Bewegungen geraten, die neue Ebenen erreichen ließ. Morgen würde sich ihre Sprache mit Worten ausdrücken müssen.

Anderen Tags trafen sie in der Bank aufeinander. Sie erkannte ihn, als er vor ihr das Drehkreuz passierte. Er fühlte ihren Blick im Nacken und schaute zu Boden, auf die grünlichen Marmorfliesen, die er noch nie gemocht hatte. Für ihn gab es nur Schwarz oder Weiß. Grün befand er als unverzeihliche Farbe, die es nicht geben dürfte. Er war ein Mann mit klaren Konturen. Er musste tagsüber auf diesen Fliesen gehen, diesen grässlichen, grünlichen Bodenplatten. Sie bildeten den Untergrund, auf dem er stundenlang stehen musste. Er nahm an, dass die Farbe ihm etwa die Hälfte seiner Energie abnahm. Er war also ein Wohltäter. Für die grünen Bodenplatten.

Sie schleppte sich dahin, weil sie schlecht geschlafen hatte. Nach dem Drehkreuz wendete sie sich von ihm ab. All die vorgeschriebenen Wörter sollten in ihrer Rede vorkommen, das war das Erkennungszeichen. Aber sie hatte keine Lust und keine Freude daran. Lieber hätte sie sich vor dem Publikum bewegt. Trotzdem blickte sie freundlich in die Runde, als sie auf dem Podium stand. Geduldig wartete sie, bis sich der hohe Frauenschuh an ihrem linken Fuß wieder an den richtigen Platz begeben hatte und sie fest stand.

Benjamin sah sie und hörte ihr geduldig zu. Er erinnerte sich an den Blick in seinem Nacken und begann nachzudenken. Sie sprach über den Begriff Konstruktivismus, den sie herbei zerrte und mit allen Ecken und Kanten klobig vor die Zuhörer warf. Gleichzeitig tanzten ihre Worte durch den Saal – der Klang ihrer Stimme besänftigte das inhaltliche Aufbegehren. Ihr Ungehorsam würde sich rächen. Und er, Benjamin, begehrte ihre Worte – denn sie waren kreativ und freundlich. Er wusste, dass sie das Unternehmen angriff und er hatte den Wunsch sein Leben mit ihr zu begradigen.

„Geduldig schlief sie mit ihrem Wunsch ein und träumte von begradigten Frauenschuhen, kreativem Konstruktivismus und einem freundlichen Begriff der sie die Werkstatt loben ließ, ihr Lust und Freude brachte mit einem grässlichen, begehrenden Tanz anzugreifen, und dem grünlichen Ungehorsam zu entrinnen.“

Montag, 7. Juni 2010

Auf der Wort-Suche nach einem Kindheitsgarten

Die geladenen Autoren lasen ihre Geschichten vor. Einer nach dem anderen. Eine nach der anderen. Auf Deutsch. Autoren aus ursprünglich fremden und fernen Ländern – mit anderen Sprachen. Autoren die irgendwie und irgendwann nach Deutschland, ins deutsche Sprachgebiet kamen. Autoren also, die mit oder nach ihrer Mutter- oder Vatersprache, noch eine eigene Sprache gewählt haben: Deutsch. Ihre Werke gehören zur deutschen Literatur. Diese Autoren lasen ihre Geschichten über die Gärten ihrer Kindheit vor. Das war der Auftrag der Veranstalter gewesen. Passend zum Ort der Lesung, einer Landesgartenschau.

Geschichten über die Gärten ihrer Kindheit. Kindheitsgärten. Über das Zuhause aus früheren Tagen. Jeder hatte etwas zu berichten, etwas zu erzählen. Unterschiedlich und bizarr. Was ist ein Garten? Und dann noch, ein Garten der Kindheit? Die Sprache war von verwunschenen Orten, besonderen Bäumen, Ereignissen in der Natur. Großvätern. Menschen, die in der Kindheit eine Rolle spielen. Eigenen und fremden Gärten, Sprachgärten, steinernen Gärten, Pflanzennamen. Und: Erinnerungen.

Innere Gärten. Geheime, verwunschene Bilder wurden freigelegt. „Singende Augustäpfel.“ Sprachlich in die Sichtbarkeit gebracht. „Hörst du das Bild?“ Die Rede war von Hinterhöfen. Flussufern. Jede Wahrheit braucht ihre eigene Sprache. „Ein Herz, das nur im Garten klopft.“ Das Zuhause des Sommers. Der Sonne. Der Unbeschwertheit. Aber nicht nur das. Es ging auch um fehlende Kindheitsgärten. Um Luftwurzeln. Und das Festhalten an Wortwurzeln. Um Vorstellungen die Halt geben, einen Baum, einen Garten ersetzen. Ein nicht existentes Kinderparadies im Innern wachsen lassen.

Und hier beginnt meine Geschichte. Die erinnerte Geschichte. Eine Schicht der Geschichte. In meiner Kindheit gab es keinen Garten. Ich lebte in einer frischbetonierten Hochhaus-Neubau-Siedlung. Da gab es abgezirkelte Rasenplätze. Kleine Grasflächen, die inmitten der Betonwüste mutig ihr Dasein fristeten. Und Schilder gab es: Betreten verboten. Ballspielen verboten. Ich erinnere mich an ein kleines Stück Wiese, umzingelt von Parkplätzen, Betonwegen und Steinplatten. Das durften wir benutzen. Darauf spielten wir Ball. Und: „Ochsenberger eins, zwei, drei“ oder, „Fischer, Fischer welche Fahne weht heute?“

Eine postmoderne Kindheit im Boom der Betonwüsten. Einmal besuchte ich im Sommer eine Freundin in Süddeutschland. Und sie sagte plötzlich: „Komm, wir gehen Kirschen pflücken!“ Da war ich sprachlos. Kirschen pflücken? Das kannte ich nur aus Büchern. Oder aus den Ferien in fremden Ländern. Auf einen Baum klettern und Kirschen pflücken? Ich war baff. Obst und Gemüse begegneten mir eigentlich nur in Supermärkten – dort, wo alles blankgeputzt unter Spiegeln ausgebreitet liegt, damit es noch nach mehr aussieht.

Es gab auch keine Großväter. Beide schon tot vor meiner Geburt. Kein Gemüse, das angebaut wurde. Keine Rosen. Keinen Pfeife rauchenden alten Mann… Keine faltigen Lebensgeschichten, keine Tätigkeit an der Natur. Aber Erinnerungen. Erinnerungsgeschichten. Erzählungen meiner Großmütter. Von ihren Kindheitsgärten.

Die eine kam aus Estland. Sie erzählte immer wieder von den sommerlichen Datschen, Seen und den vielen Birken. Sie erzählte von Gärtnerinnen und frischen Beeren und Gemüse. Die andere kam aus Böhmen. Da war die Rede vom Tennisspielen auf dem eigenen Grundstück, von Ausritten am Morgen vor dem Frühstück, von Bäuerinnen, die sie mit frisch gepflückten Himbeeren erfreuten und mit Natur und bunten Blumensträußen versorgten. Großmütterliche Erinnerungsgärten.

Der Alltagsgarten meiner frühen Kindheit hat nicht viel mit Natur zu tun. Nein. Aber mit Kultur. Ein Vorstellungsgarten also? Ein Garten aus Worten. Aus Ideen und Überzeugungen, aus Vorstellungen und Utopien. Zur Zeit der Ölkrise eroberten wir uns die Straßen. Sonntags durfte nicht gefahren werden. Wir liefen Rollschuh. Auf den breiten, asphaltierten Straßen. Erweiterten unser Revier zwischen Beton und Asphalt. Genossen es, Könige der Straßen zu sein. Ein Ort des vorübergehenden Zufalls also. Der Begriff Naturschutz wurde damals in den deutschen Wortschatz aufgenommen – den kannte ich wohl, vom Wort her.

Und so war ich damals, in frühen Kinderjahren auch nicht in einem „Kindergarten“, nein, der Garten meiner Kindheit war ein „Kinderhaus“. Passend also. Dort verbrachte ich einige Jahre und rüstete mich für das Leben – einem Lebens-Garten entgegen – die Erinnerungen an meine Kindheit reproduzierend, um mit Worten Landschaften und Gärten zu malen.

Dienstag, 1. Juni 2010

Der Mensch. Anthropologische Grundfragen im Kontext institutioneller Pädagogik

Die Studierenden des berufsbegleitenden Masterstudiengangs der Pädagogik an der Alanushochschule haben sich in ihrer letzten Blockwoche mit der Frage nach der Bedeutung eines Menschenbildes beschäftigt. Was ist ein Menschenbild? Haben wir eins, brauchen wir eins? Was bedeutet ein Menschenbild für das persönliche Leben, für den pädagogischen Kontext? Braucht die Institution Schule ein ausformuliertes Menschenbild? Unterscheiden sich unsere Menschenbilder und was hat das gegebenenfalls für Auswirkungen?

„Der Mensch ist, was er als Mensch sein soll, erst durch Bildung.“ G.W.F. Hegel

Überraschend war, dass es gar nicht so einfach ist, über dieses Thema zu sprechen, obwohl alle Beteiligten emotional angesprochen waren und sich lebhaft ins Gespräch hineingestellt haben. Jeder hatte zu dem Thema etwas zu sagen, zu fragen, anzumerken oder einzubringen – gleichzeitig schwebte jedoch ein großes Fragezeichen bzw. eine tastende Stille über dem Gespräch.

„Leben in der Liebe zum Handeln und Leben lassen im Verständnis des fremden Wollens ist die Grundmaxime des freien Menschen.“ Rudolf Steiner


Wie geht man so ein Thema an, das einerseits so groß und andererseits so nah ist? Eigentlich müsste so eine Frage doch evident sein… Wir waren alle betroffen, berührt und verletzlich, aber auch engagiert, wortstark und überzeugt, denn wir sprachen ja gewissermaßen darüber, wie wir selber in der Welt stehen oder darüber denken, wie wir uns im Laufe unseres Lebens in die Welt gestellt haben.

„Als Naturwesen bleibt der Mensch an den Körper gebunden, als Geistwesen aber hat er Flügel.“ Platon

Inhaltliche Nähe und Ferne waren in den Gesprächen, die sich über eine Woche hinzogen gleichermaßen zu spüren. Da der Schauplatz der Frage nach einem Menschenbild die je eigene Seele und deren Positionierung in der Welt ist, brachte dieser Umstand dem Gespräch gleichzeitig eine Tiefe und eine Vorsicht.

„O welch ärmliches Geschöpf ist der Mensch, wenn er sich nicht über das Menschliche erhebt.“ Seneca

Noch schwieriger war es, ein Menschenbild konkret zu beschreiben. Was ist der Mensch eigentlich? Ein arrivierter Affe? Oder ein göttliches Wesen? Dazwischen tauchten kaleidoskopisch jede Menge Blickwinkel auf: Kultur- oder sozialanthropologischer Art, theologischer oder philosophischer Art, natur- oder geisteswissenschaftlicher Art.

„Ich habe auf dieser Welt kein ausgesprocheneres Ungeheuer und Wunder gesehen als mich selbst." Michel de Montaigne

Als Lehrer einer Schule, an der Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, dürfte es in meinem Handeln einen großen Unterschied machen, ob ich den Menschen als Maschine denke oder als ein verkörpertes geistiges Wesen. Mal ganz abgesehen davon, welchen Lern- oder Entwicklungsbegriff ich vertrete. Ein christliches Weltbild kann sich von einem naturwissenschaftlichen schon enorm unterscheiden, je nachdem, an welcher Stelle der Ausgangspunkt ist.

„Das Bild der Natur zeigt mir nur Ebenmaß und Harmonie, das Bild des Menschengeschlechtes nur Verwirrung und Chaos.“ Jean-Jacques Rousseau

Und damit wären wir bei der dritten Frage, die aufgetaucht ist: Wo unterscheiden sich Menschenbild und Weltbild voneinander und wo verschränken sie sich – und welche Auswirkungen haben sie aufeinander? An dieser Stelle sind unsere Gespräche immer wieder an die Frage gestoßen, ob ein Menschenbild überhaupt nötig ist. Darüber gibt es wahrhaftig unterschiedliche Meinungen – nicht zuletzt deswegen, weil eine eindeutige Beantwortung der Frage so schwierig ist.

„Mensch sein heißt, das gegenüber seiende Wesen sein.“ Martin Bube
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Festzuhalten war, dass jeder von uns ein mehr oder weniger bewusstes Menschenbild – und damit auch eine Weltanschauung! - in sich trägt. Für den pädagogischen Kontext ist die Bewusstwerdung des eigenen sowie des institutionellen Bildes nicht unwesentlich. Deutlich war ebenfalls, dass es im gemäßigten Bereich keine einfache Beurteilung gibt, weil die Konsequenzen nicht unmittelbar absehbar sind. Die weiterführende Frage ist, was mit der nachfolgenden Generation passiert, wenn wir diesen Fragen – und Antworten! – auf Grundfragen des Lebens, insbesondere der Erziehung, die den Boden auf dem wir gehen ausmachen, ausweichen.

„Dieses Seiende (der Mensch) hat den Ursprung seines Seins in der Sorge.“ Martin Heidegger