Donnerstag, 12. August 2010

„Dichtung setzt die Kommunikation voraus, die sie stiftet“

August. Stille hat sich über das Land gelegt. Sommerpause. Freunde sind verreist, Handwerksbetriebe machen Betriebsferien, Universitäten, Schulen und Kindergärten stehen still und verlassen da – das Land schweigt. Der Himmel macht mit, entweder regnet es in Strömen oder die Sonne brennt vom Himmel – die Stille bleibt, trocken oder nass, und umhüllt alle Daheimgebliebenen. Es ist fast wie im Winter – wie in der Weihnachtszeit, da hält die Welt auch inne. Aber es ist doch eine ganz andere Stille, die jetzt über dem Land liegt.

Aus dieser warmen Stille heraus zu schreiben bedeutet, ganz nah an meinem eigenen Herzen zu sein. Das Ergebnis ist nicht vorhersagbar. Jetzt am PC zu sitzen und die Finger über die Tastatur tanzen zu lassen heißt, mich vertrauensvoll hinzugeben. Was kommt? Welche Worte finden sich ein? Das alltägliche Funktionieren und Wollen hat aufgehört, messerscharfe Gedanken lassen sich nicht finden, es ist eine unsichtbare aber deutliche Kraft, die mich leitet, den leisen Worten, die sich vorsichtig zeigen, Gehör zu verschaffen. »Hinhören auf die stimmlose Stimme des Herzens heißt, sich selbst nicht belügen« sagt schon der alte Konfuzius.

Gerade für die Stimme des Herzens ist die äußere Stille von Nöten, damit im Inneren etwas erklingen kann. Diese Stille hat auch nichts mit Passivität zu tun, nein, gerade in diesem Bereich ist eine große Wachsamkeit gefragt. Es sind mitunter die unscheinbareren Worte, die sich einstellen, die unbekannteren Bedeutungen, die unerwarteten Zusammenhänge. Wie übersetzt man die „stimmlose Stimme des Herzens“ in allgemeingültige und –verständliche Worte des rauschenden Alltags?

Stille kann warm oder kalt sein – aggressiv oder sanft. Stille kann einladen oder abgrenzen, einsam machen oder eine tiefe Verbindung schaffen. Stille bedeutet, dass Geräusche verschwinden und Bewegungen sich reduzieren. Worte reagieren auf Stille. Und sie suchen die Kommunikation - auch in der Stille. Das geschriebene Wort kennt die Stille gut. Nicht immer erhebt sich eine Stimme, die auf gedruckte Worte reagiert. Das gesprochene Wort ist da anfälliger. Stille erträgt es nur, wenn es durch Anerkennung getragen wird.

Worte setzen sich aus den gleichen Buchstabenkombinationen zusammen, ob sie geschrieben oder gesprochen werden. Schriftdeutsch und gesprochenes Deutsch haben die gleiche Quelle, eine Intention und auch das gleiche Ziel, das menschliche Herz – und doch agieren sie in unterschiedlichen Reichen.

Hilde Domin schreibt etwas, was mich in diesem Zusammenhang sehr beschäftigt:

„Der Mut, den er [der Schreibende] braucht, ist dreierlei Mut:

Der Mut zum Sagen, der der Mut ist, er selbst zu sein, der Mut zur eigenen Identität.

Der Mut zum Benennen, der der Mut ist, die Erfahrung wahrhaftig zu benennen, ihr Zeuge zu sein: das heißt, nicht weg- oder umzulügen, was ja opportun sein könnte.

Der dritte Mut ist der, an die Anrufbarkeit der andern zu glauben. Denn wenn er auch nicht ›für andere‹ im strikten Sinne schreibt, überhaupt nicht ›um zu‹, so müsste er doch verstummen, wäre nicht in ihm der Glaube an den Menschen, ohne den kein Wort geschrieben werden könnte. Noch im negativsten Gedicht ist dieser Glaube, dass das Wort ein Du erreicht, Dichtung setzt die Kommunikation voraus, die sie stiftet.“


(Aus: Das Gedicht als Augenblick von Freiheit. Frankfurter Poetik-Vorlesungen.)

Den Mut zum „Sagen“ und „Benennen“ kenne ich gut, es ist die Kraft, die ich brauche, um zu schreiben – sie kommt aus der Stille. Aber, ob ich genügend Mut aufbringe, damit auch die „Anrufbarkeit“ an meine LeserInnen deutlich wird, kann ich selbst nicht entscheiden. Da dürfen sich, trotz der Sommer-Stille, meine LeserInnen zu Wort melden. Ist das geschriebene Wort, ob es sich nun um ein Gedicht, eine essayistische Miniatur oder sonst einen Text handelt, kommunikativ? Was entsteht aus der Stille?

3 Kommentare:

  1. wolfkollmann@libero.it12. August 2010 um 11:02

    12. August
    Heute im Wald dachte ich an das Klopfen der Regentropfen, die sonst meinen Geist erhellen. Heute im Wald war ich nicht draussen, sondern drinnen, denn das Klopfen vernahm ich nicht, ich musste erst zu meinem Geist vordringen. Wo war ich nur? Ich war in Gedanken versunken, viele Gedanken, mein letzter Arbeitstag heute, der Abschied gestern, das Neue schon präsent und imprägnierend mein Sein, heute. Doch dieses Innen, das gleichzeitig Aussen ist und wahrnimmt, ist anders als, ich war selbst das Klopfen meiner Gedanken! Sophie, Danke für deine erhellende Worte aus der Stille! Wolf

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  2. Wenn ich ein Moment habe lese ich gerne ein von deinen Blog. Die sind wie wertvolle Steine auf mein Weg. Es ist fast immer etwas das auch in mir lebt und deine Art mit Wörter zu spielen ist mir ein Genuss.

    Auch eine Möglichkeit dich etwas besser zu kennen. Ist dass nicht was man versuch mit einen Blog : dass bin ich, könnt ihr weiter erzählen, enträtseln ?

    Die Stille im Wald habe ich letzlich ganz neue erlebt. Nach dem Regen wenn die Stille wie ein Schrei ist. Ein Schrei die die Geschichte des Waldes erzählt. Wieder einmal auf mein Blog .... auf Französisch ...
    Bien amicalement.
    Josiane

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  3. Ja, Josiane, so sehe ich es auch, man "zeigt" sich auf einer Blogseite und lädt zur Kommunikation ein.

    Und für den Schreibenden ist es besonders schön, wenn er auch etwas von seinen Lesern gezeigt bekommt.

    Ich grüße dich herzlich an diesem verregneten Montagmorgen! Sophie

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