Freitag, 26. März 2010

Von einer Frage- zu einer Antwortkultur

Elfriede, du hast danach gefragt, wie sich eigentlich das Wesen von Fragen und Antworten beschreiben lässt. Eigentlich dachte ich, dass ich dazu viele Ideen hätte und einfach darauf los schreiben, dir eine Antwort geben könne. Aber es sieht nicht danach aus. Ich beobachte mich selbst, wie ich beginne unruhig zu werden, ziellos im Internet zu surfen und Fragebögen von Schriftstellern (Max Frisch und Marcel Proust) aufzuschlagen… Aber ich weiß unmittelbar, dass das zu nichts führt. Also versuche ich einen Raum in mir selber zu öffnen, Zugang zu finden. Wo liegen meine eigenen Fragen, wo mögliche Antworten, die darauf warten in Worte gefasst zu werden?

Fragen zu stellen war mir schon immer sympathisch. Fragen bringen eine lebendige, aktivierende Unruhe, die Bewegung erzeugt. Gute Fragen können ein Gespräch richtig vorantreiben. Und irgendwie klappt das meistens auch ganz gut. Ich höre oder lese etwas und schon zeigen sich Anknüpfungsmöglichkeiten – Fragen (und Anmerkungen) eben.

Vor vielen Jahren habe ich einmal eine Arbeit über ein ausgefallenes Thema geschrieben, den Manichäismus. Und ich lernte in diesem Zusammenhang jemanden kennen, der ein echter Experte auf diesem Gebiet ist. Ich setzte mich also hin und begann in einem Brief (damals noch handschriftlich) meine Fragen zu formulieren.

Leider habe ich keine Kopie mehr von diesem Brief, aber es waren sicherlich „echt gute“ und vor allem unglaublich viele Fragen. Und weißt du, was mir der Experte antwortete? Er war tief beeindruckt von meinen vielen Fragen. Er war berührt, betroffen und erschüttert, und brachte zum Ausdruck, dass er noch nie so viele Fragen, die zum Thema gehörten, auf so engem Raum versammelt gesehen habe. Und er sagte mir, dass ich die halbe Arbeit ja schon geschafft hätte – jetzt müsste ich die Fragen nur noch selber beantworten…

Darüber war ich natürlich nicht sehr glücklich. Ich war zwar froh, mich als gute Fragestellerin geoutet zu haben, aber Antworten hatte ich mir tatsächlich von ihm erhofft. Ja, wie ist das mit Antworten? Brauchen Fragen immer Antworten? Und was geschieht mit Fragen, die nicht beantwortet werden?

Deutlich ist, dass die Frage zuerst kommt. Und wenn sie Glück hat, wird ihr eine Antwort gegeben – nicht immer aus Worten. Dann scheint die Sache komplett zu sein. Frage und zugehörige Antwort. Aber umgekehrt? Erst die Antwort und dann die Frage? Auf welcher Ebene müsste das dann geschehen? Zwischen Frage und Antwort gibt es also einen geheimnisvollen Zusammenhang, ein Ineinanderspielen, ein Auseinanderhervorgehen und eine Weiterentwicklung. Aus Fragen entstehen Antworten und aus guten Antworten weiterführende Fragen.

Eine der Ur-Fragen, die heute oft zur Floskel geworden ist, ist ja die nach dem Befinden des Anderen. Es ist die Frage, um die sich das Parzival-Epos von Wolfram von Eschenbach dreht. Parzival, der naive, unwissende und selbstbezogene Jüngling, lernt, den Blick auf seine Umgebung, seine Mitmenschen zu richten. Ihm war beigebracht worden, dass er nicht zu viele Fragen stellen möge – nicht neugierig sein solle – und durch diese Nicht-Frage, durch seine Stille, seine Zurückhaltung und sein Staunen, hat sich ein großes Unglück auf der Gralsburg vollzogen.

Parzival hätte nach dem Befinden Anfortas fragen müssen, können, sollen, dürfen - dann wäre der siechende Gralskönig sofort erlöst worden. Aber er wusste nicht, dass er eine Frage zu stellen hatte. In der Folge der nicht gestellten Frage ist ihm aber eine Antwort gebracht worden – obwohl er nicht gewusst hat, dass er diesbezüglich überhaupt eine Frage hatte. Die Antwort war die innere Unruhe, das Schuldgefühl, das Versagen und damit das Verzagen.

Die darauffolgende Leistung Parzivals besteht in dieser Hinsicht darin, dass er mit dieser Unruhe einen Weg gesucht hat, um eine neue Chance zu bekommen. Und er tut viereinhalb Jahre nichts anderes, als den Weg zur Gralsburg zu suchen, damit er seine Frage stellen kann. Als er dann endlich wieder vor dem Gralskönig steht und seine Frage stellt (Oheim, was wirret dir?), bedarf es keiner verbalen Antwort mehr. Die Antwort ist das Wunder, das sich vollzieht: Anfortas gesundet.

Fragen und Antworten brauchen Zeit und Raum, sie haben eine eigene Biographie. Manchmal zeigen sie sich in einem verhüllenden Kleid. Die Frage „Wie geht’s?“, wird heute ständig gestellt, diese Frage haben wir in den vergangenen 700 Jahren verinnerlicht. (Vor 1200 übrigens war das keine geläufige Frage!) Heute scheint mir die Herausforderung eher die Antwort zu sein. Wie antwortet man eigentlich adäquat auf eine Frage? Welchen Raum brauchen Antworten und wie kreiert er sich?

Zu einer Fragekultur gehört eine Antwortkultur. Fragen stellen können wir. Nun ist die Herausforderung also die Antwort. Gibt es auch dafür ein Urbild? Deutlich zu sein scheint mir, dass wir uns daran gewöhnen müssen, dass es nicht nur eine einzige Antwort gibt. Es gibt unzählige „richtige“, passende, weiterführende und immer wieder neue Antworten. Zeit, Raum und die Perspektive spielen dabei eine große Rolle. Schließlich geht es um den zwischenmenschlichen Raum, in dem sich eine Antwort ausbreiten kann.

Und damit ist auch gesagt, dass der Dialog die Urform des Fragens und Antwortens ist – das hat uns schon Sokrates gezeigt. (Natürlich kann man sich auch selber Fragen stellen und sie beantworten – aber so richtig kreativ wird es ja erst, wenn sich mindestens zwei Menschen zu einem Gespräch einfinden.) In diesem Sinne lade ich meine Leser und Leserinnen dazu ein, an dem Dialog über Fragen und Antworten teilzunehmen und sich einzubringen. Wer hat eine gute Antwort darauf, was eine Antwort eigentlich ist?

1 Kommentar:

  1. Liebe Sophie.
    Die einfachsten Fragen sind oft am schwierigsten zu beantworten. Zum Beispiel:Was ist eine
    Maus? Oder was ist ein Rechner? Wir sind es gewohnt mit den Dingen umzugehen, sie zu benützen, aber wir fragen nicht, was sie sind, was ihr Wesen ausmacht. Was bedeutet es für die Maus eine Maus zu sein? Es sind im Grunde Kinderfragen, aber auch Philosophen stellen sich diese scheinbar einfachen Fragen, auf die sonst kaum jemand mehr stösst, weil sie so klar zu sein scheinen. Worüber der Philosoph staunt ist nicht das Außergewöhnliche, sondern das Gewöhnliche. Doch die Antworten darauf sind alles andere als einfach. Der Schwierigkeitsgrad der Antworten ist also nicht unbedingt vom Schwierigkeitsgrad der Fragen abhängig. Damit ist deine Frage: "Was ist eine Antwort?", leider nicht beantwortet. Aber ist es möglich, dass es sich hier auch um eine ganz einfache Frage und eine verdammt schwere Antwort handeln könnte?
    L.G. Elfriede.

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