Vor einigen Wochen habe ich an einer Fortbildung teilgenommen. Heute frage ich mich, was davon hängengeblieben ist. Wozu machen wir Fortbildungen und was sollte durch diese Art der Weiterbildung für denjenigen, der daran teilnimmt entstehen? Was sind Lernprozesse, die nachhaltig wirken? Ich werde in diesem Artikel erneut versuchen zu beschreiben, was meines Erachtens für eine zeitgemäße Erwachsenenbildung nötig ist.
Die Fortbildung dauerte eine Woche. Fünf Kurse gab es zu belegen, sodass jedes Thema an fünf Tagen jeweils zur gleichen Zeit, etwa anderthalb bis zwei Stunden, besprochen und bearbeitet werden konnte. Titel des Seminars und Dozenten waren vorher bekannt. Mehr nicht. Wer und wie viele Menschen teilnehmen würden, was die Themen im Speziellen beinhalten oder hinterfragen würden, welche Art von Eigenarbeit zu leisten sei und vor allem, wie man sich vorbereiten könne, wurde den Teilnehmern vorenthalten.
Diese Umstände brachten es mit sich, dass die Spielregeln zunächst einfach waren: gefragt war lediglich Anwesenheit. Und so unterschrieben wir auch jeden Tag auf einer Liste, dass wir anwesend waren. Mehr nicht. Der Unterricht - die Seminarstunden - fanden auf klassische Art und Weise statt: Wir saßen zusammen im Seminarraum, haben geredet und zugehört. Und es stand ein Lehrer vorne. Er hat uns erzählt, was er zu sagen hat. Wir durften Zwischenfragen stellen und es entwickelten sich immer wieder auch kurze Gruppengespräche. Mehr aber nicht.
Dadurch, dass nicht bekannt oder transparent war, was das Ziel der Woche (oder auch: das Erfahrungsangebot) war, dass nicht besprochen wurde, mit welchen Vorerfahrungen oder Fragen die Teilnehmenden gekommen waren und dadurch, dass die Themen nicht eigenständig vorbereitet und eingebettet werden konnten, war es für die Teilnehmenden nur schwer möglich, aktiv und mitverantwortlich für den Prozess zu sein, der sich in den Kursstunden abspielte.
Als ich jetzt meine Unterlagen von der Fortbildung sortiert und abgeheftet habe - die verschiedenen Kurse haben eine ganz unterschiedliche Quantität und Qualität von Papieren meinerseits hervorgebracht – frage ich mich was geblieben ist und was „effektiver“ hätte verlaufen können.
Zwischen der veralteten Form, dass ein Lehrer vorne steht und seinen Schützlingen das ihnen fehlende Wissen verbal näherbringt – die Teilnehmer nehmen einfach passiv das auf, was ihnen vermittelt wird – und einem lockeren Treffen nach dem Motto: „Wir lassen uns mal auf den Prozess ein und schauen was entsteht!“ - die Teilnehmer gestalten aktiv selber, was geschieht - liegen meines Erachtens viele Möglichkeiten der zeitgemäßen, bereichernden, aktivierenden und nachhaltigen Seminargestaltung.
Für die Lehrenden, diejenigen, die die Didaktik – ihre Lehrkunst – verantworten und die Lernenden, diejenigen, die die Mathetik – die eigene Lernkunst – verantworten, gibt es einiges zu wissen, damit Fortbildungs- und Weiterbildungsprozesse in der Erwachsenenbildung zu einem wirklichen Erlebnis werden und saftige Früchte tragen.
Deshalb nun ein Blick auf Lehrende und Lernende, denn diese beiden „Parteien“ begegnen sich in einem Seminar. Eine Begegnung in der professionellen Erwachsenenbildung bringt immer Haltungen oder Rollen mit sich. Der eine ist Dozent, der andere Student. Als Dozent habe ich andere Erwartungen an eine Lehr- und Lernbegegnung und andere Aufgaben zu erfüllen, als wenn ich Student, der sogenannte Lernende bin. Aber auch dann habe ich Erwartungen. Und Aufgaben zu erfüllen. Aber andere als der Dozent.
Als Teilnehmender bringe ich Vorerfahrungen mit, habe Gründe und Motive für die Fortbildung, kämpfe mit Blockaden und bin, durch persönliche Umstände so oder so gestimmt (um nur ein paar Aspekte zu nennen). Was die beiden aber eint, das ist ihr Menschsein an einem gemeinsamen Ort, aus einem bestimmten Grund und zu einer speziellen Zeit. Und das ist ein wichtiger Aspekt in der Erwachsenenbildung: mitmenschliche Begegnung. Ohne echte Begegnungsfähigkeit werden es alle Beteiligten schwer haben und Fortbildungen auf professioneller Ebene nutzlos.
Des Weiteren gibt es meines Erachtens zwei grundlegende Herangehensweisen, um die sich beide Seiten bemühen sollten: „Selbstlose“ Wahrnehmung und „selbstständige“ Urteilsbildung in Bezug auf die Inhalte, das Thema der Zusammenkunft. Wie schnell mischt sich schon bei der ersten Wahrnehmung ein Urteil ein?
„Selbstlose“ Wahrnehmung bedeutet, dass ich in der Lage bin, Inhalte zunächst ‚sachlich‘ aufzunehmen und in meiner Reaktion zwischen Innen- und Außenschwelle zu unterscheiden.
WAS kommt mir auf inhaltlicher Ebene entgegen und welche Fragen entstehen? Was wird gesagt? Wer sagt es? Wann? In welchem Kontext? Etc. Eine Hilfe ist der Versuch, das Gehörte oder Gelesene zu wiederholen. Nach dieser ersten, äußeren Wahrnehmung entsteht eine zweite, innere Fragestellung.
WIE kommt mir der Inhalt entgegen? Was macht er mit mir, wie reagiere ich auf der Gefühlsebene darauf? Erzeugen die Inhalte Wärme, Verständnis und an welcher Stelle berühren sie mich?
Es scheint mir wichtig zu sein, dass sowohl die lehrende als auch die lernende Seite diese Fähigkeiten der Unterscheidung zwischen Innen- und Außenseite übt. Sympathie und Antipathie sind wichtige Kräfte – besonders dann, wenn bewusst mit ihnen umgegangen werden kann.
Nach der Wahrnehmung kommt die Urteilsbildung. Und auch das ist ein Feld, auf dem es schnell zu destruktiven Zwischenfällen kommt. Worauf gründet sich unsere Meinung, unser Statement, unsere weitere Argumentation? Auf welcher Ebene bewegt sie sich? Können wir darüber sprechen, wie und warum wir zu unseren Urteilen kommen? Was ist überhaupt ein Urteil und wie kommen wir dazu? „Woher“ kommt es? Können wir erläutern und begründen wie wir uns zu dem dargestellten Inhalt stellen? Die „selbstständige“ Urteilsbildung ist eine wichtige Fähigkeit, die dazu beiträgt, offen, ehrlich und überzeugend Sachfragen zu bewegen.
Ein weiteres Feld ist für beide Seiten die tägliche Vor- und Nachbereitung der Seminarzusammenkunft – vor allem dann, wenn das Seminar über mehrere Tage geht. Zum einen gilt es die Aufmerksamkeit auf die bewussten Tagesprozesse zu lenken und zum anderen den oftmals unbewussten Nachtprozessen nachzuspüren.
Der Tag verlangt warme Klarheit. Gute Vorbereitung. Scharfe Urteilsfähigkeiten. Struktur, Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Damit die Teilnehmer zu Mitgestaltern werden, brauchen sie Informationen – und die Möglichkeit sich einzubringen. Eine Seminareinheit will eingeleitet werden, will Raum für Prozesse haben und braucht eine angemessene Ausleitung. Zu einer Rückschau auf das Geschehen kommt die Auswertung hinzu und dann ein Vorblick.
Die Nachtprozesse arbeiten auf einer anderen Ebene. Wenn wir schlafen durchlaufen wir noch einmal das Tagesgeschehen. Und so passiert es oft, dass wir an der Schwelle zwischen Tag und Nacht, an der Schwelle zwischen Wachen und Schlafen Einsichten haben, Fragen oder Antworten bekommen, den Impuls erhalten jemanden anzusprechen oder heute etwas stiller zu sein (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Tag- und Nachtlernen gehören zusammen. Ohne die Einbeziehung der unbewussten und dunklen Seite der Nacht, kommt es selten zu fruchtbaren ganzheitlichen Seminarereignissen am Tag.
Begegnungsfähigkeit, selbstlose Wahrnehmung und selbstständige Urteilsbildung sowie die Einbeziehung von Tag- und Nachtlernprozessen scheinen mir sowohl für Lehrende als auch Lernende grundlegende Fähigkeiten und anzuwendende Fertigkeiten zu sein, die sich auf den Ertrag von Fortbildungen maßgeblich auswirken.
Immerhin hat mich die magere Fortbildung, die ich vor ein paar Wochen gemacht habe, dazu verleitet, mir generell über Lehr- und Lernprozesse Gedanken zu machen und diesen Text zu schreiben. Anmerkungen, Ergänzungen und Fragen sind herzlich willkommen!
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
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Hilde Domin
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