Montag, 7. September 2009

Der Ruhrpott. „Orpheus tritt im Schacht und unter Tage auf.“

„Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt! Ist es besser, viel besser, als man glaubt! Bochum ich komm' aus dir! Bochum ich häng' an dir!“ singt Herbert Grönemeyer – und ich schließe mich ihm mit Freude an. Über zwanzig Jahre habe ich im Herzen des „Reviers“ gelebt und freue mich über den Stolz und die Herzlichkeit, mit der Grönemeyer - und nicht nur er - die Stadt Bochum mit ihren umliegenden Städten „tief im Westen“ noch immer besingt.

Das Ruhrgebiet, DAS Synonym für Industrie im Westen Deutschlands, wird nach der Ruhr, einem Seitenarm des Rheins, benannt und steht heute für eine bizarre Verbindung und interessante Spannung von Natur und Kultur, denn das Wort „Industrie“ steht stolz zwischen den beiden. Das Ruhrgebiet ist der größte Ballungsraum in Deutschland und die ungefähr fünf Millionen Einwohner des Kerngebiets leben in einem Verbund von Städten die ineinander übergehen. Bochum, Dortmund, Essen, Duisburg, Castrop-Rauxel, Bottrop – um nur einige Städte zu nennen.

Das Ruhrgebiet ist eine Gegend, ein Landstrich in Deutschland, in den die Menschen mit ihren Bedürfnissen tief eingegriffen haben. Ja, sie haben die Erde geöffnet und Unmengen an Kohle entnommen. Das Schwarze Gold. Schon im 13. Jahrhundert hat man in Witten im Muttental Kohle „gekratzt“ – aber besonders im 19. Jahrhundert war „der Kohlenpott“ von unendlich vielen Zechen geprägt. Es heißt, dass es einmal über 3000 gewesen sein sollen. Der Bergbau hat mit seiner Arbeit unter Tage tiefe Löcher in die Erde gebohrt, die Erde ausgehöhlt, Schätze entnommen und Wunden geschlagen - für die Menschen über Tage.

Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts hat die Stahlindustrie geblüht. Das Ruhrgebiet war eine dampfende, dreckige, laute Arbeitsmaschine. Die Natur wurde „ausgeraubt“, der Reichtum des Bodens verschlungen und der arbeitende Mann hatte für Kultur nur wenig Sinn – weil ihm weder überschüssige Kraft noch eine höhere Bildung zur Verfügung stand. Seit vielen Jahren aber, befindet sich das Ruhrgebiet in einem Strukturwandel. Was geschieht heute mit der brachliegenden Stahlindustrie, mit den Zechen und Industriegeländen, den Schächten und Hochöfen?

Die Ruhr hat die Betätigungen der Menschen stoisch ertragen. Einst ein durch die Industrie stark in Mitleidenschaft gezogener Industriefluss, trägt er heute wieder zum Erholungswert der Ruhrgebietler, die in weiten Teilen Deutschlands verkannt und kopfschüttelnd betrachtet werden, bei. Durch den Eingriff in die Erde ist im Herzen des „Reviers“ eine neue Hügellandschaft entstanden. Man nennt sie „rekultivierte Schutthalden“. Entlang der Ruhr hat sich etwas Neues entwickelt. Mensch und Natur arbeiten nun Hand in Hand um Kultur zu schaffen. Nach dem Tiefpunkt – der industriellen Aushöhlung – hat es sich ein neuer Impuls breitgemacht. Der Mensch hat die Natur industrialisiert, nun kultiviert er sie. Und zwar mit Stolz und ohne seine Vergangenheit zu verleugnen.

Meine Kindheit in Bochum („du Blume im Revier!“) war geprägt durch Opel. Man konnte direkt aus unserem Küchenfenster im 5.Stock auf die große Autofabrik schauen. Da wurde gearbeitet. Da passierte das Leben. Auch die Bierbrauerei Fiege gehörte dazu. Und die vielen Autobahnen. Die wunderschönen Sonnenuntergänge, tief im Westen, die von den Abstichen in den Hütten begleitet wurden und den Himmel oft in flammendes Rot verwandelten. Das Blut der Erde hat sich im Himmel transformiert.

Aber auch das Schauspielhaus Bochum spielte schon damals eine Rolle – in dem Gemenge der verschiedenen Menschen, die im Ruhrgebiet ihren Platz einnahmen. Denn mit den „Gastarbeitern“ zu Beginn der 60er Jahre traten auch die ersten südländischen Restaurants auf den Plan. Pasta und Pizza und Oliven und türkisches Fladenbrot fanden schnell einen Weg ins Revier und wurden freudig angenommen.

Heute kann man vielen der vergangenen industriellen Tätigkeiten nachgehen. Bahnlinien werden zu Spazierwegen, Gasometer zu Orten künstlerischer Besonderheiten, Schutthalden zu Erkundungswegen, Hochöfen zu Abenteuerspielplätzen, Fertigungshallen zu Konzertsälen und Orpheus tritt im Schacht und unter Tage auf.

Die Zeit von Udo Lindenbergs Malocher neigt sich deutlich dem Ende zu

(Der Malocher aus 'm Ruhrgebiet, / tat nun etwas, was sonst nur selten geschieht / schmiss seiner Frau das Mobiliar vor die Füße / und sagte: "Eh jetzt ist aber Schluß meine Süße. / Und mit dem Lottogewinn, das haut ja doch nicht mehr hin. / Komm Weib mach meinen Koffer klar! / Ich hau jetzt ab nach Paris, da ist das Leben so süß. / Da trink ich Sekt im Alkazar und tanze Chachacha!")

und der Champagner wird unter Tage schon mal für das Jahr 2010 kaltgestellt, denn da präsentiert sich das Ruhrgebiet als europäische Kulturhauptstadt. Und es wird sich öffentlich zeigen, welches Kreativitätspotenzial der Mensch besitzt und wie Kulturgeschichte geschrieben wird.

1 Kommentar:

  1. hallo sophie,

    schönste grüße aus dem ruhrgebiet uas der zweitschönsten stadt nach bochum-essen.
    susanne reuter (früher heinenberg)

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