Donnerstag, 28. Mai 2009

Hilde Domin

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

Diese Zeilen schreibt eine Frau, die mehr als ein Wunder in ihrem Leben erlebt hat und immer wieder dazu bereit war. Die Dichterin Hilde Domin gehört mit ihren Worten zu meinem Leben. Immer wieder kann ich mich in ihren Gedichten finden, erweitern ihre Worte meinen Horizont und immer wieder machen ihre lyrischen Wortverbindungen Mut. Ihre Worte klingen und lassen Melodien entstehen. Ihre Gedichte sind aber auch Statements. Hilde Domin zeigt sich. Sie zeigt sich in ihrem Schmerz und sie zeigt sich in ihrer Hoffnung. Innere und äußere Erlebnisse fasst sie in Worte. Und ihre Worte gehen weit über ein persönliches Erleben hinaus. Hilde Domin schenkt sich in ihrer Sprache, mit ihren Worten der Welt.

Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort.

Hilde Domin wurde 1909 in Köln geboren. Erst mit zweiundvierzig Jahren begann sie selber zu dichten. Das war nach dem Tod ihrer Mutter. Bis dahin hatte sie, obgleich selbst studiert und in Staatswissenschaften in Florenz promoviert, hauptsächlich ihrem Mann zugearbeitet. 1932 war sie mit Ernst Walter Palm zunächst nach Italien, dann über Großbritannien in die Dominikanische Republik emigriert. Denn Hilde Domin war Jüdin. 1954 kehrte sie, nach zweiundzwanzig Jahren im Exil, mutig und mit vielen Fragen nach Deutschland zurück. Dort wurde sie sogleich als Dichterin erkannt und gefeiert.

Es gibt dich

Dein Ort ist
wo Augen dich ansehen.
Wo sich Augen treffen
entstehst du.

Von einem Ruf gehalten,
immer die gleiche Stimme,
es scheint nur eine zu geben
mit der alle rufen.

Du fielest,
aber du fällst nicht.
Augen fangen dich auf.

Es gibt dich
weil Augen dich wollen,
dich ansehen und sagen
daß es dich gibt.

Hilde Domin nahm ihr Schicksal als Jüdin im Deutschland der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht persönlich. Sie hat gelitten, ja, unendlich gelitten. Sie hat Angst gehabt und musste fliehen. Dabei hat sie ihre Heimat verloren, ihre Eltern, ihre Freunde, sie musste alles hinter sich lassen, immer wieder. Aber sie hat auch Glück gehabt. Ja, sie hat zwar in diesen Jahren ihr Vater-land verloren - was sie sich aber durch alle Umstände, Provisorien und Übergänge erhalten konnte, das war ihre Mutter-sprache. Heimat hat sie im Wort gefunden.

Hand in Hand mit der Sprache
bis zuletzt

Es ist ihr anders ergangen als manchem Leidensgenossen. Vielleicht, weil sie nicht im KZ war. Paul Celan zum Beispiel ist an seinen Erlebnissen zerbrochen. Oder auch Ruth Klüger. Sie ist zwar Professorin für deutsche Literatur in den USA geworden, aber der erlittene Schmerz weicht nicht von ihr. Ihre Wunde blutet bis heute – und zeigt sich in ihren berührenden Prosatexten, die von Sarkasmus getragen werden. Und auch das ist ein Schicksal, vor dem ich mich nur verneigen kann. Hilde Domin hat Frieden gefunden. Irgendwie. Sie hat die Schönheit der Welt sowie ihre Hässlichkeit, das Glück ihres Lebens und auch ihr Unglück in sich vereinen können. Die Gedichte der Jüdin Hilde Domin bleiben ein leuchtender Stern am Himmel der Lyrik – besonders in Deutschland, trotz des Holocausts.

Ich setzte den Fuß in die Luft
und sie trug.

Hilde Domin ist 2006 gestorben. Es gibt einen wunderschönen Film über ihre letzten Lebensjahre. Der Film heisst: „Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin“. Anna Ditges hat ihn gedreht.

Alle Gedichte sind dem Band entnommen: Hilde Domin „Gesammelte Gedichte“. S.Fischer Verlag, Frankfurt, 1987

13 Kommentare:

  1. Hallo Sophie,

    deine Texte gefallen mir. Sprechen mich an.
    Ich fühle mich gerade ein bisschen verwandt mit dir, so innen.
    Hilde Domin hat mich auch immer wieder berührt.
    Da kommt bei mir durch die Worte hindurch das Unsagbare an.
    Auch schön, mich nochmals an den Film zu erinnern, den du zuletzt nennst.
    Beeindruckend fand ich zum Beispiel, wie sie die Geschichte zu ihrem ersten Gedicht erzählt, auf das ihr Mann reagiert, in dem er wütend feststellt "das ist ein Gedicht!" und erst einmal davon stürmt.
    Ich bin in letzter Zeit auf so viele Schatten in mir gestoßen, da tut es heute so gut, mich zu erinnern, wo die Reise losging. Und auch, wie die Schatten vielleicht zu Licht werden können. Mich wieder an das Unsagbare, Geheimnisvolle erinnern. Darauf zurückbesinnen.
    "Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus..." fällt mir dazu ein. Wird es Licht, wenn ich aufhöre, das Unsagbare unbedingt sagen zu wollen?
    Auch in "Eine Stadt voller Geschichten" ist so etwas schönes leichtes geheimnisvolles lichtes zu mir herübergeweht.
    Danke dafür.

    Herzliche Grüße
    Stefanie

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