Sonntag, 7. Juni 2009

Arbeit für die Zukunft

Coenraad van Houten ist siebenundachtzig Jahre alt. Über Pfingsten hatte ich wieder einmal die Gelegenheit ihn zu erleben und ihn sprechen zu hören – kurz, mit ihm zu arbeiten. Wir trafen uns zur Pfingstkonferenz - so ein Treffen veranstaltet NALM - New Adult Learning Movement - jedes Jahr (siehe: www.nalm.net). Dort kommen Menschen zusammen, die etwas mit dem Impuls der erneuerten Erwachsenenbildung zu tun haben. Coenraad van Houten (CvH) verbringt also seinen Lebensabend als betagter Mann nicht ausschließlich im Kreise seiner Familie, sondern, er arbeitet.

Er stellt seine Lebenserfahrungen, seine Fähigkeiten, Einsichten und Überzeugungen der Zukunft zur Verfügung. Er arbeitet für die Zukunft, die Zeit nach ihm. Vor etwa zwanzig Jahren hat er erkannt, welche Art der Schulung dem erwachsenen Menschen angeboten werden kann, damit er auch nur halbwegs den bereits ausgebrochenen Geisteskampf, der in der Seele jedes Einzelnen heute tobt, übersteht. Kurz, CvH hat Wege entdeckt, wie sich der heutige Mensch schulen und stärken kann, um den Herausforderungen des alltäglichen Lebens gewachsen zu sein. All seine Kraft geht seitdem in den Aufbau des NALM Netzwerkes, in weitere Forschungen und in die Ausbildung der Menschen, die bereit sind, auf dieser Ebene zu arbeiten.

Grundlage seiner Arbeit ist die Anthroposophie, sind die Erkenntnisse Rudolf Steiners. Und CvH ist heute noch einer der letzten, der verschiedene Gründerpersönlichkeiten der anthroposophischen Bewegung in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts kennengelernt hat. In den dreißiger Jahren ist er selbst als Schüler zur Waldorfschule in Den Haag (NL) gegangen. Sein Arbeitsleben hat ihn durch viele Länder geführt und ihm die verschiedensten Herausforderungen gebracht. Wichtige Lehrer und Gefährten waren ihm dabei auch die beiden Holländer Willem Zeylmans van Emmichoven und Bernard Lievegoed.

Als eine der dringenden Aufgaben heute erlebt CvH die Beantwortung der Frage, wie Institute, Organisationen, Arbeitszusammenhänge, Gruppen etc. wirklich zusammenarbeiten können, wenn als Leitbild das freie Geistesleben eines jeden Einzelnen ernstgenommen wird. Wie kann das freie Geistesleben gelebt werden, wenn es nicht nur um persönliche Anschauungen geht? Und wie trägt das freie Geistesleben etwas Positives an die Nöte der sozialen Frage bei? Bei diesem Thema geht es ihm nicht um weitere Methoden, Modelle oder Begriffe, sondern um lebendige Praxistauglichkeit. Um Nachhaltigkeit. Darum, wie sich der Einzelne einbringen kann. Und dieses „Sich-einbringen“ hat wieder mit der Grundhaltung des Einzelnen zu tun. Es geht ihm in der Tiefe also um das Kreativitätspotenzial des Individuums.

Er erzählt immer wieder, dass schon Ita Wegmann, eine enge Mitarbeiterin Rudolf Steiners, darüber gesprochen haben soll, dass alles das, was in Gruppen versucht wird dann keinen Sinn hat, wenn der Einzelne nicht selbständig Kreativität entwickeln kann. Die Erreichbarkeit des entsprechenden Anliegens, das eine Gruppe hat, hängt im Wesentlichen davon ab, wie die Menschen, die die Gruppe bilden, geschult sind. Ob sie selber in der Lage sind, eigenständig zu denken – vor allem zu urteilen! – und zu handeln. Kurz, wie weit ihre Individualität ausgeprägt ist.

Um an die Quellen der eigenen Kreativität zu kommen, reicht es nicht aus, neue Techniken, Methoden oder gar Strategien zu verfolgen. Nein, Coenraad van Houten arbeitet auf einer ganz anderen Ebene. Der Boden seiner Arbeit ist der Gedanke der Reinkarnation und des Karmas, das jeder Mensch durchläuft, bzw. hat. Wenn wir immer wieder auf die Erde kommen, zu verschiedenen Zeiten und in ganz unterschiedliche Lebenszusammenhänge gestellt, dann entwickeln „wir“ uns – fast zwangsläufig. Denn, „wir“ müssen uns an die jeweilige Lebenssituation anpassen, uns also immer wieder umstellen. Möglicherweise bleiben aber „Reste“ – zum Beispiel Überzeugungen, Verhaltensweisen oder Grundhaltungen dem Leben gegenüber aus einem anderen Leben bestehen. Ziel der Arbeit mit karmischen Fragen ist die Gegenwärtigkeit, Offenheit und Angemessenheit im hiesigen Leben.

Um also an das eigene Kreativitätspotenzial heranzukommen, ist es nötig erst einmal den Willen zu erwecken. Was schlummert eigentlich in uns? Wissen wir, was wir wollen? Und, können wir das auch kommunizieren? In der Arbeit bei NALM geht es also zunächst um die Individualisierung des Menschen, um dann für die soziale Frage der Menschheit neue Antworten und Möglichkeiten zur Verfügung zu haben. Auf neue Fragen sollen neue Antworten gegeben werden können, die dazu befähigen geistesgegenwärtig immer wieder neu zu handeln. Darum geht es Coenraad van Houten. Die Individualisierung des Einzelnen ist also gerade kein Gegenspieler der sozialen Frage, sondern ein zu erweckendes Potenzial.

Damit die Kreativität in jedem Einzelnen geboren werden kann, werden bei NALM verschiedene Fähigkeiten geschult. Das ist zum Beispiel die selbstlose Wahrnehmung und im Gegenzug dazu die selbständige Urteilsbildung, das offene Begegnen der Welt und meiner Mitmenschen, die Entwicklung von Karmakräften, die Nutzung der Weisheit des Tag- und Nachtlernens und die Verwandlung der sieben Lebensprozesse in Lernprozesse, Schicksalslernprozesse und in die Geistige Forschung.

Im Laufe der letzten zwanzig Jahre wurde in dieser Hinsicht Vieles entwickelt. Und nicht nur CvH forscht an diesen Themen und Fragen, sondern mittlerweile ein offenes Netzwerk von Menschen die in den verschiedensten Ländern dieser Erde leben und arbeiten. Zur Entwicklungsgeschichte von NALM gehören wie überall zwei Seiten. Von der Sonnenseite wurde bereits berichtet und über die Schattenseite lässt sich sagen, dass einige Menschen aus dem sich bildenden Schicksalsnetzwerk herausgefallen zu sein scheinen. Die Arbeit für die Zukunft bedeutet nicht, dass es auf der mitmenschlichen Ebene keine Verletzungen und Unzulänglichkeiten gibt. Auch das gehört dazu und auch daran wird gearbeitet.

Mensch sein um Mensch zu werden, damit sich eine Kultur des Herzens etablieren kann - Coen, wie gut, dass du noch immer arbeitest!

2 Kommentare:

  1. Liebe Sophie!
    Danke für Deine Worte. Sie berühren mich sehr.
    Hans

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  2. Lieber Hans.
    Das freut mich.
    Mein Text ist Ausdruck meines Träger-Seins.
    Sophie

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