Montag, 27. April 2009

Über das Buch „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck

Liebe Christiane,
vor zwei Wochen hast du mir das oben genannte Buch mit der Bitte geschenkt, dass ich dir nach meiner Lektüre darüber berichten möge, was ich von dem Buch halte.

Ja, wie finde ich dieses Buch, was macht es mit mir? Ich habe es gelesen und bin verstört. Das ist zwar kein angenehmes Gefühl, aber die Leistung dieses Buches. Immerhin. Bücher – also Erzählungen und Geschichten - sind nicht immer Balsam für die Seele, angenehm, leicht oder voller Sonnenschein, obgleich manch einer von uns sich das sicher immer wieder wünscht. Ich werde versuchen zu beschreiben, warum mich das Buch verstört hat. Zunächst aber ein kleiner Überblick über den Inhalt – für all diejenigen, die ihn nicht kennen.

Der Protagonist des Buches ist ein kleines Häuschen an einem See in Ostdeutschland, ein scheinbar unscheinbarer Ort. Und im Verlauf des Buches erfahren wir von zwölf verschiedenen Menschen, oder auch menschlichen Konstellationen, die dieses Häuschen bewohnen, durch es hindurchziehen. Auf dem Klappentext ist zu lesen: „zwölfmal gewonnene, zwölfmal wieder verlorene Heimat – zwölf Lebensgeschichten eines deutschen Jahrhunderts […]“ Wir wandern durch die deutsche - bittere und schwierige - Geschichte. Aber weder chronologisch, noch gefällig. Sondern fragmentarisch, bruchstückhaft. Verbindende Elemente sind Wort- und Satzwiederholungen, sowie die immer wieder auftauchenden Kapitel über den „Gärtner“, der das Grundstück - offensichtlich durch die gesamte Zeit hindurch - pflegt.

Jedes Mal, wenn ich mich in ein Kapitel hineingelesen hatte, riß der Faden wieder ab. Das ist der Stil des Buches. Es werden Fragmente vorgestellt. Für den Leser ist es also in diesem Buch nicht möglich, sich an eine Person oder eine Figur zu halten, mit ihr mitzuleben. Nein, Konstanz bietet „nur“ das Häuschen. Und auf die Sprache eines Steinhauses zu hören ist zunächst eine ungewöhnliche Tätigkeit. Es gibt keinen expliziten Satz, in dem davon berichtet wird, was das Geschehen mit dem Gesamtgebäude macht, implizit jedoch entsteht eine besondere Aura die einen Flecken Erde mit einem Haus präsentiert, das aus den unterschiedlichsten Steinen zusammengefügt ist.

Mir scheint es so, als ob die einzelnen Steine des Gemäuers gerade aus den erzählten Lebensfragmenten bestehen. Fraglich bleibt, wie diese Fragmente miteinander verbunden werden, wie die Erzählung sich in sich und mit sich selbst verbinden lässt. Gefällige Verbindungsstücke liefert die Autorin in ihrem Text nicht.
Aber so, wie graphisch gesehen das Buch aus vielen Absätzen besteht, die die Steine bilden, bleibt für den Leser die Aufgabe, die Verbindung der losen Fragmente herzustellen. Und so eine Verknüpfung lässt sich nur mit sich selber herstellen – und auf diese Weise wird der Leser zum Haus, wenn er in das Geschehen hineinkommen will.

Es bleibt also nur die Möglichkeit eine ungewöhnliche Lese- und Identifikationsperspektive einzunehmen, nämlich, sich in den steinernen Protagonisten einzufühlen. Er ist die nebensächliche Hauptperson. Menschen gehen ein und aus. Suchen ihr Heim. Verweilen längere oder kürzere Zeit, sind glücklich, zufrieden, ängstlich oder aufgeregt. Jung oder alt, Mann oder Frau. Intentionen werden mitgeteilt – oder auch nicht, manchmal die Vorgeschichte, eigentlich nie das, was danach kommt. Obgleich das Geschehen zwar durch eine längere Zeit erzählt wird, ist innerhalb der Handlung immer Gegenwart. Und das produziert auf der einen Seite das Gefühl eines ewig langen Zeitraums. Eben jenes Zeitraums, das einem Haus zugemessen werden kann. Auf der anderen Seite wird aber die jeweilige Momentaufnahme, die Episode, die die Menschen in diesem Heim entstehen lassen, in den Vordergrund gehoben.

Diese Momente, ja Momentaufnahmen wie Fotographien sind es, die die Spannung erzeugen und den Leser konfrontieren. „Heimsuchung“ heißt das Buch – und es suchen nicht nur Menschen ihr Heim, sondern das Haus sucht sich selber. Die Menschen können es nicht mehr. Heimat lässt sich nicht durch ein paar Steine, einen See und einen Garten herstellen, sondern nur aus einem selbstgeschaffenen Innenraum. Und so bleibt, am Ende der Erzählung eine Grube, in der einmal ein Haus gestanden hat.

Mich hat das Buch verstört, weil das Haus zerstört wird.

Sei herzlich gegrüßt!
Sophie

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