Wollen wir das Weihnachtsfest christlich feiern,
so muss in uns selbst ein Hirte und König sein.
Ein Hirte, der horchen kann auf das, was andere nicht hören.
Der mit allen Kräften der Hingebung unmittelbar unter dem Sternenhimmel wohnt.
Zu dem es Engel gelüsten kann, sich zu offenbaren.
Und ein König, der schenken kann.
Der sich von nichts anderem leiten lässt als von dem Stern in der Höhe.
Der sich aufmacht, alle seine Gaben an einer Krippe darzubringen.
Aber außer dem Hirten und dem König muss auch ein Kind in uns sein,
das jetzt geboren werden will.
Friedrich Rittelmeyer
Kind sein: Erst in der Grundschulzeit bemerkte ich innerhalb der Gespräche mit Schulkameraden, dass das Weihnachten, das ich kannte, nicht das war, was die meisten meiner Freundinnen Jahr für Jahr feierten.
Bei uns wurde über die Angebote, die die Welt des Konsums alljährlich in der Weihnachtszeit darbot, gespottet. Säuselnde Lieder in Kaufhäusern wurden verhöhnt, Weihnachtsmärkte umgangen und jegliche Art der versuchten Besinnlichkeit abgelehnt. Bei uns gab es keinen Adventskranz, keinen Nikolaus, kein Christkind, keinen Weihnachtsmann. (Wohl aber ein Stück Schokolade.) Kirchen kannte ich als Relikte einer fernen Vergangenheit (das muss mindestens vor dem Krieg gewesen sein), einen Gottesdienst hatte ich noch nie miterlebt.
Alles was mit Religion zusammenhing gehörte nicht zu meinem Leben, das in meinem Umkreis gelebt wurde. Ostern waren wir meistens verreist – Ostereier suchen wurde als Spaß an der Freude nach Möglichkeit inszeniert. Die Bedeutung des „Festes“ aber verschwiegen. Weihnachten war das schon schwieriger. Das gesamte gesellschaftliche Leben, auch in der Schule, richtet sich wochenlang darauf hin. An den Weihnachtstagen konnte ich mich nicht mit Freundinnen verabreden – sie „feierten in ihren Familien Weihnachten“, was immer auch damit gemeint war.
Die Zeit um Weihnachten waren in meiner Kindheit verwirrende Tage. Weder kann ich mich an Gesang erinnern, noch kannte ich die Weihnachtsgeschichte richtig. Geschenke gab es aber. Zumindest die Großmütter unterließen es nicht zu schenken. Ich erinnere mich daran, dass einmal bei uns ein Weihnachtsbaum aufgestellt wurde, an den Würstchen gehängt wurden. Ein anderes Mal wurde am 24. Dezember mittags bei einem Weihnachtsbaumverkauf der Restbestand aufgekauft. Es waren vielleicht zehn kleine Bäume, die bei uns in der Wohnung aufgestellt wurden. Wir spielten im „Wald“ verstecken.
Abgesehen davon, dass in manchen Jahren das Fest übergangen wurde, gab es andere Jahre, in denen große Feste mit vielen Menschen gefeiert wurden. So richtig klar, deutlich und glücklich waren diese Tage nicht. Irgendwie musste auch jedes Jahr neu überlegt werden, wie es dieses Mal gehandhabt werden sollte. Und dann gab es einen Einschnitt.
Ich war vierzehn Jahre alt, als ich das erste Mal ein klassisch-traditionelles Weihnachtsfest erlebt habe – und war tief beeindruckt. Wir waren bei meiner Tante. Und fügten uns in ihr Vorgehen und ihre Rituale ein – ich wusste nicht wirklich, was auf mich zukam. Es wurde gekocht und geputzt. Alles wurde für den 24. nachmittags vorbereitet. Jeder hatte bestimmte Dinge zu erledigen. Zum Mittagessen gab es eine Suppe. Dann ging jeder in sein Zimmer. Zwei Stunden Ruhe – jeder für sich.
Zum Nachmittagskaffe - mit Bratäpfeln und Plätzchen - sollte sich jeder schön anziehen. Die Stimmung war erwartungsvoll, das Gespräch nahm eine andere Form als noch beim Mittagessen an. Witze zu machen war völlig undenkbar. Draußen wurde es dunkel, der Raum war nur mit Kerzen erleuchtet. Danach machten wir einen Spaziergang – der Wind pfiff uns um die Ohren. Als wir zurückkamen war es stockdunkel. Wir sammelten uns still in der Diele. Dort wurde gesungen. Weihnachtslieder. (Einige kannte ich aus der Schule.) Im Dunkeln.
Und dann läutete ein leises Glöckchen. Und die Tür zum Weihnachtszimmer öffnete sich. Dort stand ein geschmückter Weihnachtsbaum mit brennenden Kerzen. Das Christkind war mit einer Engelschar da gewesen. Es hatte Geschenke gebracht. Unter dem Weihnachtsbaum stand eine Krippe mit Maria und Josef. Die Hirten waren da, viele Schafe und Tiere, die heilige Familie im Stall und von Ferne waren schon die Könige unterwegs. Die Weihnachtsgeschichte wurde vorgelesen, wir wünschten uns alle gegenseitig frohe Weihnachten und sangen wieder. Stille und Gesang wechselten sich im Glanz des Kerzenlichtes ab.
Später gab es ein Weihnachtsabendessen. (Jedes Jahr gab es das traditionelle Weihnachtsessen.) Das Licht der Weihnachtsbaumkerzen spiegelte sich in meinen feuchten Augen. Der Weihnachtsstern, der dort oben in der Ferne des Nachthimmels leuchtete, erreichte mein Herz. An der Schwelle zur Jugend wurde ich wie neu geboren, war ein Kind geworden und erlebte ein Weihnachtsfest, wie es die Menschen auf Erden feiern können, um der göttlich-geistigen Welt nah zu sein.
Ich freue mich über Beiträge meiner Leserinnen und Leser!
liebe Sophie,
AntwortenLöschenbewegt lese ich deine Worte.Durch Erzählungen meiner Großmutter und Mutter weiss ich, wie es in den Kriegsjahren war....ohne Weihnachten. Aus Erzählungen bzw eben Nichterzählungen von Freunden unserer Kinder, die "frei" aufwachsen sollten, um sich dann später " frei" entscheiden zu dürfen.......fühle ich mit.Wir haben eine relativ reiche Familientradition aufgebaut mit unseren sechs Kindern, dieses Jahr wird es anders sein, eins hat sich mit Freundin komplett ausgeklingt.....mit verhärtetem Herzen.Und jetzt schreibst du von Hirte, König und Kind in uns......Danke dafür. Gesegnete Weihnachten wünsche ich dir. Herzlichst Sanne