Montag, 1. Dezember 2014

Von Off-road-Biographien und Futur-II-Fragen im Lebenslauf


Als Regisseur und Selbstgestalter unseres Lebensweges können wir wählen, welche Wege wir beschreiten. Eine Off-road-Biographie bewegt sich auf Straßen die abseits vom Highway liegen, sie ist nicht trivial, sondern spannend und abenteuerlich, weil in keinem Moment vorherzusagen ist, wie es weiter geht. Begibt sie sich doch auf Wege, die der Mainstream eher meidet.

Beliebt sind z.B. Gebirgspfade, sie haben einen hohen Anteil an Alleinstellungsmerkmalen – wer hat je einen Blick aus dieser Perspektive auf das Tal geworfen, sich dem Himmel so nah gefühlt, diese Pflanze, jenen Stein gesehen oder Bekanntschaft mit einem seltenen Tier gemacht – inklusive der Off-road-Gefahren, die es auf dem Highway des Mainstreams nicht gibt, weil dort Notrufsäulen in erreichbaren Abständen aufgestellt sind.

Dennoch unterliegen auch die Träger einer Off-road-Biographie menschlichen Gesetzmäßigkeiten und Wesensmerkmalen, die im Laufe des Lebens ihren Tribut fordern. Eines dieser Merkmale ist, dass der Mensch ein Wesen dreier Ebenen ist: Er ist ein Fähigkeitenwesen, ein Beziehungswesen und ein Bedürfniswesen. Diese drei Wesen in uns wollen im Leben bedient, benutzt und erweitert werden, damit die individuelle Biographie zu dem wird, was als Keim in ihr steckt.

Grundlegende menschliche Bedürfnisse sind Schutz vor Kälte, also ein warmes Dach über dem Kopf und Kleidung sowie Nahrung. Es ist die materielle Welt, die den Menschen herausfordert, sich um sich selbst zu sorgen, sich darum zu kümmern, gut versorgt zu sein, Bedürfnisse (auch monetäre) zu befriedigen – damit anderes möglich wird. Es sind die basalen, physischen Grundlagen des Lebens, die das „Bedürfniswesen“ in uns erfüllt haben will – und zwar nicht nur in diesem Moment, sondern auch im nächsten und übernächsten.

Auf der sozialen Ebene ist es die gelebte Mitmenschlichkeit, die der Mensch tagtäglich sucht, er nimmt und gibt, spiegelt und wird gespiegelt, tanzt und dreht sich manchmal im Kreis. Martin Buber geht soweit, dass er sagt, dass ein Ich erst durch ein Du entsteht: Im sozialen Miteinander, im Verstanden-Werden und Verstehen des Anderen, im freundschaftlichen Diskurs auf der Suche nach Identität des eigenen Selbst durch den Anderen, sind es die Beziehungen zu anderen Menschen (und zur Welt!), die in der Lage sind das seelische Gleichgewicht immer wieder herzustellen.

Das Fähigkeitenwesen in uns ist darauf bedacht, einen spezifischen Beitrag an das Wohl der Erde, das gesellschaftliche Miteinander oder Errungenschaften kultureller Art zu leisten. Etwas Eigenes entstehen, erblühen zu lassen, etwas zu vervollkommnen, was gerade nur du, durch deine Individualität tun kannst. Gaben und Aufgaben gehören dazu, Talente und Fähigkeiten – das Fähigkeitenwesen in uns offenbart sich auf der geistigen, kulturellen Ebene, die das Seelische und das Physische umhüllt und das große Ganze in Raum und Zeit verbindet.

Das menschliche Wesen ist aus Fähigkeiten, Beziehungen und Bedürfnissen zusammengesetzt, als Werkzeuge dienen ihm Erkenntnisse, Entwicklungen und Verbesserungen, um zu dem zu werden, der in einem steckt. Irgendwann im Leben fordert die persönliche Biographie ihren Tribut – sie will und muss allen drei Aspekten gerecht werden. Dazu bedarf es der individuellen Freiheit und der persönlichen Verantwortung, die gerade durch die Bedienung der drei menschlichen Wesensmerkmale erst entstehen.

Wenn eine Ebene auf Dauer nicht bedient wird, entsteht ein Ungleichgewicht. Es ist nicht nur das gesellschaftliche Abseits, in das der Träger einer Off-road-Biographie geraten kann, wenn er nicht alle Bereiche ergreift, sondern vor allem eine innere Einseitigkeit, die ein schwingendes Gleichgewicht als Balance-Akt verhindert. Die Widerstände und Barrieren, denen wir im äußeren Leben ausweichen, erscheinen im inneren Leben als Knoten, die sich im Laufe der Zeit immer fester verhaken.

Das menschliche Leben ist ein reziproker Zirkelschluss. Wie lange wir für den eigenen Lebensweg Zeit haben ist ungewiss, welche Pfade, Wege, Straßen oder Highways wir zur Vervollkommnung unseres individuellen Menschseins ergreifen ist in unsere Freiheit gestellt. Was Off-road-Biographien dem Mainstream aber präsentieren (und selber nicht haben!) ist die offene biographische Futur-II-Frage, die „vollendete Zukunft“, die uns die deutsche Grammatik ermöglicht - sie kommt aus der Zukunft und geht in die Zukunft, dem eigenen Gewissen unterstellt: „Wofür wird es einmal gut gewesen sein?“

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