Montag, 22. Juli 2013

Jeder ein Held? Der ganz normale Wahnsinn eines heldenhaften Lebens


DIE ZEIT titelte letzte Woche: „Wer ist ein Held?“ und bot einen interessanten Artikel an, in dem es um die Frage geht, welche Art von Heldenhaftigkeit sich im Individuum verbirgt und ob jeder es schafft, sein Leben zu einem Kunstwerk zu machen und seine Einzigartigkeit zur Schau zu stellen, eben heldenhaft zu sein. Große Namen geistern durch die Geschichte und man tut gut daran, mindestens verschwägert zu sein, wenn man schon selbst kein anerkannter Held ist, damit man sich daran irgendwie emporranken kann.

Über den Artikel nachsinnend geht mir einiges durch den Kopf: Helden sind Typen - Männer oder Frauen (manchmal auch Kinder) - die etwas Besonderes leisten. Sie sind Gefahren ausgesetzt, zweifeln, geraten in ausweglose Situationen, schaffen das Unerwartbare – irgendwie – und kommen gerade noch so davon (oder auch nicht!), sie kommen durch (mindestens ideell), überstehen die Gefahr oder den Gang durch die Wüste. Helden kommen irgendwie an - in sich oder in der Welt. Auch, wenn sie ihr Leben dabei verlieren, sich opfern, nur noch erinnert werden (gerade da wachsen sie oft über sich hinaus). Ihre (versuchten) Taten sind das entscheidende. Gilt das nicht für jeden von uns?

Und wenn man schon selbst kein Held ist, oder erst posthum dazu ernannt wird, dann ist es immer noch möglich das Erbe eines Helden durch das eigene Leben zu tragen, die Mutter, der Großvater, die kinderlose Tante zweiten Grades, das Patenkind in Äthiopien… Wir brauchen Helden und Heldentaten um weiter zu machen, um Sinn zu stiften, um unsterblich zu werden - das Leben schlicht und ergreifend auszuhalten. Wie man aber zu einem Helden avanciert scheint ein Geheimnis zu sein, das in den Nebentexten des ganz normalen Wahnsinns zu suchen ist.

Es ist noch gar nicht so lange her, als unser Lebenslauf noch von außen bestimmt wurde. Die Gesellschaftsschicht und der Beruf waren vorgezeichnet, die Frage war höchstens, ob es möglich war, vom eigenen Dorf in ein benachbartes zu kommen oder zu bleiben, die Ehe mit dem kleineren Übel einzugehen, oder diesbezüglich Glück zu haben. Sich zu einem Helden zu machen, über die gesellschaftliche Bestimmung hinaus, war Gottes Hand überlassen.

Heute sind wir Selbstgestalter unseres Lebens, jeder seines eigenen Glückes Schmid, postmodern ist es allemal, sich selbst zu erfinden und wieder zu dekonstruieren, der eigenen Intention auf der Spur zu sein und zuzugeben, nichts über die wahre Bestimmung zu wissen. Nein, ich behaupte, dass fast jeder darum bemüht ist, seinem innersten Kern auf die Spur zu kommen und sich selbst so zu leben, wie es ihm oder ihr erstrebenswert erscheint. Wer weiß aber schon, worum es dabei wirklich geht (was steht eigentlich in den geheimnisvollen Fußnoten des Lebens)?

Was für ein Stress, von der Wiege bis zur Bahre auch noch ein Held zu sein – am besten jeden Tag. Gut und Böse gibt es nicht mehr, die schleichenden Mischformen sind nicht deutlich zu definieren. Wie kann ich da wissen, was ich will und schon gar, was irgendwie heldenhaft wäre? Der eigene Wille schläft, sagt Steiner, und da bietet es sich doch an, sich nach außen zu richten. Entscheiden wir wirklich selber über unser Leben oder sagen wir einfach nur Ja zu dem, was auf uns zukommt? (Das scheint mir eine wirkliche Heldentat zu sein.)

Hip ist derjenige, der sich zum Helden macht und seine besondere Story auch noch erzählt – aber das Strickmuster ist gleich geblieben. Die ausweglose Situation wird überwunden, die undurchdringliche Verstrickung entwirrt, der überraschende Mut siegt, Geistesgegenwart wird prämiert, das Gute entfaltet sich, die famose Wendung geschieht – schlicht, das Unerwartete passiert (doch noch). Das vermeintlich vergebliche Warten hat plötzlich ein Ende, das Schicksal eine Chance, es geht weiter – über das eigene Leben hinaus.

Warum muss jeder ein Held sein? Etwas Besonderes, Individuelles, Unverwechselbares? Der Stress macht mürbe. Ist nicht gerade das Normale das Besondere geworden? Kann ich nicht einfach morgens aufstehen und einen ganz normalen Tag verleben, mit Zeitung, Brötchen, einem Buch und dem Gespräch mit Vertrauten? Ich bin ich. Und will kein Held sein. Was ich brauche ist das Gefühl angenommen zu sein, von mir selber und meinen Nächsten – und das hat vermeintlich nichts mit Heldentum zu tun. Es ist normal und still und einfach zu handhaben. Das Geheimnis der Heldenhaftigkeit entblößt der Text des Alltäglichen nicht, hierzu helfen nur die Chiffren in den Fußnoten weiter – wenn man sie zu entschlüsseln weiß.

1 Kommentar:

  1. Ich lese deinen Text schnell, als scheine ich ihn zu kennen, ein Wiederkennen im Rhythmus der Worte und Kadenzen, als sei die Steigerung ein Gemeingut, das aber keines mehr ist, als wären die Worte, Wortfänger und nicht Traumfänger, als würde das lang ersehnte plötzlich da sein, ohne sich zu zeigen. Selbstsein und Selbstwerden im Mythos der Modernität, werden emporgehoben und erkoren zu großen Bildern, die aber dennoch große Schatten werfen. Demgegenüber sind deine Worte, ist dein Schluss Nüchternheit, bescheiden Gesagtes, unten Angesetztes, mit Wasser Begossenes, damit Zartes, noch nicht Bekanntes langsam Licht erblicke und sich emporhebe, zu sein! Danke für diesen Anlass des Teilens, in der Ferne, verwandter Seelen. Herzlich Wolf -

    AntwortenLöschen