Dienstag, 30. April 2013

Von der Angst. Und einer Schattenblume der Verlässlichkeit


Du hast gesagt, dass du manchmal Angst hättest. Und das verstehe ich, denn ich kenne die Angst, die Unwägbarkeit, das Imponderable. Oft kommt die Angst schleichend daher, sie ist verwandt mit der Furcht und der Beklommenheit, und sie nutzt die unbemerkten Momente, um Obdach zu fordern. Sie fragt nicht, denn sie weiß, dass sie abgewiesen würde. Nirgends wird er gern gesehen, der ungebetene Gast. Still und leise schleicht er sich an und versucht einen Ort für sich zu erobern. Das Angstland bietet keine gute Lebensgrundlage.

Manchmal steckt die Angst in meiner Hosentasche. Und manchmal klingelt sie wie ein Telefon in einem leeren Haus. Niemand nimmt den Hörer ab und nach einer Weile verklingt der schrille Ton des Auffuhrs, er weicht der Unruhe, bis das Klingeln erneut anhebt. Ihr Gesicht ist farblos, ihre Macht unsichtbar. Schnell wie der Wind kann sie kommen und gehen, auf leisen Sohlen oder in festen Stiefeln.

Und wenn sie sich Zutritt verschafft hat, dann wird der Klang der Sterne im Inneren von einem leisen Knistern begleitet. Es klingt hohl und leer, ist kalt und erschreckt. Flüsternd erschüttert das Knistern das ruhige Gewässer. Es kommt ungelenk daher, wie die Angst selbst. Und je nachdem wie breit die Tür ist, durch die sie schlüpfen, die zischelnden Gesellen, erfüllen sie den Raum. Angst besteht aus Angst, aus nichts als Angstpartikeln, die sich ängstlich aneinander festhalten, damit sie sich nicht auflösen und über dem bodenlosen Abgrund schweben.

Angstblumen entstehen und vergehen, sie leben versteckt. Und manchmal auch verdreckt. Die Quelle der Angst liegt in einem anderen Land. Dort, wo es Ordnungen gibt, die durchbrochen werden. Wo Regeln und Vorsätze herrschen, die keine Abweichung dulden. Wo die Sonne scheint und hemmungslos vom Himmel knallt, die Klarheit dominiert und die Nacht verboten ist. Das grelle Licht gebietet Gehorsam. Es schafft einen Glanz, der scharf und schneidend wirkt. Zwischen Himmel und Hölle der Mensch, der seine Seele zum Schauplatz macht, damit die Kräfte einander messen.

Die menschliche Seele, ein Ort für die Angst. Aber ihr Ursprungsort liegt zwischen den Dingen, die sich aneinander reiben wie Schmirgelpapier, und nicht wissen, wie sie zueinander passen, ineinander gehören. Angst macht wachsam, sie stört das träumerische, trügerische Gleichmaß, in das wir uns flüchten, um den Alltag zu ertragen. Angst kann piksen, wie Nadelstiche, oder sich wie ein grauer Nebel auf das Gemüt legen. Die Angst will erlöst werden -

vom Schatten der Zeit. Schattenblumen wuchern wenn die Angst regiert. Aber zum Regieren ist sie gar nicht angetreten, sie versteht sich selbst als Gradmesser, als Maß des Einen und des Anderen, als Brücke zwischen Gestern und Heute, zwischen dem Dunkel und dem Licht. Denn Angst kann uns tragen, von einem Ufer zum anderen. Ihre Gebärde ist Sehnsucht, sie will anerkannt werden. Bloß weil sie geheimnisumwoben versteckt, will gerade sie entdeckt werden.

Die Angst will sich verbinden mit der Achtsamkeit, scheu und bescheiden, sie will eine Allianz bilden mit der Vorsicht und der Wachsamkeit. Sie will Freude werden, Sicherheit und Verbindlichkeit. Sie will ihre eigene Enge und Beklommenheit weiten, taktvoll ins Licht treten und sich anmutig anbieten, als Brückengeländer vom Ich zum Du. Dann begleite sie aus der Verlorenheit in die Weite, und heiße den Gast willkommen. Er wird dir zeigen, was er ist, was er kann und was er will.

Noch bist du da
Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer

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