Sonntag, 17. Juni 2012

Mit dem Zeugnis der Reife am Schnittpunkt zur Zukunft. Vom Finden


Ich suche nicht - ich finde.
Suchen, das ist das Ausgehen von alten Beständen
und das Finden-Wollen von bereits Bekanntem.
Finden, das ist das völlig Neue.

Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer.

Die Ungewißheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die im Ungeborgenen sich geborgen wissen,
die in der Ungewißheit, der Führerlosigkeit geführt werden,
die sich vom Ziel ziehen lassen
und nicht selbst das Ziel bestimmen.

Pablo Picasso

LieMi, nun gilt es nicht mehr die „richtigen Antworten“ zu suchen und zu finden. Nein, es geht überhaupt nicht mehr um Antworten, sondern es geht um deine Fragen, offene, freie Fragen, denen du nachgehen möchtest, deren Spur du verfolgst. Es geht nicht mehr darum, etwas zu finden, was andere von dir wollen, sondern es geht darum, das zu suchen und zu finden, was in deinem Herzen lebt.

Denn nun hältst du es in deiner Hand, das Zeugnis der Reife. Die Schule, in die du dreizehn Jahre lang gegangen bist, entlässt dich mit einer Bescheinigung darüber, dass du nun „reif“ seist, um von der Gesellschaft „geerntet“ zu werden – dich einzubringen. Du hast rechnen, lesen und schreiben gelernt. Zwei fremde Sprachen haben ihre Türen für dich geöffnet, du hast dich der Kunst gewidmet, hast Musik, Sport, Eurythmie und vieles mehr gemacht.

Es gab Klassenreisen nach Sylt und nach Estland und verschiedene Praktika im In- und Ausland, ihr habt Theater gespielt, auf der Bühne gesungen, getanzt und gelacht. Du hast eine Biographiearbeit über Anne Frank geschrieben und vorgetragen und dich in deiner Jahresarbeit mit der Situation der Frauen im Islam auseinandergesetzt.

Dein Weg in die Schule war nicht weit. Manchmal bist du mit dem Fahrrad dorthin gefahren, gerne aber mit dem Auto. Früher auf dem Rücksitz, dann auf dem Beifahrersitz und seit einiger Zeit besonders gerne auf dem Fahrersitz. Die Schule hat einen großen Raum in deinem und unserem Leben eingenommen. Aber das wird nun alles anders – die Schule liegt hinter dir, der Horizont der Zukunft offen vor dir!

Die „große Freiheit“ ist es, die nun ruft. Was wird geschehen, was wirst du machen? Die Schulpflicht ist längst geschafft, das Abitur hast du in der Tasche und nun kannst du deinen Blick frei nach vorne richten - in dem du auf dein Herz hörst. Obwohl wir ja wissen, dass die Zukunft aus der Vergangenheit hervorgeht, ist der Weg, den deine Füße gehen werden, doch unbekannt. Noch wissen wir nicht, wohin sich dein Blick richtet, was deine Hände tun werden. Sicher bin ich aber, dass sich dein Weg zeigt und du genügend Kraft, Mut und Stärke hast, ihn zu gehen – was immer da kommt.

Du bist ein willensstarker Mensch, der die Hürden nimmt, wenn das Ziel dir erstrebenswert erscheint. Zaghafter bist du, wenn es um Neues, Unbekanntes, Abenteuerliches geht und nicht unbedingt klar ist, was dabei herauskommt. Aber nun ist der Leistungsdruck weg und du bist frei dich auf die Welt einzulassen, dich eigenständig mit ihr zu verbinden und dich frei zu bewegen.

Ich wünsche dir, dass du weiterhin deine Liebe zu den Pferden pflegst, dass du das Klavierspiel beginnst, deiner Neugier auf die Geheimnisse der Welt mit Taten begegnest, die lauen Sommernächte mit einem Glas Wein einläutest und das tust, was du wirklich, wirklich willst. Die letzten zwanzig Jahre haben dich für deine Eigenständigkeit gerüstet, so dass du voller Stolz an jeglicher Ecke beginnen kannst frei weiterzugehen. Der Weg entsteht unter unseren Füßen, wenn wir ihn gehen…

LieMi, ich bin stolz auf dich, tapfer warst du, ausdauernd und willensstark. Die Schulzeit, die ja nicht immer einfach war, so glorreich zu beenden ist ein schönes Signal. Lass dich nicht beirren, mache dich nicht kleiner als du bist, sondern geh mutig und aufrecht in fremde Gefilde. „Frage dich nicht, was die Welt braucht. Frage dich lieber, was dich lebendig macht. Und dann geh hin und tu das Entsprechende. Denn die Welt braucht nichts so sehr wie Menschen, die lebendig geworden sind." (John Eldredge)

Von ganzem Herzen alles Liebe und Gute dir – dein Zuhause bleibt eine beständige Insel für dich, auf die du immer zurückkommen kannst!

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