Sonntag, 13. Mai 2012

Replik zu "Geld schenken (2) Die Verwandlung der Gesellschaft" auf www.jellevandermeulen.blogspot.com


Du schreibst in deinem zweiten Beitrag über Geld und Schenken als letzten Satz: „Die Verwandlung der Gesellschaft läuft wohl übers Geld.“ Dieser Satz springt mich an und ich denke unmittelbar: „Nein, das ist nicht unbedingt so. Die Veränderung der Gesellschaft hat nicht viel mit Geld zu tun, vielleicht gar nichts. Nicht, dass Geld sowohl gesellschaftlich als auch persönlich keine Rolle spielt, nein, das ist schon klar, Geld spielt eine Rolle. Aber, ob die Veränderung der Gesellschaft primär über Geld läuft wage ich zu bezweifeln.“

Auch ich gehöre zu den Menschen, die eher weniger Geld zur Verfügung haben – allerdings immer gerade so ausreichend. Die Situation, kein Geld für die nächste Miete zu haben oder nicht zu wissen, wie ich meinen Hunger stille, kenne ich nicht. Wohl aber befinde ich mich oft in der Situation mich einzuschränken. Gar nicht erst auf die Idee zu kommen in die Oper zu gehen, eine Bildungsreise in ferne Länder zu machen oder vermeintlich luxuriöse Gegenstände in meine Nähe zu kriegen...

Allerdings gab es in meinem Leben einen Moment, in dem mich die Abwesenheit von freiem Geld auf meinem Konto sehr bedrängt hat. Ich wollte studieren – aber ich musste arbeiten (um Geld zu verdienen!) und konnte beides miteinander nur begrenzt vereinbaren. Da war ich mit einem echten Geldproblem konfrontiert und konnte den Gedanken, dass mir das fehlende Geld ein Studium verunmöglicht, kaum ertragen.

Ich kam dann in die Situation, dass mir mehrere Privatpersonen über eine längere Zeit Geld geschenkt haben, damit ich mich frei meinen Studien widmen konnte. Auch ich gehöre also zu den Beschenkten. Dafür bin ich unendlich dankbar! Zu Beginn des Prozesses gab es allerdings einen interessanten Moment in meiner Seele, in dem ich mich selber fragte, ob ich das Angebot annehmen könnte, wollte, sollte – und was das (vor allem auf einer tieferen Ebene) bedeuten würde.

Dadurch, dass ich leibhaftig erlebte, dass es frei geschenktes Geld war, was mir zur Verfügung gestellt wurde, das an keinerlei Bedingungen geknüpft war, jedoch aus einem bestimmten Anlass heraus angeboten wurde, machte es mir möglich es anzunehmen und mein Studium durchzuführen.

Das ganze liegt nun einige Jahre zurück und hat mein Leben verändert. Zwar bin ich immer noch nicht in der Lage selber Geld großzügig weiter zu geben, aber es ist eine Sicherheit in mir entstanden, dass es in dieser Hinsicht um Werte geht, die im Menschen schlummern und einen geschützten Raum brauchen, um geboren werden zu können. Es braucht Zeit und entsprechende Umstände, um den Klang der eigenen Stimme zu erkennen.

Wir alle sind Teil der Gesellschaft – ja machen sogar die Gesellschaft aus! – und mit Geld geht VIELES einfacher (z.B. wenn man nicht irgendeinen Job annehmen muss, um den nächsten Monat zu überleben), aber die Veränderung der Gesellschaft ist von dem zur Verfügung stehenden Geld nicht abhängig.

Abhängig ist unserer Gesellschaft und damit auch ihre mögliche Veränderung vom Selbstverständnis des Einzelnen. Von den Chancen und Möglichkeiten, die er bekommt oder sich erobert, davon, wie wir am Morgen aufstehen, was wir uns für den Tag vornehmen und wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen. Unsere Gesellschaft setzt sich aus Individuen zusammen, die ihre Werte, Traditionen und Schätze in sich tragen und damit die Gesellschaft gestalten.

Ich kann mich jeden Tag entscheiden, ob ich bei einem großen Supermarktkonzern einkaufen gehe oder den kleinen Bioladen unterstütze. Ich kann mir meine Intentionen klarmachen und dafür einstehen – egal wo ich bin. Ich bin ein Teil der Gesellschaft und damit ist unsere Gesellschaft ein Teil von mir. Und dabei spielt es keine Rolle ob ich Jurist, Straßenbahnschaffner oder Verkäuferin bin – und es spielt auch keine Rolle, wie viel Geld ich habe.

Die Veränderung unserer Gesellschaft hängt meines Erachtens davon ab, ob wir ein Verständnis für uns selber entwickeln, ob wir ein Zutrauen zu uns und unseren Fähigkeiten entwickeln oder haben (die Musik in unserem Herzen hören), ob wir gelernt haben mit Wünschen, Vorsätzen und Entschlüssen umzugehen, ob wir ein Gefühl für eigene und fremde Bedürfnisse haben und ob wir innere Wunden und Abgründe zeigen können ohne selber zu verletzen oder jemanden in den Abgrund zu stoßen, und ob wir willens sind, tatkräftig für uns selber, unsere Mitmenschen, für die Erde und Natur auch gesellschaftlich einzutreten.

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