Samstag, 3. September 2011

Momente. Sandkörnchen im Getriebe

Samstag, 23.21 Uhr
Ich sitze noch immer am Computer. Switche hin und her. Postfächer, Internet, Dokumente… Für eine Fußnote brauche ich noch Informationen. Werde ich sie über den Computer bekommen, dem virtuellen Eingangstor in die ganze Welt? Ich sitze in einem kleinen Nest und fühle mich wie am Puls der Zeit. Internet macht‘s möglich. Zwischendurch kommt eine Message aus den USA, ein Skypeanruf, eine Mail, dann eine SMS. Ich schreibe, recherchiere, lese. Und plötzlich spüre ich meine Müdigkeit. Die Leere in mir. Wo findet das wirkliche Leben statt?

Sonntag, 9.53 Uhr
Wir sprechen am Telefon miteinander. Ich höre mir die Neuigkeiten an, erfahre etwas über den Stand der Dinge. Wir sprechen über die Alltagssorgen mit den beiden kleinen Kindern. Und über die wunderbaren Freuden, die jeder Tag bereit hält. Das Leben aus Kinderaugen sieht so anders aus! Die "Dinge“ sind lebendig, werden eingeladen mitzuspielen, werden verwandelt, genutzt und plötzlich wieder fallen gelassen. Welch ein erhabener Moment, das erste Mal den eigenen Namen zu schreiben. Wie viele Buchstaben werden in ihrem Leben noch vor ihr liegen?


Montag, 14.09 Uhr
Ich sitze im Garten auf einem der roten Liegestühle, mitten auf der Rasenfläche. Die Sonne scheint warm, ich spüre die Wärme, wie sie meinen Körper erreicht und bedeckt. Ich trinke eine Tasse Espresso und schließe die Augen. Es ist still. Plötzlich spüre ich, wie an meinem Bein etwas an mir vorbei streichelt, es ist die Katze. Ohne, das etwas zu hören ist, schleicht sie durch das Gras. Hat etwas ins Visier genommen – einen Schmetterling? Ich blicke nach oben, die Blätter des Apfelbaumes tanzen leise vor sich hin. Dazwischen blauer Himmel. Die Natur schenkt.

Dienstag, 20.46 Uhr
Wir sitzen zu sechst um einen Tisch. Unsere Alter reichen von 19-86 Jahren. Der Zweitjüngste spricht. Erzählt von seinen Erlebnissen. Von einem Ort, an dem etwas Neues probiert wird. Er berichtet von dem, was ihn beschäftigt. Was seine Fragen an die Zukunft sind, wovon er träumt. Die Älteren von uns hören das, fühlen sich an ihre eigene Jugend erinnert und gleichen innerlich ab. Was ist aus meinen Idealen geworden? Wie lebe ich mein Leben, womit habe ich mich abgefunden und wofür gehe ich? Wie viel Gestaltungskraft habe ich, was setze ich um?

Mittwoch, 06.21 Uhr
Ich sitze im Zug. Fahre durch den Schwarzwald. Sehe, wie die Natur langsam erwacht. Tau liegt auf den Wiesen, Nebelschwaden hängen in der Luft. Das eintönige Geratter des Zuges verleitet zum Nachsinnen und Träumen. Auch die anderen Fahrgäste scheinen vor sich hin zu dämmern. Ich sehe zwei Rehe, die sich umblicken und zum Waldrand laufen. Die Natur zeigt sich offen und verwundbar. Langsam bricht die Sonne hervor. Der Tag ist noch jung, schön und gnädig. Als ich umsteigen muss ist der Zauber vorbei. Im ICE herrscht Geschäftigkeit.

Donnerstag, 11.58 Uhr
Wir sitzen im Büro und besprechen die Arbeit. Machen To-do-Listen. Blicken auf die Tage und Wochen vor uns. Was steht an? Was muss getan werden? Die Kraft des Sommers sitzt noch in unseren Gliedern – es werden Pläne geschmiedet. Ein Blick nach vorne, der große Wurf. Aber auch die Vergangenheit meldet sich. Das, was damals vor uns lag, die von langer Hand organisierten Ereignisse, werden nun auf uns zukommen. Das, was in der Vergangenheit für die Zukunft geplant wurde, wird nun Gegenwart. Es gilt: dabei zu sein, mitzumachen. Und wieder eine neue Zukunft zu organisieren.

Freitag, 16.37 Uhr
Ich blicke zurück. Die Woche neigt sich, eine neue wird in Kürze beginnen. Tag um Tag dreht sich die Erde. Sonnenauf- und -untergang – unwiderruflich – Tage und Nächte kommen und gehen. Zurückblicken kann ich, so lange mein Gedächtnis mich nicht verlässt – vorausblicken kann ich, soweit meine Fantasie reicht. Ich stehe dazwischen und nehme wahr, gestalte, nehme hin, freue mich oder lehne mich betrübt zurück. Das Rad des Lebens dreht sich. Wie ergeht es den anderen Sandkörnchen im Getriebe?

1 Kommentar:

  1. Hier meldet sich Sandkörnchen Nr. 1. Du hast mir aus der Seele gesprochen, mich manchmal schmunzeln lassen, und mich auch beruhigt, denn es geht also auch anderen manchmal so, dass sie zweifeln, "Wo findet das wirkliche Leben statt?"
    Danke für deine Worte! Liebe Grüße von Elfriede.

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