Liebe Olga,
wir haben eine Freundschaft beschlossen und geschlossen. Vor ein paar Tagen. Ort, Zeit und Datum lassen sich nennen. Wir saßen im Auto. Es war nichts Feierliches dabei. Nein, wir haben uns auch nicht die Hand gegeben. Es waren nur zwei kurze Sätze, die im Auto ausgesprochen wurden. Und doch war das Ganze irgendwie ein Moment, der aus dem All der unendlich vielen Momente herausgefallen ist. Er leuchtet am dunklen Himmel.
Auch wenn alles andere fehlte, war es wie im Standesamt – obwohl wir ja im Auto saßen. Jeder hat auf die Frage des anderen, ob er die Freundschaft wolle, ganz locker mit JA geantwortet. Unsere Freundschaft wurde also – ohne Sinn und Zweck! – performativ und „ausdrücklich“ verabredet. Sie beginnt durch das gesprochene Wort – allerdings ohne Zeugen. Was werden wir mit diesem Letter of Intent, dieser Freundschaftsbekundung anfangen?
Wir kennen uns schon ein paar Jahre, sind uns immer wieder begegnet und ich würde sagen, dass wir uns in all dieser Zeit durchaus gewogen waren. Es gab Tops und Flops, Begegnungen und ein Aneinander-vorbei-Laufen, es gab Interesse und Anteilnahme – aber nicht wirklich etwas Entzündendes. Es handelte sich bis dahin eben nicht um eine sogenannte Freundschaft. Unsere inneren Begegnungen waren mehr dem „Zufall“ überlassen.
Das änderte sich erst an jenem Abend, als ich in deinem Beisein ein Telefongespräch beenden wollte, weil ich mit dir, „einer alten Freundin“ essen ging, wie ich mich unerwartet ausdrückte. An dieser Wortkombination entzündete sich ein Gespräch zwischen uns, denn das war etwas Neues. Was ist in diesem Moment passiert? Und was war vorher? Nennt man es Bekanntschaft? War es ein gegenseitiges „Beschnuppern“? Ein Begleiten aus der Ferne? Gleichgültigkeit war es bestimmt nie. Aber jetzt ist alles anders.
Es gab also einen zündenden Moment. Die Flamme eines Wunsches muss offensichtlich vorhanden gewesen sein, sonst wäre es nicht zu einem Vorhaben, einem Vorsatz gekommen, der in einen Entschluss mündete, den Entschluss einer Freundschaft. Was diese Freundschaft allerdings ausmachen wird, das wissen wir nicht. Noch nicht. Von Rudolf Steiner wissen wir aber, dass der Wille schläft. Und doch war es eine deutliche Willensbekundung. Was werden wir aus dieser Freundschaftsbekundung machen?
Was ist überhaupt Freundschaft? Haben die Verbindungen zu Freunden etwas mit dem Gefühl des Zuhause-Seins zu tun? Geben sie eine innere Heimat? Wenn ich auf mein Leben schaue, sehe ich mehrere Verbindungen mit Menschen, auch Kraftlinien genannt, die sich unter den Begriff der Freundschaft zusammenfassen lassen. Sobald ich aber beginne, diese Freundschaften innerlich nebeneinander zu stellen, stelle ich fest, dass sie alle eine andere Farbe, einen unterschiedlichen Klang haben, ganz abgesehen von Dauer, Intensität, Anlass oder Grund. Jede Freundschaft lebt sich individuell, eigensinnig und unvergleichbar aus. Mit dem Blickwinkel von oben lassen sich all diese Verbindungen fast nicht unter einen Begriff zusammenfassen.
Was den Freundschaften gemeinsam ist, ist die Tatsache, dass die Menschen, um die es geht, alle Spuren in mir hinterlassen haben, die dazu geführt haben, dass im Laufe der Zeit ein Raum in mir entstanden ist, in dem ich diese Freunde und Freundinnen immer wieder begrüße. Und genauso angenommen, aufgehoben und anerkannt kann ich mich auch mit und bei meinen Freunden und Freundinnen fühlen. Selten wurden diese Freundschaften aber bewusst „begründet“ – meistens haben sie sich irgendwie ergeben. Irgendwann gab es einen Zeitpunkt, an dem sich der Herzensring geöffnet hat und Menschen zu Freunden wurden – aber das lässt sich nur noch im Nachhinein feststellen.
Vor uns liegt die Zukunft. Und der Beschluss einer neuen Freundschaft. (Haben wir nicht schon genug? Wie schaffe ich es, all die verschiedenen Freundschaften zu leben?) Etwas Neues wird entstehen. Wir werden etwas daraus machen. Uns verbindet keine gemeinsame Vergangenheit. Nein, wirklich nicht. Ein paar Gegebenheiten aber werden uns leiten – so vermute ich. Beide sind wir Lehrende und Lernende – im Wechsel. Und beide sind wir Suchende. Wir sind uns an besonderen Orten begegnet – kennen aber unser gegenseitiges Umfeld nicht. Mit der Frage nach Heimat werden wir es zu tun kriegen, das ahne ich schon.
Wir begeben uns also auf eine unbekannte Reise. Mein Leben geht „mit dir“ weiter. Irgendwie. Und darüber freue ich mich. Schauen wir mal, ob so etwas entsteht wie: „Heimat ist der Mensch, dessen Wesen wir vernehmen und erreichen.“ Max Frisch.
Herzlich, Sophie
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
Liebe sophie ! Vielen DAnk für deinen schönen Brief und deine Betrachtung über die Freundschaft. Das ist ein Thema, mit dem ich mich wirklich auskenne.....
AntwortenLöschenIch glaube, mein Leben ist durch Freundschaft so reich gesegnet.Es ist wie im Märchen, in dem der oder die Suchende Helfer an die Seite gestellt bekommt, eigentlich immer. Sie kreuzen den Weg und sind auf einmal da. Immer wieder ist das, so wie du es beschreibst, ein traumhaftes Erleben, wenn dieses "Erkennen" stattfindet.
Fast immer geschieht es über die Augen und über EINEN entscheidenden Satz, findest du nicht?
(Was ist unter der Vorstellung, dass "der Wille schläft", zu verstehen? Könntest du das einmal erläutern??)
Es gibt ein wunderwunderbares Gedicht über die Freundschaft von Micheal O`Siadhail:
"...Wir haben unsere Wurzelkeile
tief ins Grundwasser getrieben.
Kein Wunder, dass Wasser von Wurzel
zu Wurzel fließt, Ader aus eau de vie,
unterirdischer, flüssiger Pakt,
Vertrautheit, getränkt und gehegt
für Dürre und Fest."
Auf Englisch ist das natürlich noch viel schöner !!
Heute soll ein Tag der Freundschaft sein, es ist Vollmond, und er steht in der Jungfrau, das ist also ganz verlässlich und gar nicht abgehoben, und doch und gerade deshalb könnte sich alle Leidenschaft entfalten im GEspräch, in der Begegnung, im gegenseitigen Anblick.
HAbt alle einen wunderschönen Tag !
Anna
"Willst Du meime Freundin sein?" - das war eine Frage, unangebract plötzlich , ein Näbensatz in dem Gesräch. Sicherlich nicht überlegt, eine Prowokation für uns beide!
AntwortenLöschenWas macht man damit? So, hast Du recht, schließt man keine Freundschaften, oder? Sie ergeben sich - oder nicht, einfach so, ohne Grund. Das ist wie Liebe, sie kommt von selber, sie kann man nicht erzwingen.
Aber die Worte sind ausgesprochen. Ist es ein Wiederstand? In dieser Form schon...
Aber ich schmunzele ein bisschen darüber und freue mich auf das Unbeckannte.
Bis bald.