Samstag, 8. Mai 2010

Firenze. Die Stadt der sonnenbeschienenen Schatten

Firenze vermittelt Wärme. Dunkle Wärme. Die Stadt im Süden kommt körperlich direkt bei mir an – wenn ich an sie denke. Lebensgeister regen sich. Woher kommt das? Ich bin schon oft dort gewesen. Und jedes Mal habe ich wieder erlebt, dass die Stadt „tot“ ist. Immer wieder entstand das starke Gefühl, dass die Stadt von ihrer Vergangenheit lebt, von ihr zehrt und sich noch immer an ihr labt.

Da gab es die Renaissance und mit ihr die unendlich vielen prächtigen Bauten. Diese Steine sind geblieben. Noch heute kann man durch Straßen gehen, durch die auch schon die Meister der Platonischen Akademie vor über 500 Jahren gegangen sind. Und recht viel anders wird es nicht aussehen. Das ist zumindest das erste faszinierende Element: Im 21. Jahrhundert lässt sich Firenze so wahrnehmen, als wenn das Mittelalter gerade erst zu Ende gegangen wäre und die Knospe der Neuzeit kurz vor dem Aufbrechen ihrer eigenen Blüte stehen würde.

Die Stadt präsentiert sich auch so. Sie stellt ihre Kunstwerke aus, Gemälde und Skulpturen, lädt in Paläste, Kirchen und Bauten ein, die in der Anzahl auf so kleinem Raum ihres gleichen vermissen. Philosophen, Dichter und Humanisten werden zitiert, der Aufbruch der damaligen Zeit ist in seiner plötzlichen Erstarrung wahrnehmbar.

Irritierend sind die vielen Touristen aus aller Welt - aber die lassen sich beim Schlendern durch die steinerne Stadt auch irgendwie wegdenken. Ich selber bin ja auch nichts anderes als eine deutsche Touristin, die durch alte Zeiten flaniert. Die große, unbeantwortete Frage ist, was mit den Menschen von damals geschehen ist, ihren Intentionen, ihren Gedanken, neuartigen Ideen und vielen Vorhaben. Die stoffliche Hülle ist weiterhin anwesend, die feinstoffliche gilt es aufzuspüren.

Das Zweite, was mich immer wieder erstaunt, ist die Tatsache, dass die Gebäude sprechen. Die warmen Steine geben etwas von sich preis, wenn man in sie hinein lauscht. Und sie wissen nichts von der heutigen Zeit. Gar nichts. Sie sprechen, klingen und raunen von damals. Etwas Unverständliches. Und sie tun so, als ob nichts geschehen wäre. Sie verhalten sich so, als ob Lorenzo de Medici gleich um die Ecke kommen würde, um sich mit seinen Freunden darüber zu beraten, wann und wo das nächste Dichterfest gefeiert werden solle.

Firenze ist verhaftet. In seine Geschichte. Die Stadt ist tot und lebt gleichzeitig weiter. Ein steinernes Mahn-Mal, denn sie beharrt auf der Gegenwart des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Die Stadt mahnt. Und so erscheint es auch mir, dass ich eine Zeitreise mache und darin gefangen werde. Innerlich finde ich mich in der damaligen Zeit wieder. Was hat das mit heute zu tun?

Zwei unterschiedliche Gefühlsräume entstehen, zum einen: Vertrautheit, Zuhause und Aufgehoben sein und Lebensfreude. Das andere Gefühl aber ist fast gegensätzlicher Natur, es ist mit Gefahr, Zeichensetzung, gewagten Neuerungen und Über-die-Stränge-schlagen zu umreißen. Es ist etwas schief gelaufen, damals. So richtig schief.

Ein schweigender Schatten liegt heute auf der Stadt. Auch damals gab es eine Unterwelt, dunkle Geschichten und Machenschaften – aber die hatten einen anderen Duktus als der traurige, stumme Schatten, der heute über der sonnenbeschienenen und noch immer leuchtenden Stadt am Arno liegt. Es gibt nicht viele Städte, über die so viel publiziert wurde und viele Autoren sind auf die eine oder die andere Weise damit beschäftigt gewesen, das Unsichtbare sichtbar zu machen – was aber wohl noch niemandem gelungen ist.

Damals wurde das Versprechen eines neuen Menschenbildes gegeben. Die Mission Dantes, Petrarcas oder Picos ist eindeutig so zu verstehen – aber die Ideen der Humanisten sind im Verlauf der Geschichte in den Hinterhalt geraten, sie sind versteckt und verdeckt worden, sind aus der Sichtbarkeit verschwunden. Die Steine von Firenze bewahren das Versprechen. Es ist das große Heimweh und die Sehnsucht nach Zukünftigem, einem humanistischen Menschenbild, das aus der Vergangenheit heraus gebrochen werden muss.

Das alte - philosophische - Athen wurde in Firenze wiedergeboren. Ist dort wieder erwacht, hat geblüht und ist dann in seiner eigenen Erinnerung versunken. Wird es nun, noch einmal 500 Jahre später, an einem anderen Ort eine neue Renaissance-Blüte geben, die aus Athen und Firenze - der Stadt am Arno - geboren wird? Die Frage bleibt, wo gegraben werden muss, damit das, was unvollendet geblieben ist, ans Licht kommt. Und damit ich verstehe, woher das warme und gleichzeitig beklemmende Herzklopfen kommt, wenn es um Firenze geht.

Die Steine werden es uns nicht erzählen – sie bleiben bei der alten Geschichte. Es gilt den feinstofflichen Schatten anzuschauen, den sonnenbeschienenen - er kennt die Geschichte genau und verschweigt sie, solange ihn niemand durchdringt. Ein Abbild dieses Schattens ist in den Herzen derjenigen Menschen zu finden, die ein Klopfen spüren. Zukunft entsteht erst dann, wenn die Gegenwart bereit dazu ist, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen.

1 Kommentar:

  1. wolfkollmann@libero.it15. Mai 2010 um 00:28

    Firenze les ich jetzt zum zweiten Mal, etwas liess mir keine Ruhe, du hast mich aus der Ruhe gebracht, etwas ist im Aufruhr. Liebe Sophie, deinen neuen Text hab ich erst einmal überflogen, denn die Frage war schon da, nach dem Ort, nach der Zeit, nach dem Habitus deines Schreibens, und wurde zu Bildern, sie stellten sich ein, so wie ich sie verdränge, weil ich dem Klang der Worte folgen will, den sie hinterlassen haben. - Nachklang einer Reise, einer Imagination in eine Stadt, die ich meine zu kennen, ich folge deinen Bewegungen, und halte inne, wieder dieses Wort, ich stolpere daran, ein Widerstand stellt sich ein, ich will ihn nicht umgehen, er ist bedeutsam, warum wohl? Was ich bisher gelesen haben von deinen Texten, ist wie ein Guss, ist Bronze würde ich als Bildhauer sagen, ist das Höchste und Edelste auf dem Weg, und jetzt dieser Text, wo ich mich verhacke, wo ich nicht fliessen kann, wo geheimste Bewegungen alles verklären im Einfachen: Die Jetzt-Zeit ist anders als das Träumen von dem was war, deshalb diese unbequemen Worte, tot ist, was von Leben zu Leben geht, und die gestellte Frage nach dem Wohin, hat gleichwohl folgenschwer Bedeutung für mein eigenes Herz, es zu öffnen und pulsieren zu lassen nach dem Anfang hin und dem Ende, einer Geschichte, einer Zeit, einer Möglichkeit unter vielen, der Einen. Danke liebe Sophie für die Spur. Wolf

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