Montag, 11. Mai 2009

Erwachsenenbildung heute. Nachspüren und Spuren hinterlassen.

Erwachsenenbildung findet zwischen Erwachsenen statt. Im Gegensatz zur akademischen Definition dieses Begriffes bezieht sich mein Verständnis auf das Alter der Beteiligten und dadurch den Erfahrungshorizont der „Lernenden“. Nur dadurch grenzt er sich vom Lehren und Lernen mit Kindern und Jugendlichen ab. (In der Wissenschaft bezieht sich der Begriff auf alle die Bildungsereignisse, die nach einer ersten Ausbildung stattfinden. Das Geschehen an der Universität wird also nicht als „Erwachsenenbildung“ definiert.)

Was heisst es aber ein Erwachsener, erwachsen zu sein? Meistens sprechen wir von Menschen ab ca. einundzwanzig Jahren. Ausserdem geht man von einer körperlichen und einer mehr oder weniger ausgeprägten mentalen, emotionalen und moralischen Reife aus. Grunderfahrungen des Lebens wurden gemacht, erste Ideen über die eigene Positionierung und Identität haben sich entfaltet und ein Zugang zur Welt hat sich gezeigt. Der erwachsene Mensch übernimmt Verantwortung für sich. Er entscheidet (mehr und mehr) eigenständig, wohin er geht, was er macht, was er will und wie er seine Ziele umsetzt. Erwachsen ist man also sehr lang – die längste Zeit seines Lebens.

Der Begriff der Bildung bezieht sich nun sowohl auf den Prozess des „sich bildens“ als auch auf den Zustand „gebildet zu sein“. Ein „Lernender“ in der Erwachsenenbildung will sich also bilden, während es die Voraussetzung für einen Lehrer, Dozenten oder Ausbilder ist, in irgendeiner Weise so gebildet zu sein, damit „etwas“ weitergegeben werden kann.

Die entscheidende Frage, die mich beschäftigt ist aber nicht was gelehrt wird, sondern wie. Wie begegnen sich Erwachsene in Ausbildungssituationen, wenn der eine die Rolle des Lehrenden und der andere die Rolle des Lernenden inne hat?

In Bezug auf Lehr- und Lernprozesse hat meines Erachtens der Konstruktivismus wesentliche Beitäge geliefert. Auch wenn ich grundsätzlich nicht mit der Weltauffassung, dass es keine „gemeinsame“ Realität gibt, keinen gültigen Wahrheitsbegriff und vor allem, dass jegliche Weltbegegnung an eine materialistische Anschauung gekoppelt ist, so faszinieren mich aber die Konsequenzen, die der Konstruktivismus in Bezug auf die Erwachsenenbildung ableitet.

Einen traditionellen „Lehrer“, der das große Wissen hat, und es dem unwissenden und unerfahrenen „Schüler“ nur einzutrichtern braucht, gibt es nicht mehr. Lehrende und Lernende stehen grundsätzlich auf einer gemeinsamen Ebene. Das bedeutet, dass der Lernende viel mehr Verantwortung für seinen eigenen Lernprozess übernehmen muss als traditionell und der Lehrende zum Gestalter von „Lernarrangements“ wird. Ein sich immer weiter verbreitender Begriff ist der des „Lern(prozess)begleiters“. Das ist ein holpriges und langes Wort – drückt aber meines Erachtens genau das aus, was Erwachsenenbildung ausmacht. Ohne die Einbeziehung von Vorerfahrungen, Wünschen, Hoffnungen und individuellen Möglichkeiten lässt sich heutzutage keine Lehr- und Lernsituation mehr gewinnbringend und respektvoll durchführen.

Der Begriff des Lernens hat heute meistens eine negative Konnotation. Vokabeln lernen, etwas machen, was man nicht kann, oder sogar nicht will, Schwierigkeiten und Hürden überwinden, Resultate erreichen die in weiter Ferne leuchten etc.
Gleichzeitig ist evident, dass unser ganzes Leben aus Lernprozessen besteht. Kaum jemand arbeitet heute noch sein Leben lang in dem Beruf, den er als junger Erwachsener erlernt hat und auch das alltägliche Leben fordert ständig Lernprozesse: wie verwalte ich mein Konto online, welche Bescheinigungen brauche ich an welchen Stellen, wie funktioniert die neue hightech-Espressomaschine u.v.m.

Das Wort „lernen“ kommt etymologisch von „leisten“ und bedeutet ursprünglich: einer Spur nachgehen, etwas nachspüren. „Ich weiß“ (vom Verb „wissen“) bedeutet also: „ich habe nachgespürt“. Auf diese Weise wird der Begriff des Lernens auf eine ganz individuelle Ebene gehoben. Es geht also darum für etwas ein Gespür zu entwickeln. Und welche Bedingungen braucht es, damit man so etwas wie ein Gespür entwickeln kann, damit ein nachhaltiger Lernprozess entsteht? Möglichkeiten, menschlichen Austausch und eine Sache, ein Ding, eine Forschungsfrage.

Ein fähiger Erwachsenenbildner wird also zum „Möglichmacher“ für seine Studenten, in dem er ihnen Möglichkeiten schafft sich zu bilden, sich zu verändern, etwas zu lernen, Wissen zu erlangen. Er ist ein ebenbürtiger „Mitmensch“ auf der Ebene der menschlichen Begegnung und ein „Diener“ für die Sache, die erforscht oder untersucht wird. (Nicht selten muss ein Dozent (Professor) auf Grund der Forschungstätigkeiten seiner Studenten respektvoll zurücktreten, wenn es um die Ergebnisse oder Resultate der neuen Forschung geht.)

In einer guten Erwachsenenbildungseinrichtung bekommen die Lernenden, die sich bildenden Menschen die Möglichkeit eine „Spur zu verfolgen“, individuell „etwas nachzuspüren“, während der Lehrer, Dozent oder Ausbilder durch seine Erfahrung und seine Grundhaltung eigene „Spuren“ in seinem Metier „hinterlässt“ ohne die Lernenden zu indoktrinieren.

2 Kommentare:

  1. "Lehrende und Lernende stehen grundsätzlich auf einer gemeinsamen Ebene"

    :-)))))))))

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  2. Liebe Sophie,
    ich finde diesen Beitrag sehr überzeugend und einleuchtend. Den Lernprozessbegleiter gibt es aber tatsächlich auch in der Schulpädagogik als Leitbild - mehr oder weniger verwirklicht natürlich.
    M.

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