Freitag, 3. Januar 2014

Max Frisch und Ingeborg Bachmann: Im Gewitter der Rosen


Wohin wir uns wenden im Gewitter der Rosen,
ist die Nacht von Dornen erhellt, und der Donner
des Laubs, das so leise war in den Büschen,
folgt uns jetzt auf dem Fuß.
[1]
Ingeborg Bachmann

Arglos packe ich ein Weihnachtsgeschenk aus – ein Buch. Ja, das passt zu mir, ich lese gerne, wieder mal ein Buch. Ich bin neugierig was es wohl ist – und bin überrascht: Max Frisch. Wieder einmal. Der Autor begleitet mich seit vielen Jahrzehnten. Ich glaube, dass ich fast alles von ihm gelesen habe. Gleichzeitig ein Autor, den ich immer wieder vergesse. Und da kommt er also wieder auf mich zu. Dieses Mal: „Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit.“[2]

Es ist viel los in diesen Tagen, Familie, Gäste, immer wieder ruft die Küche. Aber ich lese das Buch, zwischendurch, immer wieder, in wenigen Tagen – und bin gebannt. Das Buch beginnt mit der Nacherzählung einer Filmszene aus dem Interview: „Gespräche im Alter“[3] von Philippe Pilliod aus dem Jahr 1985 – Max Frisch war damals 84 Jahre alt. Der Interviewer fragt ihn nach seiner Beziehung zu Ingeborg Bachmann – und Frisch springt auf und ist sichtlich berührt und betroffen. Vielleicht hat er mit dieser Frage nicht gerechnet.

Ingeborg Bachmann, 1926-1973, ist 1958, als die beiden sich das erste Mal begegnen, – in Paris! – zweiunddreißig Jahre alt und bereits eine gefeierte Lyrikerin. Am Abend vor der Begegnung mit Max Frisch wird die Beziehung zu Paul Celan endgültig beendet – auch wenn die beiden zeitlebens einander weiter begleiten, bis Paul Celan 1970 Selbstmord begeht. Bachmann erliegt 1973 Verbrennungen in Rom – die Todesumstände sind nicht eindeutig geklärt.

Max Frisch, 1911-1991, ist bei der Begegnung in Paris siebenundvierzig Jahre alt, hat eine bürgerliche Ehe mit drei Kindern hinter sich und wird als umjubelter Prosaschriftsteller gefeiert. Er hat sein Architekturbüro endgültig an den Nagel gehängt und widmet sich gänzlich dem Schreiben. Mit Ingeborg Bachmann lebt er etwa vier Jahre zusammen. Erst in Zürich, dann in Rom. 1962 verliebt er sich in eine junge Romanistikstudentin, verlässt Bachmann und zieht nach Berlin.

Die Autorin des Buches zeichnet die Beziehung zwischen Frisch und Bachmann nach, sie nähert sich dabei zwei Menschen, die im Licht der Öffentlichkeit gestanden haben, was bedeutet, dass sie die publizierten Worte aufgreift, Zeitungsartikel, Veranstaltungsdaten und nicht zuletzt Freunde und Weggefährten befragt, so sie noch leben. Was sie aber sichtbar machen will ist gerade das, was in keiner Zeitung gestanden hat – sondern sich zwischen den beiden zugetragen hat.

Ich kenne Max Frisch als einen Autor, der zutiefst materialistisch geprägt war, was er auch öffentlich bekundet hat, und doch auf der Suche nach dem Wunder des Lebens war. In vielen seiner Erzählungen ringen die Protagonisten um ihre Identität. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wer könnte ich sein? Und wieder und wieder ist das Beziehungsnetzwerk, ist es das Geflecht der Freunde und das soziale Miteinander, das den Protagonisten zu dem werden lässt, was er werden kann – manchmal ist das nicht viel. Max Frisch schreibt keine Heldenromane, nein, das Scheitern und das Fragen spielen bei ihm eine große Rolle, man nennt das gerne „postmoderne Nachkriegsliteratur“.

Und ich wage zu vermuten, dass auch er, wie seine Protagonisten, durch jemanden gestaltet werden wollte, durch Ingeborg Bachmann. Sie sollte in seinem Leben die Grande Dame sein, die ihn an- und aufregt, und gleichzeitig anbetet und vergöttert. Aber auch sie war eine eigenständige Persönlichkeit, ein Fixstern am Himmel der Zeit und damit nicht weniger exklusiv in ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten als er.

Die beiden liebten und bereicherten einander ungemein, aber sie schafften es nicht miteinander zu leben. Max Frisch flüchtete sich in eine neue Beziehung, Ingeborg Bachmann zerbrach an den Wunden des Verlassenwerdens. Im Interview mit Philippe Pilliod sagt der alte Frisch, dass er sich nicht „schuldig fühle“, wohl aber eine „tiefe Reue verspüre“. Gerade die Literatur ist es, ob Poesie oder Prosa, die aus den Abgründen des Lebens entsteht – wenn die Menschen nicht mehr weiter wissen, wie sie die Küche miteinander in Ordnung halten.

Die Lyrik von Ingeborg Bachmann ist ohne die europäische Zeitgeschichte, in der sie lebte, litt und stritt und das Beziehungsnetzwerk, vor allem ihre Begegnungen mit Männern, nicht zu verstehen, was sie durch ihre Worte aber verschenkt, ist gerade das In-der-Zeit-über-diese-Zeit-hinausgehen, ihre Worte sind kräftig wie Rosenbüsche, zart wie ihre Blüten, stachelig wie ihre Dornen und duftend wie die Liebe.

Gerade das könnte es sein, was Max Frisch, den Materialisten und Konstruktivisten, so berührt und verzaubert hat. Das Buch über das Ringen der beiden miteinander hat zarte und tiefe Spuren in mir hinterlassen.

[1] Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit. Gedichte. Piper Verlag München, 1983.
[2] Ingeborg Gleichauf: Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit. Piper Verlag München, 2013.
[3] Max Frisch DVD-Box zum 100. Geburtstag: Journal I-III/Gespräche im Alter. Zwei Filme von Richard Dindo und Philippe Pilliod. filmedition suhrkamp, Frankfurt, 2011.

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