Samstag, 7. September 2013

Nach Worten tasten. Und Ausschau halten


Wenn du zu meinem Romanfigureninventar gehören würdest, dann wärest du diejenige, die immer wieder aus dem stillen Nichts in die Explosivität des Augenblicks treten würde. Deine Hände verraten es, sie sind zart und fein und stark und ausdrucksvoll. Deine Finger begleiten deine Worte, ja sie ziehen ihnen Mäntel, Hosen oder Hemden an. Sie geben ihnen Eloquenz, Grazie und Anmut. Wort, Blick und Geste ergeben eine Gesamtkomposition, die dem Augenblick zürnt und der Ewigkeit dankt.

Überraschend das Treffen. Menschen und Themen verbinden uns. Und sie werden direkt am Bahnhof herbeizitiert und laufen erst einmal zwischen uns. Die Anderen müssen kommen, um unsere Begegnung zu ermöglichen, sie leiten, tragen und irritieren. Die Anderen sind nicht da und doch gehen sie zwischen uns – wir brauchen sie als Gesprächsthema. Und so kreiert sich eine Welt, die den Alltag weich fallen lässt, wie eine reife Tomate, die auf die Erde plumpst. Wahrnehmen heißt gleichzeitig mitnehmen.

Du erzählst und die Anderen verschwinden gänzlich. Du erklärst, beschreibst und fragst. Du redest nicht mit Worten, sondern mit Blicken. Du belauschst dich selbst, willst dir auf die Spur kommen, du fragst dich frei und genießt die laue Luft, die sich heute ohne Ecken und Kanten zur Verfügung stellt. Wir genießen das Essen. Der rote Wein entfaltet sein Aroma – ein prächtiger Abend. Die Weltgeschichte stapft an uns vorbei, aber die Vergangenheit interessiert uns nicht. Wir wollen wissen, wie sich die Zukunft aus der Gegenwart gebiert.

Es geht um Glück. Bin ich glücklich? Du? Wen oder was brauchen wir dazu? (Und warum?) Glück lässt sich weder konzipieren noch konstruieren, ist lebensnotwendig aber leicht entzündbar – es kann verpuffen, entschwinden im Nichts. Wie lässt sich fassen, was nicht zu fassen ist, bewahren was nicht zu bewahren ist. Du suchst das Glück. Und du hast ein Recht darauf. (Warum auch nicht!) Aber es ist geheimnisvoll, denn… ja, was? Ja selbst mit Worten lässt sich Glück nicht bündeln, nicht ein- oder entkleiden, nein, das Glück ist selbstbewusst, eigensinnig und unergründlich.

Und wir fragen nach Sinn. Ich zitiere: sinnvoll, sinnlos, sinnreich, sinnentleert, sinnfällig, sinnwidrig, sinnlich, sinngemäß, sinnerfüllt, sinnentstellt, sinnbildlich… Aber das hat keinen Sinn, das führt uns nicht weiter. Der Sinn - wie das Glück - ein Gefühl das kommt und geht, dem wir aber so gerne habhaft werden wollen und das einst dem Tod Rechenschaft ablegt: Machte ihr Leben Sinn? (Oh je, sind wir schon so weit?) Ich erinnere mich nicht mehr. Aber noch heute spüre ich das Gefühl, dass unser Gespräch sinnvoll war, denn es führte nach oben zu Gedanken und nach unten zu Taten…

Also gut. Wir versuchen es mit der Zukunft. Wie sieht sie aus? Und vor allem: wie soll sie aussehen? Du ringst mit dir. Ja und nein kreuzen sich. Du willst es weitermachen, weißt nicht wie, machst es so, und vielleicht morgen so. Es gibt Gründe nichts zu ändern. Und doch rankt sich der Wunsch aus der Gewohnheit heraus - es anders zu machen, neue Schritte zu wagen. Doch wie das Alte fallen lassen, wenn das Neue noch nicht greifbar ist? Es nährt sich nur aus der Hoffnung, dass etwas entsteht, die Ahnung, sonst so zart und fein, stellt sich auf und behauptet sich.

Wir kommen zurück zum Netz. Zum Netzwerk aus Menschen, zu dem auch wir gehören, Menschen, die suchen, einander suchen, die ahnen, wollen und träumen. Sinn gebiert sich aus der Begegnung – wenn sich Gedanken und Taten verbinden. Wenn Chancen nicht unversucht verstreichen - zu bequem sind, um aus dem Trott auszubrechen - wenn Ziele wie klare Sterne am Himmel stehen, dann transformieren sich Welten und werden neu. Die Dinge groß sehen und einander die Hand reichen, um weiter zu gehen, der Vernichtung entzogen, der Nachhaltigkeit im Zwischenmenschlichen geweiht.

Glück und Sinn und Zukunft und das Netzwerk sind Vokabeln der letzten Begegnung, die sich nur schwerlich entschlüsseln ließen. Bei der nächsten wird es um Vorsätze und Entschlüsse gehen – das gebietet die Redlichkeit. Wir werden weiter mit Worten tasten und Ausschau nach Lösungen halten, die es vermutlich nicht geben wird – das wissen wir schon. Und dennoch, ich freue mich darauf!

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