Sonntag, 13. Oktober 2013

Dinge (V) - Pfennige und Süßigkeitentüten


Die Kinderwelt und die Welt der Erwachsenen stehen einander asymmetrisch gegenüber. Ein Schnittpunkt zwischen den beiden Welten ist das Geld. In meiner Kinderwelt gab es Kinderhausfreunde, Hochhausfreunde, Schulkameraden und die Kinder von Freunden meiner Eltern. Die Kinderwelt war groß und abenteuerlich, vielseitig und ideologisch mal so und mal so geprägt. Je nachdem, in welchem Kontext ich wen traf, konnte dieses oder jenes gemacht werden. Die Erwachsenenwelt war eine für sich, die ich nicht immer verstand.

In der Hochhaussiedlung durfte ich mich mit meinen Schulkameraden frei bewegen. Im Wesentlichen bezog sich das auf die Schneise von unten, wo wir wohnten, nach oben, wo meine Schule, die Hufeland-Grundschule war. Wir wohnten in den Hochhäusern am Ring, innerhalb der Siedlung konnte man autofrei den Berg, der links und rechts von Häusern gesäumt war hochgehen und kam dann, in der Mitte des Weges, auf einen großen Platz. Ich glaube, dass es dort sogar einen Brunnen gab - das hat die Architektur Ende der 60er Jahre auch aus Beton hinbekommen – Bäume, Wiesen oder Büsche gab es mit Sicherheit nicht.

An diesem Platz, dem Koma-Platz, gab es im Erdgeschoß der dort stehenden Hochhäuser mehrere Geschäfte – was es in meinem Hochhaus nicht gab. Unter anderem gab es dort einen Uhrenladen, in dem meine Großmutter mir meine erste Armbanduhr kaufte, sie war blau – das weiß ich noch. Auch gab es einen Supermarkt, den Koma-Markt eben, einen Tabakladen, einen Zeitschriftenladen – und vielleicht noch mehr – jedenfalls gab es an der Ecke, an der wir vorbei mussten, wenn wir zur Schule gingen, da ging es noch ein Stück weiter den Berg hinauf, eine Bude.

Ja, so nannte man das damals im Ruhrgebiet – einen Kiosk, eine Trinkhalle, eben eine Bude. Und in dieser Bude überschnitten sich die Erwachsenenwelt und die Kinderwelt auf eine unideologische Art und Weise. Wir Kinder durften, so wir die entsprechenden Geldstücke vorwiesen, Teil der Erwachsenenwelt werden – wir wurden als Käufer anerkannt. Man konnte in diese Bude hineingehen. Ich nehme an, dass es dort die üblichen Notfall-Produkte gab, die man so brauchen kann.

Für uns war aber nicht das Hineingehen interessant, Butter, Rasierschaum oder Klopapier interessierte uns nicht, sondern die Glasfront vorne. In der Mitte gab es ein kleines Fenster, aus dem der Verkäufer schaute und verkaufte. Und hinter der gesamten Glasfront, um das Fenster herum, waren durchsichtige Süßigkeitendosen aufgestapelt, in die der Verkäufer hineingreifen konnte, wenn wir…

Da gab es jede Menge Gummizeug, Colafläschchen, Teufel, Lakritzschnecken, Salzbrezeln aus Lakritz, kleine gefüllte violette und silberne Pastillen, Salmiakkugeln und Mausespeck aus Schaumzucker, Lutscher und Lollys, Colakracher und Brausetüten, süße Halsketten und Schleckmuscheln, Kaubonbons und mit Schokolade überzogene Karamelstangen oder bunt gefüllte Überraschungssortimente. An Schokolade erinnere ich mich nicht.

Alle diese kleinen süßen Dinge kosteten nur einige Pfennige. Und wenn man zehn, zwanzig oder sogar fünfzig Pfennige besaß, dann konnte man sich eine prall gefüllte Tüte zusammenstellen lassen. Gewissenhaft und geflissentlich bedienten uns die Verkäufer, in der Hoffnung, uns als Kunden zu erhalten, die später etwas finanzkräftiger zugreifen würden. In diesen Momenten war der Schnittpunkt das Geld, die Erwachsenen konnten sehr freundlich zu uns sein – jeder war auf seine Weise von Hoffnungen und Wünschen getragen.

Der Besitz einer selbst zusammengestellten Süßigkeitentüte, sie war weiß und aus Butterbrotpapier, war für uns Kinder der Himmel auf Erden. Wir spazierten quatschend und schmausend und des Lebens lustig durch die graue Betonwelt und malten uns aus, was wir später, wenn wir groß sein würden, wohl verkaufen könnten – in der Rangordnung ganz oben stand selbstverständlich der Süßigkeitenbudenbesitzer, auch wenn wir ahnten, dass unsere Eltern, zu welchem Lager sie auch gehörten, das möglicherweise übereinstimmend nicht als Priorität favorisierten.

1 Kommentar:

  1. Das ist so anschaulich und bunt geschrieben, ich kann mich dich lebhaft vorstellen, wie du schwatzend und schmatzend dort mit deinen Mitschülern flaniert bist.
    Und es erinnert mich an unseren Tante Emma Laden, der ganz ähnlich für uns Kinder war, in dem es diese bunte und süße Kinderwelt gab. LG. Elfriede

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