Sonntag, 6. Januar 2013

Die Dinge groß sehen. Über den weiten Wurf des Lebens



„Einander mit Opferbereitschaft gegenübertreten und keine Angst davor haben, dass der andere einem die Butter vom Brot nehmen will – das geht nur, wenn man das große Ganze im Auge hat, wenn man weiß, welches der rote Faden ist, der sich durch alle anthroposophische Arbeit zieht. Rudolf Steiner hat uns große Bilder geschenkt, wie zum Beispiel das vom Übergang der Erde in den künftigen Jupiter. Wir werden immer stärker den Mut entwickeln müssen, von diesen großen Bildern ausgehend zu denken, und vor allem auch den Mut, uns gegenseitig im Licht dieser großen Bilder zu sehen. Statt die anderen kleiner zu machen, können wir lernen, einander größer zu sehen.“[1]

Immer wieder, wenn ich drohe in meinem Alltag, mit all den vielen kleinen Sorgen, Verpflichtungen, Versäumnissen, Unbehaglichkeiten oder sonstigen Nöten unterzugehen, greife ich zu Texten, in denen der Wurf des menschlichen Daseins größer gefasst wird, aus denen ich Hoffnung schöpfen kann.

Dann suche den Zusammenhang, Bilder, die nicht nur den Sonnenuntergang, sondern auch den
-aufgang schildern, die von den Nuancen sprechen, wenn die Sonne knapp über dem Horizont erscheint, wenn sie strahlend und heiß, manchmal auch fast vernichtend im Zenit steht, wenn sie hinter Wolken versteckt wird, hinter Nebel oder Regenschauern, wenn sie der Erde fern oder nahe ist, wenn sie sich dem täglichen Untergang neigt.

Mein Leben findet immer im ‚Hier und Jetzt‘ statt. Aber ebenso wird es ‚Dort und Dann‘ stattfinden. Sowie ‚Da und Damals‘. Ich bilde eine Welt für mich. Ich sitze jetzt hier am Computer und schreibe. Mein Bewusstsein ist darauf gerichtet, meine Gedanken in Worte zu fassen und sie nieder zu schreiben.

Gleichzeitig bestehe ich aber auch aus all dem, was ich erlebt habe. Wo ich gewesen bin, wen ich getroffen habe, was das mit mir gemacht hat… Und ich bestehe auch aus dem, was noch kommen wird. Egal, ob ich die Zukunft als Mitspieler in meinem Leben betrachte oder ob ich ein Zuschauer bin. Ich bin nicht nur ein gegenwärtiges Ich, sondern ich bin gleichzeitig auch mein vergangenes und mein zukünftiges Ich.

Diese Welt, in ihrer Elastizität der Zeit, die ich für mich ausmache, gehört mir. Sie ist mein Eigenleben, mein Inneres, das von meinen Wünschen, Vorsätzen und Entschlüssen lebt – getreu meinen Motiven, die mich leiten, manchmal auch unbewusst – sowie von meinen Ängsten, Wunden und Schwächen. Jedes Individuum macht eine Welt für sich aus. Und diese Welten gehen auseinander hervor.

Wenn ich nicht weit genug schaue, dann wird mir manchmal angst und bange. Wie geht das alles weiter? Was wird kommen? Was geschehen? Und vor allen Dingen: wohin führen mich meine eigenen Taten? Dienen sie dem menschlichen Miteinander? Dienen sie einer herzlichen Zukunft? Oder drohe ich in meinem Alltag unterzugehen, weil ich die Steuer für mein Auto noch nicht bezahlt habe und gerade gar kein Geld dafür habe?

Die Dinge groß sehen, Menschen groß sehen, uns gegenseitig groß und schön und strahlend sehen… möchte ich in diesem Jahr. Mein Medium ist die Sprache, ich werde Texte über Menschen schreiben. Werde mich darin üben sie groß zu sehen, sie in ihrer Sonnen- und Schattenseite zu beschreiben, in ihrer Welt, die andere Welten greift, aus der wir alle hervorgehen und aus der wir unseren Alltag schöpfen, der in seiner Kleinkariertheit uns manchmal droht uns das Genick zu brechen.

[1] Bernard Lievegoed: Über die Rettung der Seele. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 3. Auflage, 1994, Seite 111.

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