Montag, 19. Oktober 2009

Lehrende und Lernende. Oder: Erwachsenenbildung zwischen gestern und morgen.

Liebe Olga.
Heute möchte ich gerne unser Gespräch über eine zeitgemäße Erwachsenenbildung weiterführen. Wie du ja weißt, waren meine Erfahrungen in Stuttgart nicht sehr glücklich. Nun war ich in Alfter an der Alanus Hochschule. Ich werde meine Eindrücke zusammenfassen.

Eigentlich wissen wir es ja alle schon längst: Im 21. Jahrhundert angelangt gibt es keine allwissenden Lehrer oder Dozenten mehr, die, wie im „Nürnberger Trichter“, Wissen an ihre Schüler oder Studenten weitergeben. Und es gibt auch keine Schüler oder Studenten mehr, die sich auf so etwas einlassen. Lernende sind individuell, haben Vorerfahrungen, wissen was sie wollen und können für einen Lehrenden sehr unbequem sein. Schüler und Lehrer oder Studenten und Dozenten müssen sich neu definieren – neu aufeinander zugehen, Rollen einnehmen und Haltungen sichtbar machen. Was macht einen Lernenden im 21. Jahrhundert aus und was einen Lehrenden?

Meine Erfahrungen Jugendliche zu unterrichten reichen noch nicht, als das ich etwas darüber schreiben könnte. Aber in Bezug auf die Erwachsenenbildung wäre einiges zu sagen. Selbst als Dozentin in der Erwachsenenbildung tätig, bin ich jetzt auch wieder in die Rolle einer Studentin geschlüpft. So, wie du auch diese beiden Rollen kennst. Ich will dir von meinen Erfahrungen berichten.

Das Leitbild in der Erwachsenenbildung bei NALM halte ich in Hinsicht auf die Grundhaltung der Lehrenden für heutig, passend, angemessen (konstruktivistisch würde man es „viabel“ - lebensdienlich - nennen). Es beinhaltet neben den verschiedenen Feldern, auf denen sich „Bildung“ im weitesten Sinne ereignet, drei Haltungen, die der Lehrende je nach Situation einnehmen kann.

Er ist zunächst derjenige, der Lernprozesse möglich macht, also ein Setting anbietet, inhaltliche Angebote macht, einen Weg skizziert und sich selbst mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen zur Verfügung stellt, er schafft Möglichkeiten. In der Erwachsenenbildung nennt man ihn deshalb den „Möglichmacher“ oder weiter gefasst, den „Lern(prozess)begleiter“ für diejenigen, die etwas lernen wollen.

Auf einer anderen Ebene ist der Lehrende genauso ein Mensch, wie der Lernende auch. Er ist ein „Mitmensch“, der Gefühle und Bedürfnisse hat, Erfolgs- oder Mißerfolgserlebnisse durchläuft, der „mal gut“ und „mal nicht so gut“ drauf ist. Er setzt sich aus seinen Erfahrungen und Erlebnissen zusammen, seinen Erwartungen und Hoffnungen. Auch diese Ebene kann einen Platz zwischen Lehrenden und Lernenden haben.

Ja und dann gibt es noch die Ebene des Faches. Ein Lehrender vertritt eine Disziplin, er ist Vertreter eines Faches, er ist ein Fachmann auf seinem Gebiet. Zu seinen Aufgaben gehört es in dieser Beziehung, die Grundlagen und Grundfragen darzustellen und erlebbar zu machen. Darüber hinaus ist es aber gut möglich, dass der Lernende im Laufe der Zeit fachlich über den Lehrenden hinaus geht. Die dritte Haltung nennt man deshalb den „Diener“ in Bezug auf das Fach.

In den letzten zehn Tagen habe ich meine ersten Erfahrungen als Studentin an der Alanus Hochschule gemacht und ich muss sagen, dass ich von dem Miteinander zwischen „Lehrenden und Lernenden“ in Bezug auf Angebot, Atmosphäre und Fachkompetenz sehr angetan bin. Die Dozenten sind mir als Möglichmacher, Mitmenschen und Diener (ihres Faches) begegnet. Als Lernende fühlte ich mich geachtet, anerkannt und erwünscht. Denn: ohne Lernende auch keine Lehrenden. Mein fachlicher Wissensdurst wurde gestillt und die Seminargestaltung ließ alle Beteiligten sich ernsthaft, frei, konstruktiv und alltagstauglich einbringen.

Die Alanus Hochschule nimmt den Diskurs mit der heutigen Zeit und somit der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts, also mit uns als Zeitgenossen auf. Im Fachbereich Bildungswissenschaften kann man einen (offiziell anerkannten!) Master in Pädagogik machen, der den Schwerpunkt Waldorfpädagogik und Reformpädagogik beinhaltet. Eingebettet ist dieser Studiengang in den Diskurs der Erziehungswissenschaft, der an anderen (normalen) Hochschulen „gelehrt“ wird. Einig ist man sich in dieser Hinsicht, dass die Praxis der Waldorfschulen hoch anzuerkennen ist, die Theorie jedoch den heutigen wissenschaftlichen Maßstäben nicht genügt.

So ist die Alanus Hochschule bereit, das Werk Steiners kritisch zu untersuchen. Sie weiht die Studenten nicht in Mysterien ein, sondern lädt sie ein, sich eigenverantwortlich und kritisch auf Texte einzulassen, die die Ideen, Gedanken und Überzeugungen Steiners darstellen. Die Lernenden übernehmen die Verantwortung dafür, was und wie sie lernen. Obgleich es natürlich auch an dieser Hochschule ein Modulhandbuch gibt und gewisse Kriterien erfüllt sein müssen, sind es doch die Lernenden, die ihre Fragen einbringen und somit zu Mitgestaltern werden. Auf der Ebene des Möglichmachens, des Mitmenschlichen und der Weiterentwicklung des Fachlichen.

Im Gegensatz zur Universität Tübingen, wo ich das Fach Erziehungswissenschaft studiert habe, stellt man an der Alanus Hochschule pädagogische Grundfragen – und versucht sie auch individuell zu beantworten. Jegliches pädagogische Handeln hängt vom individuellen Menschenbild der Beteiligten ab. Ob ich den Menschen, nach dem gängigen wissenschaftlichen Bild als „biologischen Roboter, Produkt der Gene, der zufälligen Evolution und des sozialen Milieus“ ansehe oder ihn als entwicklungsfähigen Menschen nehme, der Entwicklungsgesetzen und –schritten unterliegt und eine Entscheidungsspanne (auch Freiheit genannt) zwischen Gut und Böse zur Verfügung hat, ist ein großer Unterschied.

Dies sind menschliche Grundfragen, denen sich Lehrende und Lernende immer wieder stellen können. Daraus erwächst eine eigenständige Urteilsbildung. In Bezug auf die Überlebenschancen des steinerschen Erziehungsimpulses geht die Alanus Hochschule mutige Wege. Sie stellt sich mit ihren Inhalten und Wegen der Zukunft. Ein interessanter Studienort!

Herzlich, Sophie

3 Kommentare:

  1. Ich sage manchmal, ein Lehrender ist wie ein Coach/Trainer beim Sport. Er oder sie hilft den Lernenden besser zu werden, aber die müssen zum Lernen selber ins Wasser springen (nicht dem Trainer zugucken) und am Ende zählt nur, was sie selber tun. (Dabei wird vielleicht auch deutlich, dass es um eine gemeinsame Anstrengung geht, und das die Beteiligten persönlich beteiligt sind.) Ist ein bisschen simpel, aber ein hilfreiches Bild.
    VCM

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Sophie,

    ich freue mich für dich. ´Das Gefundene´ist doch ´das gesuchte´.

    Lieben Gruß
    Olga

    AntwortenLöschen
  3. Ein Glück, dass Du diesen Ort gefunden hast und ein Glück, dass Du genügend wachen und kritischen Enthusiasmus aufbringst, daraus etwas für Dich zu schöpfen und zu gestalten,
    Alles Liebe, M.

    AntwortenLöschen