Sonntag, 21. Juni 2015

Nun du. Plötzlich weg

Text siehe 22.8.15. Oskar Koneczny. Schreiben über den Tod hinaus

Sonntag, 14. Juni 2015

Wie bist du jetzt? Sich verändern zwischen Himmel und Erde


Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre, würden wir in diesen Tagen tatsächlich deinen 50. Geburtstag feiern. Wenn du nicht gestorben wärest, würdest du leben. Aber es gibt das Wort. Du bist gestorben und lebst nicht mehr, insofern können wir auch nicht deinen Geburtstag feiern. Und tun es doch. Wir treffen uns. Aus Anlass deines Geburtstages. Und wir feiern dich. Dein Lebenswerk. Irgendwie. Himmel und Erde begegnen sich in der Rosenpracht, auch wenn des Menschen Versuche der Hilflosigkeit entstammen.

Die Sonne scheint in diesen Tagen hell und klar und warm und weich vom Himmel. Die Natur ist vom frischen Grün geprägt, durchzogen von einer bunten Blütenfülle. Früchte kündigen sich an. Morgens und abends erklingt ein vielstimmiges Vogelkonzert. Saft und Kraft sind auch in der Tierwelt zu spüren. Katzen verbringen Tage und Nächte draußen und versichern sich nur kurzzeitig, ob ihr von Menschenhand bereitetes Heim noch besteht – wenn gerade ein Gewitter auf die Erde niedergeht.

Auch wenn der laue Wind am Abend abkühlt, streift er des Nachts über meine Nase, damit auch die Himmelsbotschaften ein Schlupfloch in meine Träume finden. Der Sternenhimmel rückt näher und wispert sogar tagsüber geheimnisvolle Nachrichten. Trotz menschlicher Geschäftigkeit liegt eine Stille über dem Land, Himmel und Erde gehen auseinander hervor und vollziehen ein geheimnisvolles Miteinander, das sich aus der Mitte einer blühenden Blüte heraus erahnen lässt.

Termine, Verabredungen, Deadlines (was für ein Wort!) – und dazwischen löchrige Nächte, in denen der Schlaf nur dünn und flüchtig ist. Ich denke an dich. Und ich bin noch immer verwirrt, obschon alles seinen Gang nimmt - das Leben geht weiter. Aber dein Bild auf dem Foto bleibt gleich. Es hat deinen Körper festgehalten, so wie du im Leben ausgesehen hast. Nun aber ist alles geistig. Und es gibt keine neuen materiellen Bilder, die ich mir ins Wohnzimmer stellen könnte, ja ich weiß kaum, wie ich mir vorstellen kann...

Auch die Lebenden verändern sich, viel ist in den letzten Jahren passiert. Irdisch gefesselt kann ich mich im Schnittpunkt der Zeit nur aus der Gegenwart heraus dem zuwenden, was an Erhabenheit kaum zu erreichen ist. Ich schreibe im Jetzt. Kann einbeziehen, was sich mir über die Vergangenheit erschließt, mich die Zukunft erahnen lässt. Du aber, so kommt es mir vor, bist nicht mehr an diesen Schnittpunkt gebunden, sondern kannst dich auf der Lemniskate aller möglichen Zeiträume bewegen. Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen, so man im Himmel irdische Zeiträume kennt, wer bist du jetzt?

Um Halt zu finden versuche ich mich deinem geistigen Kern zu nähern, auch wenn ich weiß, dass es eben jetzt nicht um Kerne geht, ganz abgesehen davon, dass es sie wohl nicht gibt… und gerade das es ist, was Geistigkeit ausmacht. Wie kann ich denken, was zu denken ist – obgleich ungreifbar und doch handfest wie eine Nuss. Es ist ein Stammeln. Alles bewegt und verwandelt sich. Achtsamkeit ist geboten wenn es um Attribute und Zuschreibungen geht. Und doch sind wir gerade darauf angewiesen.

Die fröhlichen Begegnungen in dem wunderschönen Garten mit den prächtigen Rosen klingen nach. Menschen, „verlierbare Lebende“, die einander treffen, weil du der Schnittpunkt bist. Und du bist da und dabei und nicht da und weit weg, „unverlierbare Tote“ (Hilde Domin). Der Sommernachmittag schenkt Trost, Vertrauen und Zukunft. Lass uns wissen: Wie bist du jetzt?

Die schwersten Wege

Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich Umdrehen
hilft nicht. Es muß
gegangen sein.

Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne Gnade
nicht leben können:
die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause
dir der Tisch weiß gedeckt ist.
Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen und den Wein reichen -
und du ihre Stimme wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.

Hilde Domin

aus: Hilde Domin: Gesammelte Gedichte. S. Fischer Verlag, Frankfurt, 1987, Seite 118/119.

Sonntag, 7. Juni 2015

Spiele das Spiel. Dramatisches Gedicht

Spiele das Spiel. Gefährde die Arbeit noch mehr. Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung. Aber sei absichtslos. Vermeide die Hintergedanken. Verschweige nichts. Sei weich und stark. Sei schlau, lass dich ein und verachte den Sieg. Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar. Zeig deine Augen, wink die andern ins Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild. Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Lass dich ablenken. Mach sozusagen Urlaub. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Kehr ein, so du Lust hast, und gönn dir die Sonne. Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück, zerlach den Konflikt. Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. Geh über Dörfer. Ich komme dir nach.

Aus: Peter Handke: Über die Dörfer, Dramatisches Gedicht. Suhrkamp Frankfurt a.M. 1984