Sonntag, 30. Dezember 2012

Einladung. An den fernen Freund


Ich habe schon lange nichts mehr von dir gehört. Aber meine Gedanken suchen manchmal deine Nähe, wenn ich mich frage, was mein Part an der Sache ist. Und dann öffne ich mich für die Frage, wie du dich wohl fühlst, wo du bist, was du machst und vor allem, was du brauchst… Wie ist die ganze Sache in dir verblieben, die du damals mitgemacht hast. Was lebt, wo liegt die Zukunft offen, was ist zur Blume geworden, wo liegen Schmerz und Tod?

Fragen über Fragen, ich suche die Antwort im Meer des Lebens, fünfhundert Jahre später, zu spät? Es geht um die sanfte Stelle die Berührung scheut und Schutz herbeisehnt, einlädt und abwehrt zugleich. Ich kann nicht anders, als an Wunden zu denken und auf Wunder zu hoffen, dein Schmerz ist auch mein Schmerz – so wurde ich sozialisiert.

Deine Wunde hat dich schwach gemacht – so scheint es mir, aber ich bin mir nicht sicher, ob das richtig ist. Richtig und Falsch sind Vokabeln, die ihre klaren Konturen verloren haben, die Ränder der Worte sind fransig, offen, hilfsbedürftig. Wo ist die delikate Stelle, von der du neu beginnen willst, ja musst? Traust du dich nicht wieder aufzutauchen?

Ich kann es nur denken. Wenn Leben und Tod, Tag und Nacht, das Helle und das Dunkle kein Rad sind, die ineinander greifen und einander Schwung verleihen, dann bin ich verloren, denn dann gibt es keine Chance. Dann sind wir unwiderruflich gescheitert. (Übrigens ein modernes Wort heute – en vogue – die Menschen fürchten sich davor und tragen es darum wie Fesseln mit sich herum, alles und jeder scheitert, irgendwie.)

Ich kann es nur fühlen. Du bist für mich nicht allein zu denken. Nein, das geht gar nicht. Mein Wort ist „Schicksalsnetzwerk“. Ein komisches aber großes Wort, es könnte konstruktivistisch gedeutet werden, aber es braucht einen Festpunkt, jedes Individuum zählt. Es beinhaltet Sinn, das große Ganze und Arbeit. Ja, das Leben ist Arbeit – so wie das Sterben, das Loslassen und Schlafen auch. Alles, was über uns hinausgeht wird, wenn der Schnee schmilzt, wieder an die Oberfläche kommen.

Ich kann es nur wollen. Nein, das passt nicht. Ich will es. So muss es heißen. Ich will es, weil mir sonst das Segel auf dem kleinen Lebensboot fehlt. Ich brauche es, so einfach ist das. Auch Vergangenheit und Zukunft bedingen einander, gehen auseinander hervor, so what? Wo kein Sinn ist, braucht es Rosen – sonst wird er mühsam, der Gang über die alten Steine.

Ich weiß so wenig von dir. Aber du lässt mich nicht los. Ein paar Fakten. Bilder. Gedanken von Menschen. Viele Urteile, ja, die Menschen urteilen über dich, über die Zeit, die Geschehnisse, das Gesamtkunstwerk. Für die Menschen macht das Leben erst Sinn, wenn es einen Sinn gibt. Sie brauchen einen Sinn, Ziele, Hoffnungen. Und wenn es das nicht gibt, dann suchen, spüren und ahnen sie, bis sie meinen am Horizont ein Glimmen zu erkennen… Auch ich kann mich dessen nicht verwehren.

Immer wieder lande ich bei dir (oder du bei mir?). Punktgenau. An deinem Ort, in deiner Zeit. Heute bin ich mit dir aufgewacht (oder hast du mich geweckt?). Auch deine Gefährten bevölkern mein Herz, meine Gedanken, meine Träume. Ich möchte euch gerne an meinen Tisch einladen und hören, was ihr zu sagen habt. Die Tür ist offen. Auch wenn ich zeitlich und räumlich weit weg bin (wer weiß?), mit Dingen zu tun habe, die mir entschieden zurufen mein Alltag zu sein, der nichts mit euch zu tun habe, so gehörst du dazu, so gehören die Freunde dazu, ohne euch bin ich nichts, geht es nicht. Das sind entscheidende Glückserkenntnisse.

Wenn Bilder, Gedanken und Steine schweigen, dann versteckt sich der Kern, dann zögert er noch, die Luft des 21. Jahrhunderts zu atmen. Aber wir brauchen euch, bitte, sprecht! Benutzt eine Sprache, die wir verstehen, wir dummen Toren, die mühsam lernen müssen, auf ihr Herz zu hören. Ich bin bereit (und meine Freunde auch!), der Zeitpunkt könnte günstig sein – ferner Freund, wisse dich mit den Deinen eingeladen.

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