Lieber Coen, heute ist dein irdischer Geburtstag. Wärest du noch bei uns geblieben, hätten wir deinen 96. gefeiert. Mit Schwarzwälder-Kirsch-Torte – hätte dir das Freude gemacht? Ich habe dieses Mal auf jeden Fall ein Geburtstagsgeschenk für dich. Zwei Jahre habe ich daran gearbeitet. Der Verlag hatte mich damals angesprochen, weil dein erstes Buch längst vergriffen war. Die Anfrage lautete, ob ich bereit wäre, das Buch zu überarbeiten, zu aktualisieren. Das habe ich gemacht. Jetzt ist es da, ab morgen wird es im Buchhandel verkauft.
Als die Frage damals kam, wusste ich sofort, dass ich das machen kann, ja, dass ich das machen werde und sagte unmittelbar zu, obgleich ich gar keine Zeit hatte. Als ich dann aber die alten Dateien zugeschickt bekam, kamen die Zweifel. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Wie sollte das gehen? Es ist ja dein Buch! Ob du überhaupt damit einverstanden seist? Und was sollte ich tun: Kapitel streichen oder hinzufügen? Neu schreiben? Umändern? So viele meiner eigenen Erfahrungen im Kontext der Thematik gingen mir durch den Kopf. Wo sollte ich trennen, ja wie überhaupt anfangen?
Damals habe ich das Gespräch mit dir gesucht. Und im Text gefunden. Irgendwann habe ich einfach begonnen. Die ganze Erstauflage des Buches war auf meinem Computer. Ich begann zu lesen. Und zu schreiben. Es ist dein Buch geblieben. Und das sollte es auch. Die Struktur und die Kapitel habe ich erhalten. Ich habe aktualisiert, hinzugefügt und sprachlich angepasst, sodass ich zur Mitautorin geworden bin. Manche Spitze habe ich gerundet, manche Andeutungen präzisiert und konkretisiert. In jedem Satz von dir, in dem ich gearbeitet habe, habe ich die Tür nach oben offen gehalten. Und du hast dich gemeldet.
Es ist ein Gespräch entstanden. Angefangen hat es damit, dass du etwas gesagt hast und ich etwas gemacht habe. Und dann gab es Momente, in denen ich gesprochen habe und du geschwiegen hast. Ja es gab Zeiträume, in denen ein richtiges Miteinander stattgefunden hat, auf Augenhöhe, ein beschwingtes Hin und Her. Und manchmal haben wir auch beide geschwiegen, lange. Und dann hast du zugehört und in die Welt gelauscht, die du verlassen hast. Und in der es Bücher braucht, die Menschen lesen können.
Engel, so heißt es, können keine Bücher lesen. So werden auch die Toten wenig Interesse an den schwarzen Buchstaben in den Pappdeckeln haben. Die Gedanken, Gefühle und vor allem Willensintentionen aber, die Menschen ergreifen können, wenn sie etwas lesen, werden für euch höchst relevant sein. Denn sie bestimmen unseren Blick in die Welt, unser soziales Handeln, unsere Tätigkeiten, sie werden zu dem, was in Herzen lebt und personalisiert durch die Welt läuft.
Die Thematik der Lernprozesse des Erwachsenen hat in meinem Leben einen großen Raum eingenommen. Tagtäglich gehe ich damit um, privat, beruflich, immer schaue ich auf Entwicklungsprozesse. Bei verpatzten Chancen, sogenannten Fehlern, Unterlassungssünden oder sonstigen Unannehmlichkeiten suche ich die Öffnung, die es erstaunlicherweise immer gibt, die ins Weite, Offene, Neue führt. Ich öffne die Tür zu dem Raum, der uns, wenn es gut geht, wesentlich werden lässt, der Gründe und Möglichkeiten offenbart.
Die Arbeit, die du in Bezug auf die Transformation der Lebensprozesse in die unterschiedlichen Lernprozesse geleistet hast, ist von unschätzbarem Wert. Mein Leben wäre ein anderes – ein ärmeres – wenn wir uns nicht begegnet wären, ich diesen Impuls nicht hätte aufgreifen können. Es war mir eine Ehre die Früchte deiner Arbeit weiter lesbar zu machen, für uns Menschen auf Erden, die wir auf Bücher angewiesen sind. In großer Dankbarkeit: Herzlichen Glückwunsch und liebe Grüße himmelwärts!
Lyrik
das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort
Hilde Domin
das Nichtwort
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Wort und Wort
Hilde Domin