Die leise Klaviermusik im Hintergrund versucht mich zu erreichen, lädt mich zum Träumen ein, klopft immer wieder zart an, wenn sich meine Ohren schlafen legen wollen. Aber auch die Klänge halten nicht vor, sie bilden den Hintergrund – ohne Vehemenz, ohne Risiko, ohne Entschiedenheit. Das Drama der Musik erobert mich nicht, ich nehme es als Alltagsgebrabbel. Wo bin ich?
Ich suche mich und schaue mich um, ob ich vielleicht irgendwo zu sehen bin. Höre mich um, ob vielleicht jemand von mir gehört hat. Aber da ist niemand. Ich könnte eine Suchanzeige aufgeben – just to know, where I am. Nur das, das Wo möchte ich doch gerne wissen. Physisch sitze ich natürlich hier. Das weiß ich schon. Aber eben rein physisch. Habe ich nicht in den Spiegel geschaut, mich nicht gekämmt oder geschminkt? Was erzählen meine Augen, wenn dein Blick…
Wenn ich den Mut und die entsprechende Phantasie hätte, könnte ich Texte schreiben, die die Löcher zeigen. Die farbigen Rahmen von Momenten, die Brüchigkeit von Buchstaben, die sich nur noch mühsam aufrecht halten. Die den Glanz der Verlegenheit sichtbar machen, das tosende Durcheinander in den Zeiten der äußeren Stille. Die Konjunktur des Wortes Disziplin strebt wieder aufwärts. „Wo ein Wille ist, ist ein Weg!“ Wenn du nur willst, dann kannst du die Welt auf den Kopf stellen – du musst nur wissen, was du willst!
Daran glaube ich nicht mehr. Der Glaube an einen verborgenen Willen im Untergrund ist mir abhanden gekommen. Ich werde aufstehen und weitergehen – meine müden Augen offen halten. Die Straßenlaternen sind in den großen Städten bis spät in die Nacht erleuchtet. Das Schöne ist ja, dass es nur einen Weg gibt. Zwei Wege kann ich ja nicht gleichzeitig gehen. Der Weg ist der Weg ist der Weg. Und die Vergangenheit ist kräftig und stark. Was haben die Menschen nicht schon alles geschafft. Abgründe weggeräumt, Städte neu erbaut, eine Zukunft für unsere Vergangenheit erschaffen.
Weiche Worte erfüllen die Stille, beginnen sich zaghaft zu bewegen. Sie überdauern. Sind standhaft, in ihrer Zartheit – das mag ich sehr. Aber gerade deshalb gehe ich respektvoll mit ihnen um, keines soll sagen, es ginge ja nicht anders, wir wussten ja nicht… „Denn sie wissen ja nicht, was sie tun“. Das ist vorbei. Taugt nicht mehr als Entschuldigung. Auch wenn die klare Durchsicht manchmal Urlaub hat, so kann ich doch die Fensterputzer bestellen. Die Stille bietet Leere – und schenkt Moralität.
Vögel mit Wurzeln
Meine Worte sind Vögel
mit Wurzeln
immer tiefer
immer höher
Nabelschnur.
Der Tag blaut aus
die Worte sind schlafen gegangen.
Hilde Domin
aus: Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, S. Fischer Verlag, 1987, S. 274.
Höre ich da eine Sprachkrise sich zusammenbrauen zum Jahresende? Dein Text erinnert mich doch sehr an Hofmannsthals Chandon-Brief, sehr poetisch und sehr kritisch, was denn die Macht des Wortes angeht und die Möglichkeit, sich in Worten auszudrücken. L.g elfriede
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