Montag, 4. November 2013
Im Friedwald. Zum zweiten Todestag von Angela Albeck-Henke
Den ganzen Vormittag regnet und stürmt es. Dunkel, kalt und grau fegt der Herbst über das Land und kündet von dem, was da kommt. Doch dann reißt die Wolkendecke auf. Klar und blau wölbt sich der Himmel, hinter mir strahlt die Sonne, vor mir nieselt der Regen – ich fahre dem Regenbogen entgegen, er leuchtet vom einem Ende zum anderen und bringt die warmen Farben in die kalte Luft zurück.
Die Betroffenheit über deinen Tod ist noch immer da und der Kreis der Menschen groß, der daran Anteil nimmt. Wir treffen uns am Parkplatz und laufen durch den Friedwald. Bekannte und vertraute Gesichter treffen aufeinander, vom Sehen kennen wir uns mittlerweile alle – du verbindest uns. „Wie geht es dir? Was machst du? Wie hat sich dieses und jenes entwickelt? Wo stehst du in deinem Leben und was hat Angelas Tod mit dir gemacht?“
Die alten und großen Bäume schütteln ihre Kronen im Wind, die Herbstbrise fährt kräftig durch sie hindurch, lässt Blätter fliegen und macht deutlich, dass alles in Bewegung ist. Der Regen versiegt, es ist plötzlich hell und die Sonne scheint durch das restliche Blattwerk, der Boden ist nass und weich. Wir laufen den Berg hinauf, den Weg entlang, bis wir abzweigen müssen. Ein unscheinbarer Pfad führt ein kleines Stückchen den Hang hinab, zu deinem Baum, zu dir.
Die Gespräche verstummen. Wir bilden einen Kreis, dein Baum ist ein Teil von uns, wir nehmen dich auf, für einen Moment stehst du im Kreis der Lebenden. Es ist still. Nur der Wind singt sein Lied weiter. Die Betroffenheit verbindet und jeder ringt auf seine Weise damit Ja zu sagen. Aufs Neue Ja zu deinem Tod zu sagen, das Leben so zu nehmen, wie es ist. Leben UND Tod gemeinsam anzuerkennen – und dennoch weiterzuleben.
Abschied genommen haben wir längst, wir sind keine Abschiednehmenden mehr. Der Baum begrüßt uns, die sich Erinnernden und beruhigt sogleich. Dein Baum, er steht und strahlt Beständigkeit aus. In diesem Jahr wirkt er anders als zuvor, er zeugt von Kraft und Leben. Die mächtigen Zweige sind sowohl nach oben als auch nach unten gerichtet. Er verbindet Himmel und Erde. Ein Baum unter vielen und doch ein ganz bestimmter, ein besonderer Baum.
Aufs Neue werden Erinnerungen geboren und geteilt. Verlegen, zögerlich, tastend, du stehst mitten unter uns. Einfacher ist es zu singen, zu beten – gemeinsame Worte auszusprechen. Du hättest das gemocht – oder, magst du es? Wir bringen keinen strahlenden Chor zusammen, aber die Bemühung klingt, die Melodie trägt, Tränen glänzen, Herzen werden berührt. Es ist schön und traurig zugleich.
„Du musst das Leben nicht verstehen…“ sagt Rilke in einem Gedicht. Still und langsam laufen wir durch den Wald zurück. Eine warme Ruhe umfängt mich. Ja. Es ist was es ist. Es ist gut. Irgendwie. Erst am Parkplatz geht es wieder um die irdischen Fragen, an die wir uns halten können: Wie lautet die Adresse, welcher Weg muss genommen werden? Bei Kaffee und Kuchen werden die Gespräche fortgeführt. Es sind weniger die Fragen, die nun leiten, sondern die Erinnerungen und Vorhaben, die Kreuzwege, die die Begegnungen bestimmen.
Die Erinnerung gebiert sich aus dem scheinbar Vergessenen, die Zukunft aus der Vergangenheit und dafür brauchen wir einander. Angela, das Leben geht weiter und du bist dabei. Dein Stern strahlt in der Dunkelheit der Herbststürme weit und hell.
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