Sie hat sich auf einen Baum gerettet, klammert sich zitternd an die dürren Äste und versucht ihren Atem zu beruhigen, damit sie nicht entdeckt wird. Unter ihr treffen die Gegner aufeinander, ein Kampf entbrennt, die Fremden haben das Versteck gefunden und gebärden sich siegessicher. Sie überblickt die staubige Ebene, hinter jedem Steinbrocken bewegt sich etwas, Feind oder Freund? Auch in den anderen Wipfeln regt sich das dürre Blattwerk, fast droht ihr das Bewusstsein zu entschwinden.
Als der Abend sich niedersenkt, verschwindet die Sonne hinter dem Horizont und damit ihr Vertrauen. Krähen umkreisen den Ort des Geschehens. Tote liegen verstreut, Freunde und Feinde sind hinter der Klippe verschwunden. Die Eisenbahnlinie gen Osten liegt immer noch da, als wenn nichts geschehen wäre, nur die Wagen der 3. Klasse wurden vergessen und harren der Dinge, die die Menschen mit ihnen vorhaben. Noch immer wagt sie sich nicht hervor, die Dramatik der vergangenen Stunden hat ihre Blutbahnen verengt. Die Weite der Einsamkeit liegt vor ihr.
Oder so.
Er sitzt am Ufer der Steilküste und schaut übers Meer, als er wieder daran denkt. Die Finger seiner Hände gekrümmt und tatenlos. Es hätte alles anders kommen sollen, ja müssen, aber das Unerlaubte hatte sich durchgesetzt. Er wurde gefangen genommen, als die anderen fort waren, obwohl er so gerne hätte mitgehen wollen. Aber die Wachstunden oblagen ihm und er fügte sich, ach, hätte er doch nur… Seine Vergangenheit ist weit und tief, nah und fern, manchmal gefrieren die Bilder. Der unverbrüchliche Vertrag hätte nicht dazu führen dürfen, dass er nach so vielen Jahren alleine hier sitzt.
Er wusste nicht, was geschehen war. Seine Erinnerung war von schwarzen Flecken durchzogen, die ihn an die Wand seines Gefängnisses erinnerten und die Weite der Ewigkeit offen legten. Hatte es denn nie ein Ende? Würde sie, nach all den Jahren des Wartens und Ausharrens zurückkehren? Der Druck in seiner Brust wurde unerträglich. Er war mit dem Leben davon gekommen und wusste nicht wofür. Er verstand die Sprache der Menschen nicht, konnte ihre Schriftzeichen nicht entziffern. Hatte es Sinn dem Signal nachzugehen, wo waren sie, die Gefährten?
Vielleicht.
Vergessen und vergessen werden. Loslassen aber nicht aufgeben. Dranbleiben aber nicht erzwingen. Das Individuum konstituiert sich durch Erfahrung, die sich einbrennt, sich tief in den Knochen ablagert. In beiden Fällen liegt ein Schatten über der Erinnerung, der seinen Schleier nicht freigibt. Und einen scheuen Wunsch erahnen lässt, der in der Zukunft vergraben liegt. Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Geborgenheit – Aufgehoben sein. Was könnte es gewesen sein, was damals geschehen ist, ein Verrat, eine Flucht, ein Kampf oder eine Leidenschaft? Und warum bricht sich die Angst, einander nicht wieder zu sehen bis heute Bahn?
In welchem Zusammenhang standen die Betroffenen? Vielleicht waren es gerade keine hehren Ziele, die sie miteinander verbanden, keine Widerstandskämpfer, Templer oder andere weiße Schwäne, die sich durch die Geschichtsschreibung ziehen und deshalb dem Vergessen nicht anheimfallen. Oder doch? Spielt das eine Rolle? Die Bilder tragen, irgendwie, und es ist banal, aber wahr, der Verstand hat keinen Zugriff darauf.
Die Angst bittet um Respektierung. Die Dramatik hat sich von außen nach innen verlagert, in Friedenszeiten muss die Seele arbeiten. Ihre Hinwendung zueinander ist unbestreitbar, untrüglich, das imaginäre Band nährt sich durch die Schleifen des Lebens. In allem, was wie ein Kaleidoskop die Stunden des Tages durchzieht. Die Zuwendung hat Bestand, auch wenn die Züge der Deutschen Bahn manchmal Verspätung haben.
Ein Blick in den Kulissen um die Zukunft neu zu beleuchten und die Handlung möglich machen, so habe ich es erlebt.
AntwortenLöschenJosiane