Sonntag, 26. Januar 2014

Wenn sich das Leben schreibt. Zur Biographie von Ingeborg Bachmann


Ich bin Ingeborg Bachmann nie leibhaftig begegnet. Als sie starb hatte ich in ihre Bücher noch nicht hineingeschaut, obwohl sie bei uns im Wohnzimmer lagen. Aber ihr Name begleitet mich schon mein Leben lang. Mittlerweile bin ich Ingeborg Bachmann im Wort begegnet, intensiv. In ihrem eigenen Wort und in den Worten anderer. Auch Bilder und Filmaufnahmen habe ich gesehen. Ingeborg Bachmann gehört zu dem Netz von Schriftstellern und Philosophen, deren Worte ich lese, deren Gedanken ich aufnehme, deren literarische Bilder in mir leben – die mich konstituieren.

Sie gehören in die Welt, in der ich lebe. (Wir hätten uns treffen können.) Sie erzählen von Dingen, die mich umgeben. (Noch immer sind wir mit dem Erbe der Kriege beschäftigt.) Wir sprechen und schreiben in der gleichen Sprache, wir atmen mitteleuropäische Luft, auch wenn die meisten der schreibenden Großen des letzten Jahrhunderts schon tot sind. Wer ist noch da, wer geht, wer kommt?

Ich lese eine Biographie über Ingeborg Bachmann. Andrea Stoll hat sie geschrieben. Sie ist dem Lebenslauf von Ingeborg Bachmann akribisch nachgegangen, dem Was und dem Wie, äußerlich und innerlich. Mein Eindruck ist, dass die Biographin ihren polyphonen Blick eingefangen hat und dem Leser ein differenziertes und hoch komplexes Bild dessen schafft, was Ingeborg Bachmanns Leben gewesen sein könnte. Äußerlich lassen sich Daten und Fakten aufreihen: Reisen, Lesungen, Publikationen, Premieren, Preisverleihungen.

Was die äußeren Tatsachen erzählen, ist aber mitnichten immer das, was Bedeutung schafft. Es gibt in Ingeborg Bachmanns Leben große Ereignisse zu feiern, Siege zu verzeichnen, Anerkennungen zu dokumentieren – sie konnte galant strahlen. Gleichzeitig ist auch zu lesen, wie sehr sie gekämpft hat, wie schwer der Weg war, wie kompliziert die Verbindungen waren, wie verwickelt die Verhältnisse. Finanzielle Engpässe und ihre Beziehungen zu Männern… Wer hat für wen welche Bedeutung und wie lebt sich Nähe und Distanz, Freiheit und Geborgenheit?

Ingeborg Bachmann, die Grande Dame, hat gekämpft und gelitten, schließlich ist sie untergegangen. Alkohol und Medikamente - seelisch konnte sie sich nicht mehr halten. Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander, aber ihr Wort hat Bestand. Wenn Menschen aufeinander treffen entstehen Schnittpunkte. Physische, seelische, geistige. Manchmal sind diese Schnittpunkte für andere Menschen sichtbar, erlebbar, andere wiederum sind unsichtbar, auch wenn sie von entscheidender Relevanz sind.

Ich nehme die Worte von Ingeborg Bachmann auf, auch das, was zwischen den Zeilen steht. Ich lese Worte von denjenigen, die in ihren eigenen Texten oder Erinnerungen über sie schreiben, an sie schreiben. Ingeborg Bachmann war zweifelsohne eine schillernde Persönlichkeit, die es verstand Verbindungen zu knüpfen und daraus etwas zu machen. Ihr Freundeskreis bestand aus Namen von Rang. Sie sah die Welt durch die Brille der Literatur, auch wenn, ganz im Gegensatz zu Max Frisch, kaum je ein „persönliches Wort“ in ihren Texten zu finden ist. Sie chiffriert, transformiert, irritiert – ihre Texte sind alles andere als gefällig, Germanisten arbeiten sich heute noch an ihnen ab.

Eine Biographie ist etwas höchst Individuelles. Gleichzeitig ist gerade dieses höchst Individuelle, Eigene, Unverwechselbare etwas, was durch die Begegnung mit anderen entsteht und nur durch sie: durch Schnittpunkte, Kreuzungen, Knoten- und Verknüpfungspunkte. Eine Biographie konstituiert sich durch das menschliche Miteinander, durch gesellschaftliche und politische Umstände, durch die familiäre Herkunft, den Bildungsweg, durch all das, was wir Sozialisation und Enkulturation nennen.

Aber gerade das, was über diese Umstände hinausgeht, sich nicht aufhalten lässt, was eine unumwundene Bedeutung schafft ist das, was wir das Individuelle nennen, was einen Lebensweg einzigartig macht. Wohin schreibt sich eine Biographie ein? Ist die Luft in Rom eine andere, weil Ingeborg Bachmann dort gelebt hat? Physisch ist die Literatin nicht mehr anwesend, geistig aber wohl. Und weil Worte und Dichtung, ja die gesamte Literatur und die Philosophie höchst geistig und damit zeitlos sind, ist unsere Welt um Ingeborg Bachmann reicher geworden.

Ingeborg Bachmann wird nicht vergessen, sie lebt im Wort. Auch wenn ich nicht weiß, ob sie ihr eigenes Leben so erzählen würde, wie es die Biographen tun, ob sie damit einverstanden wäre. Was verstehen wir denn wirklich vom Leben eines Anderen? Wie groß ist unser Herz, wenn es darum geht selbstlos jemand anderen wahrzunehmen und die delikaten Momente einer Biographie anzuerkennen?

Paul Celan hat seinem Leben in Paris ein Ende bereitet. Ingeborg Bachmann ist unter ungeklärten Verhältnissen früh gestorben. Auch Max Frisch lebt mittlerweile nicht mehr. Menschen brauchen Menschen, um zu leben, einander anzunehmen, um einen eigenen Weg zu gehen, der nur durch die Begegnung mit anderen zu gehen ist. Einander groß sehen, Relevanz schaffen! Ingeborg Bachmann lebt in mir, weil die große Frau so zerbrechlich war.

3 Kommentare:

  1. Es ist schön zu lesen, wenn jemand sich mit etwas oder jemandem so verbindet. Es ist authentisch und Ingeborg Bachmann wird dadurch gleichsam wieder lebendig. Dieser Text geht zu Herzen und macht neugierig.

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  2. Die Dinge die uns im Leben fesseln machen es spannend und lebenswert. Aber nicht nur im Sinne seichter Unterhaltung, sondern als Anstoß, den wirklichen Fragen auf den Grund zu gehen, auch wenn es mit Schmerz und Verlust verbunden ist... sw.sh.a.

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  3. "Menschen brauchen Menschen, um zu leben, einander anzunehmen, um einen eigenen Weg zu gehen, der nur durch die Begegnung mit anderen zu gehen ist."
    Wunderbar erfasst.
    Mi.

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