Die Bettwäsche war rot-weiß-kariert. Die Karos knapp einen Zentimeter - würde ich schätzen. Und rot, ja, so richtig rot. Ich hatte mein Bett im Zimmer meines Bruders aufgeschlagen, eine Matratze auf dem Boden. Es war Besuch da – wir hatten Pflaumenknödel mit brauner Butter gegessen. Ich musste mein Zimmer frei machen – für Übernachtungsgäste. Bei meinem Bruder schlief ich gerne. Sein Fenster in der Hochhauswohnung ging nach hinten raus, dorthin, wo nicht die große Straße war, sondern die Menschen zu Fuss in der autofreien Betonwüste unterwegs waren.
Wir schauten noch lange aus dem Fenster, fantasierten über die abendlichen Schwärmer, die wir dort unten sahen und schliefen spät ein. In meiner Nacht, als es ganz dunkel und still war, kam eine große schwarze Spinne von der Tür zu meinem Fußende gekrabbelt. Auf die Matratze konnte sie leicht klettern, sie lag ja am Boden. Das Tier war groß, haarig – eklig. Was sollte ich tun? Ich war gelähmt – fast gänzlich. Mein Herz klopfte wild. Mit all meinem Mut schob ich meine Bettdecke ans Fußende, türmte sie dort auf – mit meinen Füßen und versuchte so die Spinne davon abzuhalten, meine Beine hinauf zu klettern.
Die Spinne verlief sich in den Falten der Bettdecke, der rot-karierten, so hoffte ich. Jedenfalls sah ich sie nicht mehr. Hoffte nur noch. Und ich lag da und fror. Ich hatte einen Frotteeschlafanzug an, aber keine Strümpfe. Im Laufe der bangen, stillen und dunklen Stunden wurde es mir so kalt, dass ich meine Füße doch langsam unter den Bettdeckenwall schob. Erst als ich wieder tief eingeschlafen war, muss der Mut zurückgekommen sein, die Decke ganz zu benutzen – und zu ahnen, dass die Spinne vielleicht nur eine Traumgestalt war. Mein Bruder jedenfalls schien einen anderen Traum zu träumen - obgleich wir doch in einem Zimmer waren.
Eine andere nächtliche Begegnung fand in meinem Zimmer statt. Ich war allein. Möglicherweise war die Bettwäsche blau kariert – das weiß ich nicht mehr genau. Ich lag in meinem Bett und hörte die Autos auf der Straße unten, immer wieder fuhr ein Lichtschein durch mein Zimmer. Neben meinem Bett war die Tür, daneben ein Schrank. Den hatten meine Eltern gebaut, eine Stahl- und Stoffkonstruktion. In der Richtung meiner Füße war das Fenster, über die ganze Zimmerbreite - riesige Hochhausfenster.
Der Traum war tief und heftig, real und erschreckend. Vielleicht hatten mir meine Eltern das Buch „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler vorgelesen – ich kannte die guten und lieben Hexen, wusste aber auch, dass es böse gab. Eine der bösen Hexen war in mein Zimmer gekommen. Sie versteckte sich in meinem Schrank. Und ich wusste es genau, zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt würde sie herauskommen – und mich verhexen.
Aber ich schrie rechtzeitig nach meiner Mutter. Ich fürchtete mich und wollte nicht verhext werden. Mit stockenden Worten erklärte ich ihr, dass sich eine Hexe in meinem Schrank versteckt habe. Und da die „Tür“ des Schrankes doch aus Stoff war, konnte sie nicht abgeschlossen werden. Gleichzeitig überkam mich das verwirrende Gefühl, dass es ja gar keine echten Hexen gab. Oder doch?
Meine Mutter erkannte meine nächtliche Lage, erfasste, dass ich mich nicht sicher wähnte und rettete mich mutig. Sie öffnete beherzt das große Fenster zur Straße – sie machte es weit auf. Und dann ging sie mutig zu meinem Schrank, ergriff die Hexe, packte sie fest, lief zum offenen Fenster und warf sie weit hinaus. Schnell schloss sie das Fenster wieder – ich war gerettet. Sie sagte noch, dass nun nichts mehr passieren könne, denn die Hexe könne ja nicht durch geschlossene Fenster hereinkommen. Das beruhigte mich und ich konnte wieder schlafen.
Nicht nur die gegenständlich fassbaren Dinge spielen eine Rolle. Innen- und Außenwelt fließen ineinander, auseinander, miteinander. In der Kindheit noch mehr, als im Erwachsenenalter. Die Bilder sehe ich noch heute vor mir und die Erinnerungen an die gegenständlichen Ereignisse sind tief in mich eingebrannt. Dinge sind mehr als materielle Gegenstände, sie haben die Kraft, sich einen Weg in kindliche Herzen zu bahnen – dort ruhen sie, ein Leben lang und sind präsent.
"An Dinge glauben nur Kinder, Verrückte oder vormoderne Menschen. Der moderne, vernünftige Mensch weiß es besser - hat er den dingen doch selbst das Leben genommen, indem er sie natur- und kulturwissenschaftlich erklärt und objektiviert hat. Diesen Tod aber stellt die moderne Kunst gerade dadurch in Frage, dass sie den Dingen (wieder ) ein Eigenleben zugesteht, das hermeneutisch nicht zu fassen ist: Dinge bedeuten nicht mehr."
AntwortenLöschen(Dorothee Kimmich) aus ihrem Buch. Lebendige Dinge in der Moderne".