Es gibt Lehrer und Lehrer. Und vor allem nach über dreißig Jahren gibt es
Lehrer, die in Erinnerung geblieben sind und andere, die durch das Netz der
Bedeutung gefallen sind – ob berechtigt oder unberechtigt. Ich glaube, dass die
Kategorie eindeutig ist: ich erinnere mich an die Lehrer, die mir damals etwas
bedeutet haben, deren Stimme ich innerlich heute noch hören kann. Zu diesen
Lehrern hatte ich einen Zugang, sie haben mich irgendwie erreicht, in jenen
Jahren, als ich zur Schule ging und mit allem Möglichen beschäftigt war – oft
auch mit Dingen, die gar nichts mit Schule zu tun hatten.
Die Funktion von Schule ist es, Lernprozesse zu ermöglichen, Schülern etwas
„beizubringen“. Diese Aufgabe unterliegt dem Lehrpersonal – erwachsenen
Mitmenschen also. Vorgesehen sind verschiedene Fächer, anhand derer auch andere
Kompetenzen, wie zum Beispiel das soziale Miteinander, gelernt werden sollen.
Die englische Sprache sollte ich damals lernen und die russische, Mathematik
sollte ich betreiben und Sport… Jeder kennt das, jede Schule hat ein Curriculum
das festschreibt, welche „Fächer“ unterrichtet werden.
Die Fachlichkeit wird allerdings weniger durch sich selbst als durch ihre
Vermittler – sprich durch Lehrer – groß oder klein, bedeutend oder unbedeutend,
interessant oder uninteressant. Der Lehrer, der diesbezüglich für mich die
größte Bedeutung hatte war Dr. Christian Kröner. Er hat Mathematik und Physik in
der Oberstufe unterrichtet. Das waren weder damals meine Fächer noch sind sie es
heute. Aber er hat es durch seine eigene Authentizität geschafft, dass die ganze
Klasse seine Fächer ernst genommen hat und niemand daran gescheitert ist. Im
Abitur habe ich meine besten Leistungen in seinen Fächern erbracht, obgleich sie
inhaltlich sehr anspruchsvoll waren und es sich wie gesagt nicht um „meine
Fächer“ handelte.
Wenn Christian Kröner da war, dann war er so richtig dabei, er hat begeistert. Er ist über die
Bedeutung seines Unterrichts hinausgegangen, ohne dabei seine eigenen Fächer zu
schmälern. Er war bereit dazu, uns über sein eigenes Metier hinaus wahrzunehmen,
ja, er wollte seinen Schülern darüber hinaus begegnen. Wenn ich heute daran zurückdenke,
dann kommt es mir so vor, als ob seine eigenen Fächer nur ein Vehikel für ihn
waren, um sich um die Fragen der jüngeren Generation kümmern zu können, sich in
die jeweiligen Entwicklungsprozesse einzubringen - zu ermutigen, zu ermuntern,
zu unterstützen.
Er hat nicht danach unterschieden, aus welchem Elternhaus der eine oder der
andere kam, oder wie gut oder schlecht unsere Leistungen waren. Nein, Christian
Kröner ist uns allen gleichermaßen mit Wohlwollen und Respekt, mit Begeisterung
und Enthusiasmus begegnet, er hat das jeweils Werdende in uns herausgefordert
und geschätzt. So habe ich eine fachfremde Jahresarbeit bei ihm geschrieben, da
er bereit dazu war, meinen Weg zu begleiten, der nicht aus seiner eigenen
Fachkompetenz gespeist werden konnte.
Mit persönlichem Einsatz hat er dafür gesorgt, dass über das Curriculum
hinaus Aktivitäten stattfinden konnten, die in unserer Klasse „dran waren“. Und
er war nicht unser Klassenbetreuer, nein, aber wir waren seine erste Klasse
damals, als er an die Schule kam. Das hat uns miteinander verbunden. Bis heute.
Im November 2012 hatten wir nach unendlich vielen Jahren ein Klassentreffen. Und
wer kam auch? Natürlich: Christian Kröner. Zwar mittlerweile „in Rente“ aber
noch immer begeistert, schwungvoll, interessiert und hoch motiviert. Eine Begegnung auf Augenhöhe.
Von jedem wollte er wissen, was er macht, wo er steckt, wie er lebt. Und auch
von sich hat er erzählt, von seinen persönlichen Tiefen und Höhen, von dem, was
ihn umtreibt, woran er arbeitet, was er macht. Und er erzählte auch mit einem
Leuchten in den Augen, dass er im Frühjahr 2013 nach Südkorea fahren würde, um
dort in der Waldorfbewegung zu unterrichten und vorzutragen.
Und vor einer Woche war dann zu erfahren, dass Christian Kröner am 04.05.2013
plötzlich verstorben ist. In Seoul, Südkorea. Mitten in der Arbeit. Bei jener
Tagung von der er im November sprach. Unmittelbar nach seinem Vortrag ist er
gestorben. Das macht mich sehr betroffen. Er verkörpert für mich den
Zusammenschluss zwischen eigener Bescheidenheit und der Bereitschaft sich für
den Anderen zur Verfügung zu stellen, den Anderen groß zu sehen. Christian
Kröner war ein echter Lehrer, dem es gelungen ist nachhaltig zu berühren. Ich
bin so richtig dankbar dafür, dass ich seine Schülerin sein durfte und er mein Lehrer war.
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