Freitag, 30. Januar 2015

Für V. - Geschichten erfinden und in Abenteuer geraten

Du kamst damals wegen einer Anderen. Sie sollte auf der Bühne zu sehen sein, in einer Nebenrolle. Aber du warst da, bevor das Stück begann – oder trafen wir uns erst in der Pause? Ich gehörte eigentlich nicht zu dem Club. Aber ich war hinzugezogen worden und war nun halt dabei. Mein Job war es Querflöte zu spielen. Und da ich damals ziemlich romantisch veranlagt war, konnte ich das recht gut. In dem Stück ging es um Liebe und Tod. Die Musiker saßen vor der Bühne. Im Dunkeln. Und immer wieder erklangen meine Flötentöne. Das war aufregend und wunderbar.

Wir trafen uns also. Wir kannten uns entfernt von früher – deine Familie gehörte zum Dunstkreis meiner Familie. Bis dahin aber wussten wir nichts miteinander anzufangen. Das änderte sich. Ich stand draußen, vor dem Bühneneingang. Und plötzlich berührte mich jemand mit dem Fuß an meiner Schulter. Das warst du. Schon immer sehr gelenkig. Ich sehe dich noch. Deine dunklen Augen, dein suchender Blick. Du hattest einen blau-grauen Trenchcoat an, stimmt das? Und Turnschuhe. Nein. Es waren Fußballschuhe. Schmal, schwarz. Die mit den Löchern oben. Aber die Noppen unten hattest du abgemacht. Das sah elegant aus. Du meintest vage, dass wir uns kennen würden.

An das Gespräch erinnere ich mich nicht mehr. Aber wir verabredeten uns. Klar war, dass da etwas begann. Als wir wenige Wochen später zusammen in einem Zelt in Südfrankreich lagen, lasen wir gemeinsam in zwei Büchern und unterhielten uns stundenlang darüber. Die Autoren waren Max Frisch und Tolkien. Wir waren an der Schwelle zum Erwachsenwerden und hatten das Gefühl, dass das Leben beginnt. Wir nahmen uns ernst. Wussten, dass es (mal wieder) auf unsere Generation ankommt. Wir wollten alles anders machen, klar, wir wollten natürlich alles viel besser machen.

Wir waren hungrig auf das Leben, aber befangen, denn in unseren Elternhäusern wurde zwar von morgens bis abends über Politik geredet – auch unsere Eltern dachten schon, dass sie die Gesellschaft erneuern könnten – aber farbige, duftende oder seidenweiche Visionen gab es nicht. Nur verbotene Schriften, dunkle Mahnmale und der Tunnelblick auf die Arbeiterklasse, die sich gefälligst zu erheben hatte. Es galt einzusteigen und mitzumischen, irgendwie – aber wir wollten es anders machen.

Der Roman von Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein, hat uns die eine Vorlage gegeben: das Leben ausprobieren. Der Protagonist wechselt Geschichten wie Kleider. Er probiert, testet seine Identität. Er schaut in den Spiegel, verwandelt sich immer wieder. "Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält." Wir waren begierig darauf uns vorzustellen, wie das Leben sein wird, wenn wir es selbst gestalten. Wir ahnten, dass es vielleicht nicht ganz so einfach sei. Aber wir wussten, dass wir uns sicher die richtige Geschichte aussuchen würden – daran gab es keinen Zweifel.

Die andere Vorlage war „Herr der Ringe“ (damals noch ganz unbekannt): treu und unbeirrt für die gute Sache kämpfen. Da wir beide ohne Märchen und Mythen aufgewachsen waren, in einem aufgeklärten Haushalt gab man den Kindern sozialkritische Comics zu lesen, verschlangen wir die Abenteuergeschichte fasziniert. Es galt den Ring zu vernichten. Über die Bösen zu siegen. Freundschaft und Feindschaft zu erleben, Vertrauen und Misstrauen abzuwägen, der eigenen Stimme und der der vermeintlichen Ratgeber zu folgen – es galt um Frodo Beutlin zu zittern und mit ihm zu ziehen: Er musste siegen!

Und so machten wir uns nach ein paar gemeinsamen Jahren auf, unsere eigene Geschichte zu suchen und zu leben, den bösen Ring zu vernichten – und gerieten jeder für sich in Abenteuer, die Jahre in Anspruch nahmen. Auch hatten wir damals nicht angenommen, dass es möglich war in mehreren Geschichten gleichzeitig eine Rolle bekommen zu können. Hie und da haben wir uns aus der Ferne zugewinkt. Du hast Karriere gemacht, ich Familie gegründet. Dann gab es eine Kursänderung, ich wurde in der akademischen Welt aufgenommen und du übst dich jetzt als Vater, wo meine Kinder erwachsen sind. Das Leben hat uns weit auseinander getrieben – ob wir von einem ähnlichen Menschenbild ausgehen? – und doch berühren sich unsere Geschichten immer wieder.

Du hast mich eingeladen, mit all jenen Protagonisten ein Fest zu feiern, die dir heute wichtig sind und ich durfte einen Blick in eine deiner Geschichten werfen – wofür ich dir sehr dankbar bin. Du trägst noch immer einen silbernen Armreif (wie damals) und schätzt dich glücklich mehrere Sprachen zu sprechen. Mindestens drei Länder sind es, die dich beruflich in Atem halten, ganz abgesehen von den Konferenzen all over the world. Ich hingegen versuche noch immer in einem Kleid durch das Leben zu kommen – egal wo ich agiere. Es ist alt und kostbar und nicht sicher, ob es der Zukunft Stand hält. Aber es gibt mir Halt, in dieser sich drehenden Welt, die mir viel mehr Geschichten bietet, als wir es uns damals vorstellen konnten.

Deine Geschichten und meine Geschichten, manchmal überkreuzen sie sich. Die Leichtigkeit von Max Frisch konnten wir uns nicht immer bewahren, aber ganz so existentiell wie bei Tolkien war es auch nicht immer. Welche Geschichten werden Bestand haben, wenn wir einst zurückschauen werden und den Kindern oder Enkeln berichten…? Erzähle mir mehr davon, wie du deine Geschichte weiter schreiben möchtest. In deinen braunen Augen sehe ich noch immer die bescheidene Frage von damals: Sind es die richtigen Rollen, die wir in der Geschichte einnehmen?

Freitag, 23. Januar 2015

Als wir noch Kinder waren: Dorothea und Charlotte

Ich habe ein Foto von dir im Internet entdeckt. Auf dem Bild ist eine wunderschöne Frau zu sehen. Ich glaube, du siehst deinem Vater ähnlich, kann das sein? Zu sehen ist nur dein Portrait. Ich wende all meine Phantasie die mir zu Gebote steht auf, um dich wiederzuerkennen. Es gelingt. Ich bin mir sicher, dass du es bist. Deine Augen sind es, die die Erinnerung hervorrufen. Viele Jahre sind vergangen, fast ein ganzes Leben. Wir haben uns nicht mehr gesehen, seit wir Kinder waren. Ein paar Mal telefoniert, Postkarten – ich kann mich nicht an mehr erinnern.

Aber ich habe dich nie vergessen. Heute hast du Geburtstag. Immer ein Jahr jünger als ich – das hat uns schon als Kinder geärgert. Wir wären gerne gleich alt gewesen – stimmt‘s? Dann wären wir auch in die gleiche Klasse gegangen. So aber haben wir nur den Schulweg hin und her miteinander geteilt – immerhin haben wir aber im selben Hochhaus gewohnt. Ich glaube, dass wir zwei Etagen über euch wohnten. Auf jeden Fall hatte die Wohnung den gleichen Grundriss. Ganz genau den gleichen. Unsere Zimmer lagen übereinander. Unsere Väter haben zusammen studiert und dann miteinander gearbeitet, darum sind die beiden Familien auch gemeinsam aus dem Süden in die Neubauwüste in den Westen gezogen.

Oft haben wir uns damals vorgestellt, über welche Kanäle wir die Wohnungen miteinander verbinden könnten. Auf jeden Fall unsere Zimmer. Telefonieren (graue Apparate mit Wählscheiben) war damals für Kinder keine Selbstverständlichkeit. Aber irgendwie mussten und wollten wir uns ja verständigen. Unsere Brüder, Max und Moritz, waren zu klein, die haben wir in diese Überlegungen nicht einbezogen. Wir haben Büro gespielt und aus den Arbeitszimmern der Eltern so allerlei Papiere, Stifte und wichtige Utensilien mitgenommen, damit wir auch ganz ernsthaft Geschäfte abwickeln konnten. Aber erst mussten wir immer unsere Hausaufgaben machen.

Aus dem Fenster eurer und unserer Küche hat man erst die Straße, dann den Friedhof und schließlich das rote Opelwerk gesehen. Erinnerst du dich? Auf den Friedhof durften wir nicht, das weiß ich noch. Da stand ein Schild, dass Kinder nur in Begleitung erwünscht seien. Aber einmal, daran erinnere ich mich noch ganz genau, haben wir uns erdreistet, den Friedhof zu erkunden. Ohne Erwachsene. Das hat uns sehr gereizt. Wir hatten uns auch eine wasserdichte Ausrede überlegt, wenn man uns erwischt hätte, dann hätten wir gesagt, dass wir zu unserem Großvater wollten, der kürzlich verstorben sei…

Aber sie haben uns nicht erwischt. Nein, wir konnten unbeschadet inspizieren, was uns einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Der Tod. Ewige Ruhe. Wir wussten nicht, wie wir uns das wirklich vorstellen sollten. Als Mensch in eine Holzkiste gelegt werden und dann unter der Erde liegen, ewig… Jedenfalls stromerten wir von Grab zu Grab und phantasierten, wer da aus unserer Verwandtschaft alles begraben läge, wir erfanden Geschichten und konnten gar nicht mehr aufhören… Ich weiß noch, dass ich in der Nacht danach schlecht geträumt habe. Das war schon ein großes Abenteuer für uns kleine Mädchen. Unseren Eltern haben wir bestimmt nichts davon erzählt…

Wir haben auch Wochenenden und Ferien miteinander verbracht – das war eine sonnige, reiche Zeit voller Spiele. Irgendwann ist Willy Brandt zurückgetreten – ich sehe unsere Mütter noch mit der Zeitung WAZ im Treppenhaus stehen und miteinander reden. Ich das blonde und du das braunhaarige Mädchen – was die redeten interessierte uns nicht, wir liefen zusammen zur Schule. Auf deine langen, schmalen Finger war ich schon als Kind neidisch.

Wir gehörten zusammen! Aber irgendwann hieß es, dass ihr umzieht. Nach Berlin. In die geteilte und vor allem ferne Hauptstadt. Das war sehr traurig für uns. Ich kann mich noch an eure leergeräumte Wohnung erinnern. Im Flur hinten gab es auf der linken Seite, gegenüber vom Bad, einen eingebauten Wandschrank (den wir auch hatten) mit weißen Türen. Und da hat deine Mutter die letzten Dinge aufbewahrt, die nicht von der Umzugsspedition mitgenommen werden sollten. Draußen stand ein riesiger Laster.

Auf der cremefarbigen Wand des Speditionslastwagens stand Schulze, Berlin-Mariendorf in dunkelgrüner Schreibschrift. Das sehe ich noch heute vor mir. Ich versuchte mir damals vorzustellen, wie all deine Spielsachen, dein Bett und dein Tisch, all deine Kleider und dein Schulranzen irgendwo in dem Lastwagen verstaut waren und sich auf eine unbekannte Fahrt begeben mussten. Ich kannte eure zukünftige Wohnung nicht und konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass all deine Sachen in ein anderes Zimmer transportiert würden.

Manchmal habe ich später noch die Lastwagen „eurer“ Spedition auf deutschen Autobahnen gesehen – immer habe ich an dich gedacht.

Wir wohnten schon über zehn Jahre nicht mehr in der gleichen Stadt und als dann meine erste Tochter geboren wurde, warst du enttäuscht, dass ich dich nicht als Patentante erwählt hatte. Das tut mir bis heute Leid. Vielleicht hätten wir dann unsere Freundschaft erhalten können, irgendwie…. Du warst damals in Südamerika, ich in eine kleine Welt verschwunden. Mittlerweile haben wir einen Großteil unseres Lebens gelebt, manche Ziele erreicht, manche Wünsche über Bord geworfen. Zeit, einmal wieder von einander zu hören, ich würde mich freuen – was meinst du?

Montag, 19. Januar 2015

Spiegelbild und Filmausschnitt - dazwischen fünfunddreißig Jahre


Das Mädchen sagt, dass sie vierzehn Jahre alt sei. Sie sieht jünger aus. Ihre Stimme ist fest und brüchig zugleich, ein wenig rau und kratzig. Sie hat einen blauen Nickipullover an, darüber eine dunkelrote Weste – farblich passend zur Cordhose. Ihre Haare sind lang und glänzen, sie hängen ihr wie ein warmer Schal um die Schultern. Ihre Augen haben etwas Fragendes. Sie ist bei sich. Und sie ist eine Frage. Wie ist die Welt und warum ist sie so wie sie ist?

Sie sitzt in einer Talkrunde – die Sendung wird live ausgestrahlt – und wird befragt. So, wie die anderen auch, die einen Brief geschrieben hatten und eingeladen wurden. Köln, WDR Studio, Appelhofplatz. Sie bringt sich ein, formuliert Probleme, erzählt von sich – aber die Sendung ist zu kurz. Zu viele Menschen, zu viele Geschichten – ein Blitzlicht einer Thematik, die das Leben schreibt und die Länge eines Romans braucht.

Den Riss in der Welt hat sie von Beginn an mitbekommen. Das hat sie irritiert, von Anfang an. Sichtbar wurde er durch die Menschen in ihrem Umkreis. Aber das kann sie nicht benennen. Zwar scheut sie sich nicht davor, ihre Meinung kund zu tun – aber ein Fragezeichen bleibt immer. Zumindest ein fragender Blick in die Erwachsenenwelt. Kann es sein, dass die Welt so unvollkommen ist? Sie sucht Halt – Liebe und Geborgenheit. Und sie versucht zu verstehen, was sich verstehen lässt. Sie ahnt, dass sich nicht alle Rätsel dieser Welt lösen lassen. Aber glauben kann sie es noch nicht. Sie will es nicht.

Die Frau schaut in den Spiegel. Ein Blick durch die Brille. Ihre Augen sehen erschöpft aus. Falten suchen ihren Weg bis in die Ferne, sie sieht Flecken auf der mit Naturkosmetik gepflegten Haut und hat die Neigung die Tür zwischen Innen- und Außenwelt zu schließen. Auch ihre Haare sind müde, sie erzählen von besseren Tagen, eins ums andere färbt sich langsam grau. Pupillen und Augenwimpern leiten ihren Blick zum Brillengestell – schwarz. Das ist die Farbe der Tatsachen. Aber der blaue Lidstrich korrespondiert mit ihrer blau-grauen Iris, das hält sie wach – da leuchtet etwas.

Die Frau schaut zurück – bin ich die, die ich einmal war? Ich erkenne mich kaum wieder. Der Roman hat sich weiter entwickelt. Damals war es Seite 143, heute ist sie auf Seite 491. Wie viele Seiten noch kommen ist ungewiss. Aber es haben sich Antworten ergeben. Antworten auf Fragen die damals gestellt wurden und Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden. Probleme, von denen sie dachte, dass sie gelöst werden können müssen heute umformuliert werden: es sind Tatsachen. Das Mädchen von damals schaut nach vorne, offen und fragend – wer werde ich einmal sein? Wie werde ich das Leben handhaben?

Fünfunddreißig Jahre sind vergangen. Ihre Blicke kreuzen sich im Strom der Zeit. Ich sehe mich heute von außen. Im Spiegel und im Film. Bin ich das? Die beiden, das Mädchen und die Frau, haben versucht den Riss in ihrer Welt zu kitten – auf ihre Weise. Bescheiden natürlich. Wie sollte man leben, mit den Ungerechtigkeiten in der Welt, den Gefahren und apokalyptischen Bildern in Umwelt, in einer zerrissenen Gesellschaft und einem ausufernden sozialen Netzwerk? Es galt eine kleine Flamme zu entzünden und ihr treu zu bleiben – durch alle Stürme und Unwetter des Lebens hindurch.

Fünfunddreißig Jahre sind eine lange Zeit. Spiegelbild und Filmausschnitt machen sichtbar, dass Zeit vergeht. Gedanken können aalglatt sein, aber das Erlebnis ruft Betroffenheit hervor. Darüber lässt sich nicht so ohne weiteres hinwegdenken. Ich bin ich, damals und heute. Aber ich habe mich gehäutet, die Materie ist nur noch bedingt die gleiche. Der Abdruck meines Ichs zeigt sich in der sichtbaren Hülle – fremd und vertraut zugleich. Wenn ich am Abend meine Brille abnehme sehe ich den Abdruck an meiner Nase, bis zum nächsten Morgen wird er verschwunden sein – um danach wieder neu zu entstehen. Das geht zwischen Tag und Nacht immer so fort.

Dienstag, 6. Januar 2015

Königswürde: Sterne, Lichter und das Schenken


Wollen wir das Weihnachtsfest christlich feiern,
so muss in uns selbst ein Hirte und König sein.

Ein Hirte, der horchen kann auf das, was andere nicht hören.
Der mit allen Kräften der Hingebung unmittelbar unter dem Sternenhimmel wohnt.
Zu dem es Engel gelüsten kann, sich zu offenbaren.

Und ein König, der schenken kann.
Der sich von nichts anderem leiten lässt als von dem Stern in der Höhe.
Der sich aufmacht, alle seine Gaben an einer Krippe darzubringen.

Aber außer dem Hirten und dem König muss auch ein Kind in uns sein,
das jetzt geboren werden will.

Friedrich Rittelmeyer

König sein: Wenn wir auf die Welt kommen, bekommen wir ein Geschenk. Es ist ein Stern, der bei unserer Geburt mit uns geboren wird und über uns zu leuchten beginnt. Er begleitet uns das ganze Leben bis zu unserem Tod. Er leuchtet jeden Tag und jede Nacht und verlässt uns nie. Jeder Mensch hat einen persönlichen Stern, der ihm vom Kosmos für seine Lebenszeit geschenkt wird und der ihn auf seiner Reise durch die irdische Dunkelheit über Stock und Stein, Berg und Tal begleitet.

Es gibt Zeiten, da wissen wir nichts von der Existenz dieses Geschenks, denken nicht an einen Stern und vertrauen auch nicht darauf, dass er da ist und unaufhörlich leuchtet. Wir haben eine dunkle Brille vor den Augen, die Herz-Tür verschlossen oder dicke Handschuhe an. Dann lassen wir uns von elektrischem Weihnachtsglitter leiten, dunklen Worten, schrägen Ideen oder schlicht von der menschlichen Maßlosigkeit. Wer aber irgendwann in die Lage kommt sein Geschenk auszupacken, der weiß, was er bekommen hat.

Es gibt Momente im Leben, da sehen wir den Stern plötzlich über uns leuchten. Und wir erstrahlen in seinem Licht und fühlen uns getragen, geborgen, begleitet. In anderen Momenten, wenn wir beschäftigt sind und irgendetwas dringend wollen, kann es sein, dass er ein wenig hinter uns zurück bleibt. Dann stehen und gehen wir in seinem Schatten, weil wir uns in seinem Licht befinden. In wieder anderen Momenten, wenn er uns etwas zu sagen oder zu zeigen hat, dann leuchtet er vor uns und wir können, wenn wir aufmerksam sind, seiner Licht-Spur folgen.

Wenn aber der Stern nicht nur über uns, sondern in uns selber zu leuchten beginnt und andere Menschen sich an dem Licht, das wir ausstrahlen orientieren können, dann haben wir die Königswürde erreicht. Das Wesen eines guten Königs ist das Schenken. Wer schenkt gibt etwas von sich, teilt seine eigenen Gaben und schlägt damit eine Brücke zu seinem Nächsten, er berührt ihn. Ein König schenkt was er hat, etwas vom Licht seines Sterns: das kann in das Wahre, das Gute oder in das Schöne verpackt sein. König sein heißt, das Licht in sich selber entzündet zu haben und es in der Welt leuchten zu lassen – sich zu schenken.

Die drei Heiligen Könige sind dem Stern am Himmel gefolgt, um den Stern in der Krippe zu finden, der ihnen seitdem den Weg durch die irdische Welt zeigt. Dafür schenken die Könige der Welt ihr Licht, ihre Weisheit und ihre Güte.

Weder werden durch Königs- oder Sternenlichter Spannungen oder Konflikte gelöst, Kriege beendet oder Leistungsdruck minimiert aber das Licht, das leuchtet, wenn ein König unter den Akteuren – im Kleinen wie im Großen – ist, verliert etwas von seiner scharfen Eckigkeit und seiner gnadenlosen Rechthaberei. Das Licht wird etwas zarter, wärmer und vielleicht ein wenig heimeliger. Verzeihen, Gnade walten lassen und Schutz gewähren sind Güter, die ein König schenkt, wenn er das Licht des Sterns in sich trägt und weitergibt.

Und wenn sich die vielen leuchtenden Könige, die es auf der Erde gibt zusammentun (und eine Lichterkonferenz abhalten), dann entsteht am Himmel ein strahlendes Sternenmeer, das sich schützend über die Erde beugt und ihr hilft, die Dunkelheit und Kälte zu transformieren. Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern, dass sie ihrem Stern im Neuen Jahr Raum und Zeit geben, ihr eigenes Königslicht in die Welt schenken und sich zusammentun um gemeinsam zu leuchten.